Herr!“ versetzte die Wittwe gleichgültig;
„mich interessirt es wenig, da ich Niemand
davan kenne. — Ah, mein Soehn!“
Mit diesem letzten Ausruf wandte sie sich
an einen Knaben von zwölf Jahren, welcher
in diesem Augenblick in's Zim mer trat.
Er war der Mutter Ebenbild, dasselbe
schöne energische Antlitz, dieselbe stolze, vor—⸗
vehme Haltung der schlanken. hoch aufge⸗
schossenen Gestalt. Um den festgeschlossenen
Mund lag ein ausgeprägter Zug unerbittlicher
Willenskraft und tiefen Erustes.
Frauk blickte ihn überrascht an, er kannte
zum Theil die Geschichte des jüngeren Sohnes
aus dem Munde der Commer zienräthin, man
hatte von zwei Kindern desselben gesprochen,
es sollten beide Mädchen sein. Jetzt producirte
sich plözlich ein Sohn, und, wie es schien,
ein bedeutender, aus welchem der Firma
Steinhöfer dereinst ein gefährlicherer Erbe
erwachsen konnte, als aus dem Schwärmer
Eginhard.
Sie besihen einen Sohn?“ fragte er,
seine unangenehme Ueberraschung verbergend.
Diesen theueren Sohn und ein kleines
Töchterchen,“ versetzte die Wittwe, den Knaben
mit mütterlichem Stolze betrachtend.
Ferdinand reichte der Mutter die
Hand und grüßte den Fremden mit freiem
Anstande.
.Ich komme von Onkel Brandt,“ rief
er mit blitzenden Augen; „o, Mütterchen! wie
danke ich Dir für Deine Einwilliguung, jetzt
gehr's nach Amerika, Huriahl!“
Er warf feine Mütze in die Höhe und
umschlang die Multer mit beideu Armen.
SEei ruhig, Kind!“ sprach sie leise, „wir
sind nicht alein..
Wer ist der fremde Herr!“ fragte der
fröhliche Knabe rasch. J
„Ein Freund vom Onkel Brandt, der mit
ihm die Reise hierher gemacht··.
Freund?“ wiederholte Ferdinand, ihn
finster forschend betrachtend, „wohl derselbe
Herr, welcher den guten Onkel auf der Reise
wie ein Dieb verhaften ließ ——
„Ferdinand !
.Der Onkel hal's mir selber erzählt,“
fuhr der Knabe mit einer stolzen Kopfbe⸗
wegung fort, „die Polizei mußte ihn auf
Befehl dieses Mannes verhaften, und der
Mann wagt sich seinen Freund zu nennen?
Das leide ich nicht, denn der Onkel ist zu
gut, ich hätte ihn derb gezüchtigt.“ J
„Mein Dott, was sicht Dich an, wein
sind?“ rief die Mutter streng, „seit wann
tritt mein Sohn Sitte und Höflichkeit wie
ein. Gassenbube mit Füßen? Verhält es
sich, wie er sagt, mein Herr?“ wandte fie
sich an Frank. J
„Groößtentheils ja, verehrte Frau!“ ver⸗
setzte dieser. „es war ein unseliges Mißver⸗
tändniß, welches der gute Kapitän mir sogleich
zon Herzen vergab; wir sind in der That gute
Freunde geworden.“ F
„Capitän, Brandt hat mir nicht eine
A
denkend.
.Sie sehen daraus, wie geringfügig ihm
die Sache erschien. Ihr kleiner Sohn scheint
ein Brausekopf zu sein, ich würde ihn an
Ihrer Stelle nicht nach Amerika senden, —
Republiken sind schlimme Pflanzschulen für
derartige Hitzksöpfe.
„Spion!“ schrie Ferdinand. mit unge⸗
wöhnlicher Heftigkeit, hättest wohl Lust, mich
auch der Polizei zu überliefern, wie den
Onkel.“
Frank erbleichte; er verlor bei dieser
Beschimpfung seine Selbstbeherrschung und
schleuderte dem Knaben einen furchtbaren
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„Nein, das geht zu weit,“ sprach die
Mutter mit bebender Stimme. er, war
niemals so, bitte den Herrn um Ver⸗
jeihung, Ferdinand! und dann geh auf Deine
Kammere e. —
„Um Verzeihung? — Niemals!“
Det Ton des Knaben war so entschieden,
daß bei einem Zwange das Schlimmste zu
befürchten stand.
ZBitte, lafsen wir's gut sein,“ sagte Frank
mit freundlicher Miene, „ein Kind kann mich
nicht beleidigen; die Annahme wäre mehr
als kindisch. Die Abneigung Ihres Sohnes
betrübt mich, das ist Alles, vielleicht wer⸗
den wir später doch noch einmal ganz gute
Freunde.. ,
Ferdinand schwieg, die schwarzen Augen
fest zu Boden gesenkt.