Full text: St. Ingberter Anzeiger

In Fiel erhast, willenlos der Verzweiflung 
sich überlassend, vahm der Rentner jeine mit 
Werthpapieren angefüllte Schatulle und sezte 
sie auf den Tisch. Eine Weile weidete er sich 
in dem Anblick seiner Schätze, dann warf er 
die brennende Kerze in die Schatulle und 
verließ ohne Hut und Rock das Zuimmer, 
Dhue sich umzublicken, ging er hinaus. Fürch⸗ 
ete er, der dünne, schwarze Rauch, welcher 
zus der Sch tulle aufstieg, könne ihn bewegen, 
seinen Enischluß zu aͤndern ? — Vielleicht! 
Beelleicht auch hatte er ganz mit dem Leben 
abgeschlossen und hielt es nicht der Mühe 
werth, noch einmal auf das zu blicken, welchem 
er entsagte! — 
Er hatte nicht bemerkt, daß in der Thür 
des Nebenzimmers sein Buchhalter stand und 
ihn beobachtete. Kaum war er hinausgegangen, 
jo warf Helldau den Deckel der Schatulle zu, 
wodurch die Flamme sofort erstickt wurde. 
Wohin sein Herr ging, tümmerte ihn nicht, 
wohl ahnte er, daß jener einen Weg ver⸗ 
folgte, auf welchem es keine Rücklehr gab, 
ber die früdere Anhänglichkeit an den allen 
Mann war in seinem Herzen gestorben, 
er ließ ihn gehen, wohin sein Geschick ihn 
rieb. 
12. Kapitel. 9 
Ein Vierteljahr war seit jeuem Tage 
vberstrichem. In einem kleinen reizenden Städt⸗ 
hen Süddeutschlands hatte Ernst seinen 
Wohnsih ausgejchlagen und dort ein Geschaäft 
begründet. 
Ein heller, freundlicher Herbstmorgen 
schaute in das kleine Familienzimmer, in wil⸗ 
hem das junge Ehepaar, Helldau und die 
Littwe Heller beim Frühstück saßen. 
Heute find's schon drei Monate und mir 
ist noch immer, ols wären wir erst gestern 
getraut worden,“ hob Ernst an, indem er der 
Gattin freundlich läͤchelnd zunickee. 
Ueber die bleichen Wangen Mathildens 
glitt ein flüchtiges Roth. „Drei Monate,“ er⸗ 
viderte sie, „an demselben. Tage starb mein 
HZater. Er slürne sich in den Fluß, meil ich 
ihn verlaffen hathde uBJ 
r. Laß doch endlich vom viesem thötichten 
Gedanten ad, der Dich nur quält und doch 
jedes Grundes entbehrt,“ versehte Ernst, halb 
hittend, halb zürnend, „mein Freund hat und 
a über diesen Punkt vollständig beruhigt. 
Ja, ja, r schrieb, ein unseliges Ver⸗ 
zängnisß habe ihn dajzu gefchrieben,“ fuhr 
Maihilde leise, wie mit sich selbst redend, 
fort, „aber ich weiß es besser.“ 
„Duürfte ich reden, ich könnte Ihnen sa⸗ 
gen, weshalb Ihr Vaker den Tod gesucht hat, 
nahm Helldau das Wort, „aber ich darf 
nicht und es ist auch besser, wenn Sie es 
nicht erfahren. Seien Sie aber überzeugt, daß 
is Ihre:wegen nicht geschah.“ 
„Brechea wir ab,“ sagte die Wittwe. 
„Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen 
machen.“ 
„Wann macht Ihr beide denn endlich 
Hochzeit 77 fragte Ernst, um der Unterhaltung 
aͤne andere Wendung zu geben, „Ihr thut 
so heimlich und verstohlen, als ob Ihr uns 
mit dem Aufgebot überraschen wolltet!“ 
Die Muuer sah verlegen vor sich hin, 
Hellꝛau zerschnitt eifrig eine —A 
seine Verwirrung zu verbergen. 
„Wir haben eingesehen, daß es besser ist, 
wvenn wir beide auf dem alten Fuße mit 
einander bleiben,“ nahm der Buchhalter end⸗ 
lich das Wort, „unsere Heirath wäre im 
Grunde doch eine Thorheit.“ 
AUnd haben wir nicht ganz dasselbe Leben, 
als wenn wir darch die Kirche mit einander 
verbunden wären ? fügte die Wittwe hinzu. 
„Wir bilden ja eine Familie, wozu bedarf es 
—V VVV 
Lafsen wir e8 beim Alten,“ meinte 
helldau, „ich hoffe auch ohne jene Ceremonie 
aͤne bleibende Stätte hier zu finden, bis sie 
mich hinaustragen auf den Friedhof.“ 
„Ja, das sellft Du, guter Freund,“ 
entgegnete Ernst, indem er dem Buchalter 
die Hand reichte, „wenn Du uns fehltest, 
würde in unserm Guück eine Lüche ente 
dehen.“ 
Der eintretende Postbote übergab dem 
jungen Mann einen Priet. „Bon Dolktor 
Schacht,“ sacte Ernst, als eꝛ einen Blich auf 
das Siegel geworfen hatte; „erlaubt, daß ich 
den Brief dorlese, so hören wir Alle zu 
gleicher Zeit die Neuigleiten, welche ex uns 
mitzutheilen hat.“ 
Mein lieber Freund! Auf Deinen lehter