Full text: St. Ingberter Anzeiger

plötzlich und unerwartet geschlossen, ohne daß 
man, selbst in den nächsten Kreisen des 
Königs, irgend welche Ahnung non den Frie ⸗ 
denspräliminarien hatte. Das Volk athmete 
indessen erleichtert auf, der königliche Palast 
wurde der Schauplatz der rauschendsten Ver⸗ 
guügungen, und der König selbst schien wie 
neu belebt, während der Erzbischof von PYork 
höher und sicherer fin der Gunst desselben stand 
als je zuvor. b 
Alles athmete Lust und Freude im Schlosse, 
nur ein Herz schlug voll banger“ Ahnungen 
und Befürchtungen, obgleich die Angst vor dem 
zeftigen, aufbrausenden Character ihres Ge⸗ 
ljebten die Prinzeß Mary hinderte, dieselben 
dem Herzog von Suffolk mitzutheilen. 
Die zweidentigen Anspielungen ihres kö⸗ 
niglichen Bruders auf ihzre bevorstehende Ver⸗ 
bindung, auf eine Stellung, die fie demnächst 
einnehmen würde, und daß er hoffe,“ stets in 
ihr eine treue Verbündete zu sehen, erfüllte 
sie mit banger Sorge für die Zukunft. Ver—⸗ 
gebens suchte sie den vollkommenen Sinn 
seiner Worte zu erforschen und manche Thrüne 
des Kummers rann in dunkler, verschwie⸗ 
zener Racht über ihre Rosenwangen auf die 
weichen Kisse. 
Auch der Herzog von Suffolk fühlte sich 
nicht mehr so sicher und ruhig,“ als in jener 
Racht im königltchen Schloßzarten, wo sein 
jugendlicher Uebermuth ihm die Hand einer 
Prinzessin so leicht erreichdar erscheinen ut 
daß nicht einmal der leiseste Zweifel an da 
Gelingen seines Planes in ihm austauchte.“ 
Zwar bewies sich der König in seiner 
Gnade ihm gegenüber unveränderlich, die 
Freundschaft für den Ritter ließ ihn manche 
Nachsicht gegen denselben üben, und gestatteten 
ihm Freiheiten, die König Heinrich von keinem 
seiner Höflinge geduldet hätte, aber neben dem 
Herzog und vielleicht noch höher als dieser 
stand der Erzbischof von York, so ficher und 
ftotz, daß sich alle Welt vor ihm, wie vor 
einem Konige beugte. a 
Ihn zu ftürzen, war eine vollkommene 
Unmöglichkeit, und was noch schlimmer als 
das, war der Umstand, daß der König be⸗ 
reits zu wiederholten Malen den Wunsch aus⸗ 
gesprochrn hatte, der Herzog mögesich eine 
hin ebenbürtige Gemahlin aus dem Kreise des 
hohen alten Adels wählen, um so seinen neuen 
Rang und Titel noch mehr zu befestigen. 
Und doch wußte der König um seine 
diebe zur Prinzeß Mary, doch hatte er seinen 
Freund so oft geneckt, wenn er dessen Augen 
mit dem Ausdruck unendlicher Liebe auf seiner 
Schwester haften sah und diese mit lieblichem 
Erröthen den Blick zu Boden senkte, Aufangs 
hatte per“ Königsch rzend den Wunsch ausge⸗ 
sprochen, den Herzog in eheligen Banden zu 
sehen, aber allmählich —war es ein ernsteres 
Drängen geworden, und er sah kein, daß er 
dem Könige auf die Dauer nicht wiederstehen 
könne, ohne einen ttiftigen Grund für seine 
Weigerung/ anzugeben. 124 
Nach einer schlaflosen, traurig verlebten 
Nacht erhob sich Prinzeß Mary von ihrem 
Lager. Ihr königlicher Bruder hatte sie am 
dorhergesgenden Abend um eine Unterredung 
jür den heutigen Tag bitten lassen, und fie 
sah dieser Stunde mit ungewisser Angst und 
Furcht entgegen. Sie fühlte die Schwüle der 
Atmosphäre, die einem Gewitter vorherzugehen 
pflegt, und wußte nur nicht, von wannen es 
sich entladen würde. J 
Sie saß jetzt angekleidet auf dem weichen 
Sopha in ihrem reizenden Boudoir, das au 
Beschmack und Luxus alle andern königlichen 
Zimmer übertraf. Prächtig geschnitzte Meubles, 
mit jchwellenden Polstern von roth⸗ und gold⸗ 
zestißter Seide, schwere Vorhänge, weiche 
Teppiche und dann noch die vielen Luxusge⸗ 
genstände, kostbare Gemälde und Statuen — 
kurz, alles was Reichthum und Geschmack 
hervorzuzaubern vermögen. 
Die Prinzessin trug ein weißes Morgen⸗ 
kleid mit btauen Schleifen, ein kokettes Häub⸗ 
hen von Spitzen vermochte nicht die üppigen 
docken zu bergen und diese drängten sich nach 
allen Seiten hetvor. Der kleinste Fuß, der 
se einen Teppich betrat, ruhte in gestickten 
Schuhen auf einem schwarzen Sammeikifsen 
währeud die schmale, feine Hand der Prin⸗ 
zessin eifrig beschäftigt war, die hellen Tropfen, 
die dann und wann über die ungewöhnlich 
blassen Wangen herabglitten, mit dem Spitzen⸗ 
tuche zu trocknen. 
Athemlos lauschte sie auf jedes Geräusch, 
zitternd vor Angst, den gefürchteten“ Schritt 
des Königs zu vernehmen. Selbst mit Ruth,