Anterhaltungsblatt
zum
St. Ingberter Anzeiger.
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Nr. 136.
steinhöfer und Sohn.
Von Emilie Heinrichs.
Die Frau konnte], vorß Aufregung und
Verzweiflung kaum die Mittheilung von dem
plötzlichen Verschwinden des Kindes machen.
Der Inspektor erschrack sichtlich, — er
ging einige Male rasch auf und nieder und
dersprach dann sogleich seinen thätigen Bei⸗
tand. „Bleiben Sie bei der armen Frau
Steinhöfer,“ sagte er theilnehmend, „ich werde
'ogleich hinkommen.“
Als fich Frau Brandt entferntahatte, rief
der Inspektor einen Officianten, welcher den
Nachtdienst hatte.
„Sie werden sich soçleich in das Hotel
„Zum Kronprinzen“ begeben, Krause, und
dort bei dem Portier oder Wirth genaue
Nachfrage halten, welche Fremden mit dem
Nachtzuge abgereist sind. Von da ab erwarten
ie mich am Bahnhofe.“
„Sehr wohl, Herr Inspeltor!“ J
Der Officiant verließ das Haus, — bald
darauf der Inspektor, welcher sich gerades⸗
vegs nach der Wohnung der Wittwe Stein—
zöfer begab.
Als er in's Haus trat, körte er ein lei⸗
ses Schluchzen und Klagen; durch die nur
ingelehnte Thür der Wohnstube schimmerte
dicht, er klopfte und stand auf der Schwelle,
vo er betroffen stehen blieb.
Es war Fran Brandt, welche so laut
'ammerte und klagte, während die unglückliche
Wittwe auf dem Sopha saß und mit weit
zeöffneten Augen vor sich hinstarrte. In kurzen
Zwischenpausen strich sie sich langsam über
die Stirn und sprach tonlos die Worte:
„Alles todt! Alles todt!“
„O, Herr Inspektor!“ rief Frau Brandt
(Fortsetzung.)
„Wo ist mein liebes Kind!“ rief die
Mutter in Todesangst.
„Es schläft auf dem Sopha, liebe Freun⸗
din! Mein Gott, was fehlt Ihnen? — Das
Kind —“*
Sie sprang auf und blickte nach der
leeren Ecke, Todtenblässe überzog ihr Gesicht.
„Es muß da sein, ich setzte mich neben
das Kind um zu wachen und muß darüber
eingeschlafen sein. Clara! Clara!“
Sie nahm mit zitternder Hand das Licht
und durchsuchte alle Räume des Hauses von
oben bis unten, das Kind mußte sich irgendwo
verstedt oder nach der Mutter gesucht. haben.
Diese folgte ihr mechanisch, alles Leben schien
aus dem starren Antlitz entwichen zu sein.
Frau Brandt eille in den Garten, nir⸗
gends eine Spur von dem Kinde, die arme
Frau war in Verzweiflung.
„Clärchen! Clärchen! O, heiligek Gott!
Du wirst so schwer mich nicht strafen!“
Sie kehrte in's Haus zurück und, stolper ie
über einen Gegenstand, — die arme, unglück⸗
liche Mutter lag bewußtlos am Voden.
Wie von Furien gehetzt flog Frau Brandt
nach dem Polizeigebäude, — dort war noch
Licht; der Inspektor, welcher seine Wohnung
hier hatte, saß noch mit Schreiben beschäftigt
in demselben Zimmer, wo er mit der Wittwe
die kurze Unterredung geführt.