Full text: St. Ingberter Anzeiger

„Irre ich nicht, so wohnt er noch daselbst,“ 
unterbrach Hartmuth ihn ruhig.. 
‚Nicht doch, er ist todt,“ fuhr der Com⸗ 
merzienrath gleichmüthig fori, ohne das un⸗ 
gläubige Lächeln des jungen Mannes zu be⸗ 
achten; „ich bot ihm, wie Sie mir bezeugen 
werden, meine Unterstützung zu verschiedenen 
Malen an, weil es mir peinlich war, einen 
Steinhöfer in Noth zu wisse —— * 
Sie irren, Herr Commerzienrath!“ un⸗ 
terbrach Jener ihn auf's Neue. „Ferdinand 
Steinhöfer ist von so vielseitigen Talenten, 
daß er stets genung erwirbt, um seine Familie 
vor Noth zu schützen.“ 
„Stine Familie, nun freilich, um diese 
muß es sich auch jetzt handeln, da er todt 
ist, also nichts mehr erwerben kann, trotz der 
vielseitigsten Talenten.. 
Die Worte geschäftsmäßig gesprochen, hatten 
eijnen Anllang von Hohn.. 
Theodor Hartmuth schauderte unwillkühr⸗ 
lich zusammen; sprach der Mann die Wahr⸗ 
heit ? — Was war aus dem unglücklichen Fer 
dinand, um dessentwillen er die Stelle ange⸗ 
uommen, geworden ? . 
Dürfte ich um eine nähere Erklärung 
Ihrer Worlte bisten, Herr Commerzienrath ?“ 
fragte er mit erkünstelten Gleichmuth. 
„Wie vorhin bemerkt und- Ihnen bekannt 
ist, bot ich ihm eine Unterstützung, ja, auf 
Wunsch meiner guten seligen Mutter sogar 
eine Leibrente an. Sie waren so gefällig, die 
Sache für mich zu übermitteln 
Hartmuth nicktte. . 
„Der Unglückliche bildete sich ein, nähere 
Ansprüche an mein Erbe zu haben,“ fuhr 
Steinhöfer achselzuckend fort, „eine Einbil⸗ 
dung, welche zur fixen Idee, zum Wahnsinn 
geworden und ihn zu der Behauptung zuletzt 
verführte, eir illegttimer Sohn meines Vaters 
zu sein. Ich schonte den Unseligen, diese 
Schwäche hat sich gexächt. Am gestrigen Abend 
als meine Muttet fast verschieden, erschien er 
plötzlich, drang gewaltsam in's Sterbezimmer, 
und erschoß sich vor den Augen der ganzen 
Dienerschaft, — mein Schwiegervater und 
ich waren ebenfalls Zeugen der entseßzlichen 
Thattt.... 6 
Hartmuth blickte ihn erstaunt an, sein Blui 
stockte im Herzen. 
—— 
„Unmöglich,“ murmelte er, „Ferdinand 
konnte kein Selbsimörder sein ·· 
Der Commerzienrath schaute ihn miß⸗ 
rauisch en. 
„Sie haben- ihndoch wohl genaue. ge⸗ 
tannt, mein Herr. als Sie mir mitgetheilt!“ 
Nein,“ versetzte Hartmuth, sich gewaltsam 
beherrschend, „es war eine sedhr oberflächliche 
Bekanntschaft, Ferdinand war stets ver⸗ 
schlossen. Könnte ich den Unglücklichen 
sehen ? 7 
„Wenn die Polizei es erlaubt.“ 5 
„Nun, es ist auch überflüssig,“ setzte 
Harimuth rasch hinzu, „dec Anblick eines 
Selbstmörders war mir stets widerwärtig.“ 
„Mir geht's genau so,“ fsagte Steinhöfer; 
ich kehrte deßhalb gestern Abend nmoch spüt 
in die Stadt zurück. Apropos, mein Lieber! 
wäre es Ihnen wohl gefälltg, die Frau des 
unglücklichen Menschen von diesem Trauerfalle 
zu benachrichtigen 
„Wenn Sie es. wünschen 79 
„Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, 
mein Freund! Solche Sachen sind mir über 
die Maßen peinlich, ich werde eine Summe 
beifügen, bieten Sie ihr die Hälfte der von 
nir früher ausgeworferen Leibrente an mein 
Boit, man ist ja ein Christ und hilft gern, 
wo man kann.“ 
sKinder sind ja wohl auch da; wissen Sie 
sufällig, wie groß die Familie ist ? Man 
fonnte ja nöthigenfalls für die Erziehung sor⸗ 
gen, das heißt, nicht über ihren Stand, es 
wäre ein Unglück für sie, wie für jeden armen 
Menschen; ein Jeder habe so viel Bildung, 
als ihm just in seiner Sphäre zukommt. 
Der Unglückliche hat wohl nur Mädchen 
hinterlesen Jñ 
Ich glaube wohl,“ versetzte Hartmuth, 
mühsam seine Empörung beherrschend. 
„Desto besser, sie bleiben stets bescheiden 
in ihren Ansprüchen und erben in der Regel 
gichts von den Extravaganzen des Baters. 
Schreiben Sie der Frau, ich würde die Mäd⸗ 
chen bei irgend einem Pfarrer auf dem Lande 
unterbringen, — lieber Gotte! die armen 
Dinger, sie exxegen mein ganzes Mitleid!“ 
Der reiche Mann hatte sich in eine förm⸗ 
liche menschenfreundliche Begeisterung hineinge⸗