Full text: St. Ingberter Anzeiger

„Erfüllen Sie meine Bitte,“ wiederholte 
Harimuth dringend. 
‚Nun gut,“ versetzte Steinhöfer nach kur⸗ 
zem Kampfe, „es mag geschehen. Nehmen Sie 
Ihre Sicherheitsmaßregeln, mein Herr!“ wandte 
er sich zu dem Beauten und schritt hastig der 
Treppe zu. 
Hartmuthe lächelte verächtlich; von 
Polizei gefolgt, begab er sich mit Egin 
nach seinem Zimmer. Jene postirten sid 
der Thür urd draußen vor den Fenn— 
um ein Entkonmen zu verhindern. Fe 
Mann dachte nicht an Flucht. 
Hartmuth, welcher unterwegs 
Briefe und Papiere zu einem Packet gesorint, 
gab dasselbe dem Knaben, welcher dieses rasch 
auf Ler Brust verbarg. Dann iitnete der 
lunge Mann die Thür und üb⸗rneferte sich 
der Polizei, während Eginhard still und ge⸗ 
horsam in sein Schlafgemach zurückkehrte. 
Die Mutter war nicht mehr sichtbar für 
ihr Kind, doch der Commerzienrath hbarrte 
Eginhards bleich und ungeduldig. 
.Mein Sohn,“ begann er, „Du hast mich 
heute Abend sehr betrübt. ““ 
„O, still, Papa!“ rief der Knabe heftig, 
„ich hab es ihm versprochen, gehorsam zu sein, 
sonst würde ich Dir sagen, wer der eig niliche 
Dieb des Geldes ist.“ 
„Nun, da bin ich aber doch begierig,“ 
meinte der Vater unruhig, „es scheint mir, 
als habe der saubere Herr Lehrer Dich zum 
Lügner und Verleumder herangebildet. Darum 
also bestand er auch so dringend darauf, mit 
Dir allein zu sen.“ 
„Rein, nein,“ rief Eginhard mit blitzen« 
den Augen, „er hat mir stets gelehrt, die 
Wahrheit zu lieben. Aber ich weiß Alles, — 
Alles — warum Mama ihn fortschicken will 
und Du ihn jetzt zum Diebe machst.“ 
Thörichtes Kind!“ rief der Commer⸗ 
zienrath und sein Gesicht wurde aschgrau, 
„sollte der Elende es gewagt haben, Deine 
Eltern in Deinen Augen herabiusetzen! 
Wehe ihm — 
RiEginhard schüttelte energisch den schönen 
Eockenlopf, er war wie umgewandelt und hatie 
nur den einen Gedanken, den Einzigen, wel⸗ 
chen er auf Erden liebte, zu befreien. Was 
tümmerten ihn die Elter, hatte die Mutter 
jemals ein Herz fi ihn gehabt? 
Alles, was ec eliebt, war ihm durch sie 
geraubt worden, Haurtmuth und die alte Groß⸗ 
mutter. — Und der Vater ? Er überschüttete 
ihn frejlich Saßit Zärtlichkeiten, erfüllte seine 
leisesten Wünsche, — als der Knabe jedoch 
einst, es mochte ein Johr her sein, aus seinem 
Munde vernommen, daß er in aͤhm nur den 
kůnft: . Erben seines Namens liebe, — des⸗ 
hatto sorgsam sein Leben und seine Gesund⸗ 
heit behüte, so zog sich der nach wahrer Liebe 
dürfstende Knabe still in sich selbst zurück, bis 
kurz; darauf Hartmuth sein Lehrer; und sein 
Freund wurde und sich des seinen Jah en 
weit vorangeeilten Knaben Neigung im höchsten 
Grade gewann. 
„Du weißt es so gut als ich, daß Hart⸗ 
muth kein Dieb ist, mich auch nichts Vöses 
und Unrechtes gelehrt hat,“ sprach er lang⸗ 
jam, „und wenn er morgen nicht zu mir zu- 
rücktehrt, dann werde ich's der Polizei sa⸗ 
gen, wer der eigentliche Dieb ist. Gute 
Nacht, Papa!“ 
Der Commerzienrath stand wie versteinert. 
War das der weiche, furchtsame Eginhard 
von ehedem? — Welcher Geist war in den 
Knaben gefahren ? 
Er wollte mit dem Kinde scherzen, es ge⸗ 
lang nicht, das Wort erstarb ihm auf der 
Lippe: er wollte zürnen, Gehorsam und Un—⸗ 
terwerfung fordern, ihm fehlte der Muth dazu, 
der reiche, stolze Mann bebte vor einem 
Kinde V 
Als die großen Augen desselben ihn so 
ernst und vorwurfsvoll anschauten, schlug 
ihm das Gewissen — das war der ZJluch 
einer Todsünde! 3 
Er seufzte tief auf und verließ das 
Zimmer. 
Eginhard stand unbeweglich vor seinem 
Bette und horchte den sich entfernenden Schrit 
len des Vaters. 
Als sie verhallt waren, stand er in zwei 
Sätzen bei der Thür, um sie zu verriegeln, 
und leuchtete überali umher, um sich zu uͤber⸗ 
zeugen, daß auch keine fremde Seele sich in 
sein Geheimniß zu drängen vernögge. — 
Sein Bücherschrank, wo er das Packet, 
ohne es auch nur anzusehen, verbarg, dünkte