Full text: St. Ingberter Anzeiger

es nicht so dunkel gewesen, so hätte der Herzog 
das liebliche Erröthen der Prinzessin bei diesen 
Worten gesehen. „Ich war namenlos glücklich, 
daß ich meine Schüchternheit nicht bewahrte, 
wie es sich wohl für ein sittsames Mädchen 
zepaßt hätte. Aber Charles —“ fügte sie 
tammelnd hinzu, „ich habe Dich so unend⸗ 
lich lieb!“ 
„Behalie mich ewig so lieb, meine süße 
Mary,“ flüsterte der Herzog gerührt, „wenn 
sch auch nicht weiß, womit ich die Liebe des 
schönste⸗, holdefsten, liebenswürdigsten Wesens 
berdient habe. Durch Deine Liebe gibst Du 
mir das höchste Erdenglück, und ich sehne 
mit Ungeduld den Augenblick herbei, wo ich 
bei dem Könige um Deine liebe, kleine Hand 
anhalten darf.“ 
Noch nicht, Charles, noch nicht!“ flehte 
Prinzeß Mary. „O, verdirb nicht Alles durch 
Deinen Ungestüm! Der König liebt mich, er 
hat mich so oft versichert, daß er nur mein 
Glück wolle, und ich selbst werde es mir von 
ihm erbitten.“ 
„Du, Mary?“ sfragte der Herzog halb 
erstaunt, halb unwillig. „Das dulde ich nicht. 
Ich werde selbst um die Geliebte beim Kö— 
nige anhalten, umn damit dem rechtmäßigen 
Gang der Dinge, wie er von Anfang her 
gewesen ist, zu genügen, und ich hoffe zu 
Gott, daß mein sehnlichster Wunsch er⸗ 
füllt wird.“ 
IIch fürchte, Charles, Dein Stolz bringi 
Dich auf einen unrechten Weg,“ euntgegnete 
die Prinzessin betrübt. „Du kennst Heinrich 
nicht. Er hat das beste, edelste Herz der 
Welt, aber er wäre im Stande, wenn Du 
um die Hand einer königlichen Prinzessin 
anhieltest, die ich nun doch leider einmal bin, 
darin einen Uebermuth zu erblicken, und dann 
wäre Alles verloren. Sei vorsichtig um unserer 
Liebe willen l“ 
„Wenn mich die Vorsicht nicht zurückhielte, 
Geliebte, ich ginge noch in dieser Stunde zum 
skesnige und forderte von ihm mein ganzes 
künftiges Lebensglück,“ rief Charles Brandon 
jseurig aus. „Wir — oder vielmehr ich — 
Mary — habe einen gefährlichen Feind, der 
noch zu hoch in der Gunst Deines königlichen 
Bruders steht, als daß er mich nicht vernich— 
len lönne. Wir haben uns gegenseitig kein 
deid zugefügt, aber wir fühlen, daß wir uns 
hassen und unsere Wege niemals zusammen 
zehen können, daß der Herzeg von Suffolk, 
der wahre, aufrichtige Freund des Königs und 
der egoistische, ehrgeizige Bischof Wolseh memals 
nebeneinander bestehen werden. Also entweder 
— oder. Noch fühle ich meine Kräfte denen 
des falschen Pfaffen gewachsen, und ich werde 
ie anwenden, den König und den Staat 
»on diesem blutsaugerischen Vampyr zu befreien. 
Dann, Mary werde ich um Dich beim Könige 
uhalten, und mir wird ein Glück zu Theil, 
vas ich, so lange Wolsey am Ruder, nicht 
genießen werde. Weder Deine Bitten, noch 
die meinigen reichen so weit wie die List 
eines ränkesüchtigen Pfaffen. Dir dies zu sagen, 
jat ich Dich hierherzukommen, meine Geliebte, 
ind nun habe Muth und Geduld; meine 
eigene Sehnsucht, das Ziel meines Strebens 
u erreichen, bürgt dafür, daß ich handeln 
werde.“ 
„Wolsey 7“ murmelte die Prinzessin tonlos 
ind der Herzog fühlte das Beben ihrer Gestalt. 
„Du willst es wagen, mit dem Manne einen 
dampf einzugehen, dessen Grundsätze kaum 
zinen ungünstigen Ausgang zweifelhaft lassend“ 
„Berudige Dich, Mary, ich werde diesem 
Wolsey gegenüber klug sein wie die Schlangen. 
Der Mann geht auf keinen offenen, ehrlichen 
dampf ein — Hinterlist und Tücke find seine 
Bundesgenossen, und dagegen kann ich allerdings 
nicht kämpfen. Ich werde dem Konig die 
Augen über diesen vermeintlichen, treuen 
Kathgeber zu öffnen suchen, und derselbe wird 
sich weigern, einen Mann in seiner nächsten 
Umgebung zu behalten, dem sein eigenes In⸗ 
eresse und Wohlergehen höher steht, als das 
des Staates. Doch still — was war das ?“ 
In demselben Augenblick trat Mary's 
Begleiterin in den Eingang der Laube. 
„Es ist eilf Uhr, Mylady,“ flüsterte fie, 
„wir haben dem Diener befohlen, halb zwöls 
Uhr das Seitenpförtchen zu schließen, ich glaube, 
wir müssen eilen.“ 
GFortsetzung folgt.) 
Druck und Verlag von J. X. Demneß in St. Ingber“.