Full text: St. Ingberter Anzeiger

pressend; „icherlich hat ihr letzter Ausruf 
nar mir gegolten, eine Mahnung, den Un— 
würdigen nicht zu fürchten.“ 
„So mag es seiun,“ nictte der Notar, 
„bestellen wir die Todtenwache, „Herr 
Sohn!!““ 
O, ich werde sie fürstlich bestatten las⸗ 
sen,“ sprach dieser pathetisch, „man soll noch 
nach Jahren davon reden.“ 
Und mit diesem Entschlusse hatte der 
reiche Mann sich vollständig mit seinem Ge— 
wissen abgefunden, wenn ein solches ürerhaupt 
noch bei ihm Lorhanden warrr. 
Der Notar breitete ein Tuch über das 
Antlitz der Leiche aus und wollle dann mit 
seinem Schwiegersohn daz Todtenzimmer 
verlasshee. 
Bevor sie die Thür erreichten, packte er 
seinen Am. 
Horch,“ flüsterte er, „was ist das ? Wer 
wagt es, hier gewaltfam einzudringen und die 
Ruhe der Todten zu stören ẽ; 
Der Commerzienraih horchte bleich und 
entsetzt. —VV — —— 
„Meine Ahnung! meine Ahnung!“ mur⸗ 
melte er, „helfen, stehen Sie mir bei, Herr 
Vater!“ 
Bleiben Sie hier, Edmund! ich bringe 
den Störenden fort, wer es auch immer sei.“ 
Es war bereils zu spät, man hörte drau— 
ben vor der Thür einen schweren Fall, als 
würde ein Mensch zur Seite geschleudert, wor⸗ 
auf die Thür heftig anfgerissen wurde. —— 
zESachte, sachte, liebet Mann!“ sprach der 
Notar, „man pflegt bei civilisirten Menschen 
nicht so brutal mit der Thür in's Haus zu 
fallen.“ 
Ein hoher, schlanker Mann, mit bleichem, 
aufgeregtem Gesicht stand auf der Schwelle; 
der Mantel war ihm im Kampfe mit den beiden 
Bedienten entrissen. 
„Ferdinand!“ murmelte der Commerzien⸗ 
rath und schaute angstvoll auf den Notar. 
Nur einen Blick todtlichen Hasses warf 
er auf den angstbleichen Bruder, worauf er 
mit leichten, geisterhaflten Schritten an's Bett 
der Mutter trat. J 5 * 
„Todt! todt!“ schrie er nach einer kleinen 
Weile guf, 0 Mutker . hatlest Du selbsi 
in der letzten Stunde kein Fünkchen Liebe 
übrig für Dein jüngstes Kind ? Was that ich 
Dir, daß Du mich von Deinem Herzen 
stießest? O, wie willst Du dem Vater ent⸗ 
gegentreten, wenn es ein Jenseits gibt??? 
„Entfernen Sie sich, Edmund!“ flüsterte 
der Notar dem Schwiegersohne, hassig zu— 
„Sie sind hier überflüssig, ich werde alsdann 
eichter mit dem Burschen ferlig werden.“ 
Doch der Commerzienrath rührte sich nicht 
von der Stelle, seine Füße schienen gebannt 
zu sein, er war wie von einem bösen Alp 
befangen. J — 
„Wer sind Sie, der Sie es wagen, ge⸗ 
valtjam gleich einem Räuber hier einzudringen 
und eine wahnsianige Komödie aufzuführen 9 
fragte der Notar mit streuger Stimme. 
Ferdinand strich sich langsan über die 
Stirn und trat auf den Bruder zu, der jetzt 
erst an einen schleiinigen Rückzug dachte und 
sich rasch mit einer hastigen abwehrenden Be⸗— 
wegung der Thüre zuwandte. 
Jener kam ihm zuvor, mit fester Hand 
drängte er den Bruder zurück, verschloß die 
Thür und steckte den Schlüssel zu sich. 
„Das geht zu weit,“ rief der Rotar über⸗ 
laut, „wir haben es mit einem Wahnsinnigen 
u thus. Zu Hülfe!“ 
Seine Stimme klang schallend durch das 
ttille, einsame Haus, die Dienerschaft ruͤttelte 
an der verschliossenen Thür. J 
„Ruhig, mein Herr!“ gebot Ferdinand, 
„was ich mit diesem Menschen, defsen angst · 
bleiches Gesicht und schlotternde Gestalt in 
diesem Augenblick das böse Gewissen kennzeich- 
nen, abzurechnen habe, kümmert keinen Ünde⸗ 
ren; was wollen Sie in diesem Raum, wo 
Tod und Vecgeltung ihre Stätte aufgeschlagent 
— Tritt näher, Sohn meiner Mutter!“ wandte 
er sich gebieterisch an seinen VDruder 
.Edmund gehorchte mechanisch, — seine 
Fassung kehrte zurück und mit ihr die Ueber⸗ 
legenheit. Dieser Mann, welcher sich hier so 
leidenschaftlich geberdete, war sein Todfeind, 
der einzige auf Erden, welchen er wirklich zu 
fürchten hätie. Sollte er, endlich am Ziele 
seiner Wünsche, um dessentwillen er seit langen 
Jahren alle Hebel der Bosheit und geheimen 
Tüde in Bewegung geseßt, dennnoch schließlich 
an dieser stets gesürchteten Qlippe scheitern d 
Die momentane Ungst wat vorüber.