oben im Erker brannte ein schwaches Licht,
es mußte die Schlafkammer der alten Frau
sein. Er dachte an die Kinder seines Freundes,
legte rasch, ohne si d zu besinnen. eine hohe
Leiter, welche im Garten lag, an die
Mauer und stieg mit turnerischer Behendig⸗
leit hinauf.
Vor den Fenstern des Erlkers, welche in
den Gatten hinausgingen, waren die Vorhänge
zurückgeschlagen und die Fenster geöffnet. Die
Großmutter saß an ihrem Tische und las,
die alten, schwachen Augen mit einer Brille
bewaffnet, in einem großen Schriftstück. Seit⸗
wärts schlummerte eine rüstige Wärterin, in
eirem Lehnstuhl.
Die alte Dame schaute sich wiederholt
mit einer Art Besorgniß nach der Schlafen⸗
den um, als fürchte sie, von dieser überrascht
uind in ihrem jetzigen“ Vorhaben gestört zu
werden.
Sie nahm jetzt eine Feder zur Hand und
begann zu schreiben, von sichtlicher Angst vor
der Wärterin beherrscht; jetzt war sie zu
Eude, streute Sand darüber und ketzie ein
Siegel unter ihren Numen, wie es schien. Als
die Schlafende sich im Lehnstuhl herumwarf,
serbarg sie zitternd das Schriftstück.
Hartmith sah Alles, mit einem Sprunge
ounte er bei der Großmutter sein, welche
offenbar eine Gefangene war, die Gefangene
des eigenen Sohnes. Er zitterte vor Aufre⸗
zung. und wagte es doch nicht, eine Geräusch
ju machen, aus Furcht, die Greisin tödlich zu
erschrecklen und sich der Gefahr auszusetzen,
pon der Wärterin als gemeiner Dieb gebrand⸗
markt zu werden.
In seiner Aufregung brach er einen dürren
Zweig ab, welcher sich anu's Fenster hinauf⸗
jog, die Großmutter schreckte zusammen und
spähte dann forschend nach dem offener Fen⸗
sser; die aus dem Sarge Erstandene kannte
leine Furcht.
Harimuth zeigte sich, das volle Licht der
Ldampe fiel auf sein Gesicht.
„Gott, Du hast mein Gebet erhört,“ mur⸗
nelte die alte Dame und schritt geräuschlos
auf dem dicken Teppich zu ihm hin.
Sie reichte ihm das Schriftstück, welches
sie soeben untersiegelt, und zog noch einen
Brief aus ihrem Kleide, den sie ihm still⸗
chweigend einhändigte. Dann legte; fie den
Zeigefinger der Linken bedeutungsvoll an ihre
dippen, während sie die Rechte wie zum
Schwur erhob.
Hartmuth verbarg die Papiere und sprach
o leise, wie ein Windhauch: Ich schwöre
Treue und Verschwiegenheit!“ worauf die
Broßmutter mit wehmüthigem Lächeln geräusch
os auf ihren Blatz am Tische, zurück⸗
ehrte.
Ebenso rasch und geräuschlos, wie er ge⸗
cmmen, verschwand Hartmuth von der
deiter, diese wieder an ihren alten Platz
egend.
Er verbarg die Papiere sorgfältig auf
jeiner Brust und beschloß, falls sie, wie er
hoffen durfte, von Wichtigleit für die Zukunft
der Waisen waren, ein sicheres Versteck, als
das im Hause des Commerzienraths, für sie
zu suchen. F
Dann eilte er geflügelten Schrittes nach
Hause.
Als er die Seitenthür, zu welcher man
ihm einen Hausschlüssel eingehaändigt, öffnete,
prallte er erschreckt zurück, ein heller Schein
erleuchtete sein Gesicht und mit den Worten:
„Es ist der Rechte!“ fühlte er sich von kräf⸗
tigen Fäusten ergriffen und festgehalten.
„Was soll das?“ fragte er erstannt,
„wer wagt es, mich hier in diesem Hause so
jzu keschimpfen ?“
„Die Polizei!“ lautete die Antwort,
„im Namen des Gesetzes, Herr, sind Sie
unser Arrestant“ J
„Und wer soll ich sein 7Welches Ver⸗
brechens beschuldigt man mich 7“ fragte Hart⸗
muth ruhig. —
„Sie sind der Hauslehrer Hartmuth, im
Verdacht eines bedeuteuden Gelddiebstahls.“
„Wer beschuldigt mich eines solchen gemei⸗
nen Verbrechens!“ fragte der junge Mann
ruhig weiter.
„Das werden Sie später erfahren, jetzt
nuß ich Sie ersuchen, uns ruhig zu folgen,
jalls Sie uns nicht zu Sicherheitsmaßregeln
zwingen wollen ·· J
Hartmuth athmete schwer, er fühlte, von
vem dieser Schlag ausging und sah sich zur
Ohnmacht verdammt; wie konnte der redliche
Mann auf eine solche Bosheit gefaßt sein«