Full text: St. Ingberter Anzeiger

traurigen, halb glücklichen Zug um die kirsch⸗ 
rothen Lippen spielen, die das erste Vergessen 
der Kindheit am deutlichsten verräth. 
König Heinrich hatte einen schurfen durch⸗ 
dringenden“ Blick. Ihm war es nicht ent⸗ 
gangen, wie die blauen Augen seiner Lieb⸗ 
lingsschwester oft wohlgefällig auf der männ⸗ 
lich schönen Gestalt seines neuen Freundes und 
Günstlings ruhten, wie Prinzeß Mary er⸗ 
röthend den Olick zu Boden senkte, wenn sie 
bemerlte, daß sie in solchen Momenten von 
ihrem gestrengen Bruder beobachtet war, und 
obgleich dieser nicht den leisesten Gedanken 
hegte, daß eine Verbindung jzwischen seinen 
Dause und dem Ritter Brandon im Bereiche 
der Möglichkeit lag, so fand er doch eines⸗ 
heils eine solche Liebelei zu unbedeutend, um 
ihr weitere Beachtung zu schenken, anderen⸗ 
theils hielt er sich jeder Zeit fähig und berech⸗ 
tigt, seine Schwester zu verheirathen, wie 
eg ihm paßte, und ihm den mieisten Vortheil 
brachte. waicen 
Also warum den Traum, worin sich, seiner 
Meinung nach, beide befanden, stören ? Auch 
er hatte einst geliebb; glühender, heißer viel⸗ 
leicht, als diese Kinder, und er hatte seine 
Liebe der Vernunft geopfert. Um sein Bünd⸗ 
niß mit Spanien gegen Frankreich zu befe⸗ 
stigen, heirathete er die, Frau seines verstor⸗ 
henen Bruders Arthur, Katharina von Arra⸗ 
gonien. Katharina war weder durch Schön- 
heit des Geistes, noch Körpers ausgezeichnet, 
sie war weder liebenswürdig noch anmuthige 
aber diese Verbindung paßte für seine Zwecke, 
und eben darum opferte Heinrich ihr seine 
erste, und wie er jeßt noch glaubte,“ ein⸗ 
sige Liebeß 
Mochte“ auch Marydlücklich sein, und 
dann einsehen, daß die Politik nichts nach 
dem Herzen fragt und eine Prinzessin keine 
Verbindung aus Liebe eingeht, sondern wie fie 
das —S Staates erfordert. 
AUnter diesen umd ähnlichen! Gedanken 
beobachiete der Kbnig das verrätherische Mie⸗ 
nenspiel der beiden jungen Leute, und er 
lonnte nur aus Rücksicht für das Zartgefühl 
seiner Schwester an sich halten, keine darauf 
zezüglichen Anspielungen zu machen. 
Am Abend desselben Tages war es in 
illen angesehenen Familien Londons bereits 
bekannt, wie hoch der Herzog von Suffolk in 
der Gunst des Königs stand, und der Létztere 
tieb sich schadenfroh die Hände, als er sah, 
vie der älteste Adel sich um ein freundliches 
Wort von den Lippen seines Günstlings 
hemühte. Auch Charles Brandon selbst kunnte 
äch eines Lächelns nicht erwehren, als er der 
Worte des Königs gedachte, und er fühlte 
ich ganz zufrieden in seiner neuen Stellung; 
ats er mit Prinzeß Mary zum Tanze antrat, 
hlickte er so stolz und siegesgewiß um sich, als 
zehöte ihm die Welt alleinn. nin 
Wie schön waͤr die Prinzessin in ihrem 
veißen, mit Gold und Silber gesticktem At⸗ 
lastleide; der zarte, schneeige Nacken und die 
vollgerundeten Arme blitzend von köstlichem 
Beschmeide, aber köstlicher als all' die Edel⸗ 
tteine glänzten ihre Augen voll reinen, unge⸗ 
trübten Glüks — noch hatte keinkalter 
Rachtfrost ihre Träume und Hoffnungen zer⸗ 
stört, noch sah fie nicht die düstern Wolken, 
die sich drohend an ihrem Lebenshimmel zu⸗ 
jammenzogen. 
Gaortsetzung folzgdt. 
27.0annigfaltigess. 
(Ein mißlungener gegensecttiger Verhaf⸗ 
ungsversuch.) Zwei Trunkenbolde in Mediasch, 
die sich in einem Pester Vorstadtswirihshaufe 
den üblichen Affen geholt hatten, geriethen 
beim Nachhausegehen in später Nacht in Streit, 
ohrfeigten sich nach Kräften und da sich Jeder 
für den unrecht Beschädigten erachtete, unter⸗ 
nahmen sie es, sich gegenseitig auf die Volizei 
zu führen und einsperren zu lassen. Eo kamen 
sie, sich gegenseitig durch die Gassen vorwärts⸗ 
stoßend und mit der Polizei drohend, bis zur 
Polizeidirection, woselbst sie das Thar ver⸗ 
perrt und keine“ öffentliche Sicherheitsseele 
antrafen. Beide pochten mit den Fäusten au 
das Thor, jedoch vergebens, und gingen dann 
mit dem gegenseitigen Drohungeruf: ,Dein 
Blück, daß die Polizei sich schlafen gelegt hat, 
auseinander.“ *2 * 
. — 2 —— 
aee Druch und Verlag von F. X. Dee mae kein St. Ingbert.. — * 3*.e