Full text: St. Ingberter Anzeiger

„Und Dein Bruder, Mary, der Nöonig, 
was wi 7 
„Still, Getiebter,* unterbrach ihn Mary, 
„sprich nicht von ihm, dem ich diese lange 
Racht der Traurigkeit zu danken habe. Er 
joll mich nicht zum zweiten Male verkaufen, 
jetzt nehme ich mir mein Glück, was er mir 
verweigern würder Ich⸗ habe empfunden, wie 
schwer es ist, eine Kronet zu troten, ich 
werde mir icht die zweite auf mein Haupt 
drüdken lassen.“ 
Sie plauderte weiter und weiter; sie flü⸗ 
sterte so leise und viel, bis endlich der Herzog 
selvst aufbrach. 
„Lebe wohl, Mary, nun bald mein auf 
ewig!“ 
Sie nickte ihm mit einem strahlenden, 
alüdlichen Lächeln zu; dann schloß Suffolt 
noch einmal die Geliebte in seine Arme und 
verließ das Gemach. 
Kaum eire Woche später, es war in einer 
kalten, unfreundlichen Frühlingsnocht, verließen 
vier Gesialten durch ein Seitenpförtchen dats 
königliche Schloß, wahrend in demselben Augen⸗ 
blick eine Anzahl Herren, in große Mantel 
gehüllt, von der andern Seite des Schlosses 
in's Freie traten und denselben Weg einschlu⸗ 
gen, den kaum zwei Minuten früher die vor⸗ 
hin ernähnten Gestalten eingeschlagen — den 
Weg nach der Schloßkapelle. Mitternacht war 
nahe, aber die Kapelle war geöffnet, auf dem 
Altare brannten vereits die Lichter und der 
Priester mit ¶ dem Meßbuche in der Hand 
stand davor. 
Die vier Gestalten waren niemand anders, 
als der Herzog von Suffolk, die Köonigin⸗ 
Wittwe und zwei Zeugen zu der heiligen 
Handlung, die hier vorgenommen werden 
jollte. Mary hatte nicht zum zweiten Malt 
ihr Glück den Händen ihres Bruders anver⸗ 
trauen wollen, sondern den sichersten und kür⸗ 
zesten Weg gewählnn, dem Zorye des Aönigt 
zum Trotzen den Geliebten zu bisitzen — ein 
heimtiche Trauung. Sie hatte ihm einst gesagt, 
daß die Folgen anf jein Haupt kommen wuͤr⸗ 
den,“ als er den Herzog von: Suffolk ihr 
zinn Ehren⸗Cavalier bestimmte * jeßt mochte 
er fie“ tragen.nn 
Der Priester hatte die heilige Handlung 
degonuen, freudig sprach anch Mary das bin⸗ 
dende „Ja,“ nachdem der Herzog ein lautes 
Ja“ hesprochen, und der Priester sagte das 
Schlußgebet. 
In demselben Augenblicke hörte man fest 
Männertritte, und eine Stimme die die nun? 
mehrige Herzogin von Suffoll sofort als di“ 
des Königs Franz erkannte, fragte: t 
4Was geht hier vor — eine Trauung um 
Mitternacht??“ *1 
. Einen kurzen.Augenblick überflog ein Zittern 
Mary's Gestalt, aber das Bewußtsein, un⸗ 
auflöslich mit dem Geliebten verbunden zu 
sein, gab ihr Muth und Besonnenheit zurück, 
und sich stolz und fest aufrichtend, stand sie 
an der Seite des Herzogs, ruhig den Ksnig 
und sein Gefolge erwartend. 
Ihr, königliche Majestät hier — zu 
dieser Stunde 77 fragte der König anscheinend 
voller Erstaunen. 
„Ja, ich din es, Majestät,“ gab Mary 
stolz und sicher zur Antwort, „aber nicht als 
Königin⸗ Wittwe. sondern als Herzogin ron 
Suffolk. Ew. Majestäi kommen zu spät, um 
Trauungäzeuge zu sein.“ 
„Ihr irrt Euch, Frau Herzogin,“ sagte 
der König mit seinem Lächeln, „wir waren 
Zeugen der Trauung, nur die Heiligkeit der 
Hhandlung hielt uns ab, dieselbe dutch einen 
ju frühen Eintritt zu unterbrechen, Nehmt un⸗ 
—R 
pündnisse entgegen, das wir längst geahnt,“ 
ügte er hinzu, „und seid versichert, daß wir 
alles thun werden, Eurem koniglichen Bruder 
diese Verbindung als das einzig wahre Glück 
der Frau Herzogin darzuftellen. Es thut uns 
nur leid, daß wir nicht Gelegenheit gefunden, 
dieses Hochzeitsfess in gebührender Weise zu 
feiern, doch hoffen wir, das Versäumte nach⸗ 
juholez.“ 
Epilog. 
„Dacht' ich's doch!“ murmelte der Erz⸗ 
bischof von York, als er durch seine Spione 
die Verbindung des Herzogs von Suffolt 
mit der verwiltwelen Königin erfuhr. „Ha, 
dieser Knabe, der es wagt, sich in eine Kö⸗— 
nigsfamilie einzudrängen, mir zu trotzen! Ich 
werde — ich muß ihn vernichten! Roch weiß 
der König nichts,“ fuhr er in seinem Selbfi-