Zum Beispiel?“ fragte Genevra errö—
ihend. Das alte Fräulein drohte mit erhobe⸗
nem Finger.
Ich hätte gute Lust Ihnen Vorlesungen
zu hallen. Kommen Sie einmal zu mir, und las⸗
sen Sie Cuthbert Kitty's Unterhaltung genießen.“
Genevra gehorchte sofort.
„Sie sprachen von mir,“ begann sie, als
Lord Cuthbert einige Schritte voraus war,
ich las es in ihren Zügen, und da Sie ge—
ärgert aussahen, konnte ich doch nicht „wür⸗
dig“ sein. Wollen Sie mir sagen, von was
Sie sprachen 7*
Tante Barbara zogerte. Würde es Cuth⸗
berts Wünsche fördern oder gefährden, wenn
das junge Mädchen wüßte, daß sein Herz jhr
zu Füßen liege 7
Des Vertrauens also nicht würdig,“ be⸗
merlte Genepra verletzt.
„Ich hoffe, Sie sind es, und um Ihnen
den Veweis zu liefern, werde ich Ihnen un⸗
sere Unterredung mittheilen, was selbstver⸗
ständlich nicht in Cutbberts Absicht liegt. Wir
sprachen allerdings von Ihnen, und Cuthhert
bestätigte meine Ansicht, daß Sie eines Dienstes,
gleich dem Jacobs, würdig seien.“ Genevra
Liohd erglühte, seufzte tief und blickte mit
hränenvosllen Augen zu-dem Fräulein auf.
.O Tantchen, haben wir Alle zweifache
Naturen ? Ich wähne es gibt zwei Cuthbert
Lyle, so unendlich verschieden, als Tag und
Nacht, vnd vielleicht ruht auch unter dem
kalten. Stolze, der von meinem Wesen unzer⸗
trennlich scheint, eine edlere, liebenswürdigere
Genevra. Ob sie wohl je die starre Rinde
flegreicb durchbricht Es kann sie wohl kein
Talismann, sondern nur heißer Kampf befreien.“
„Vielleicht gelingt die Aufgabe auch einem
treuen Ritter,“ lächelte Mißß Barbara, „denn
des Weibes Herz erdlüht erst in höchster Vollen⸗
dung, wenn der Liebe Kuß die F'ssel sprengt,
die das Herz erst in eisigem Schlafe erhielt.“
Inz wischen plauderte Kitth miit Lord
Cuthbert und suchte, so gut als moͤglich, die
eigene Befangenheit zu beherrschen.
„Die Mutter wird sich sehr freuen, Sie
zu sehen, Mylord, denn sie sehnte sich lange,
Ihnen danken zu dürfen.“
„Sie haben keine Ursache, mir zu danken,
mein Fräulein, und ich wäre glücklich, wenn
Sie das einsähen. Durch mich verloren Sie
Ihre eigentliche Stütze, und es ist nicht mehr
ais billig, wenn ich einigermaßen für Ihr
Wotl sorge. Wäre ich nicht nach Genf ge—
gangen, — doch Sie verstehen mich ohnehin,
und ich kann mich jener Episode nicht ohne
schmerzliche Bewegung erinnern.“
Armer, lieber Hugo,“ seufzte Kitty und
helle Thränen perlten über ihre Wangen.
„Sie liebten Ihren Bruder wohl innig?“
Ob ich ihn hebte? Hugo war so gut,
so edel, so unendlich großmüthig. Dennoch
ühlte ich die volle Bitterkteit des Verlustes
erft an dem Abende, da ich Sie zum ersten
Male fingen hörte. Sie waren itm so ähnlich.
daß ich nicht begriff, wie Sie nicht Hugo selbit
sein sollten, und Ihre Stimme vollendete die
Täujchung. Als man Sie dann Lord Cuthbert
nannte, übermannten mich die Gefühle, und
sch wähnte Hugo zum zweiten Male verloren.“
„Diese Aehelichkeit ist ein sonderbares
Spiei des Zufalles,“ entgegnete der junge
Mann, „uand ich dachte eben, wie Ihre Mut⸗
ter sie ertragen wird.“ J
Sie ist darauf gefaßt. Hu go selbst er⸗
wähnte sie in seinen Briefen, und ich verbarg
hr den Eindruck, den ihr Anblick auf mich
nachte, ebenso wenig. Zudem ist sie ernst und
uhig und wird ihre Gefühle wenigstens nicht
zußerlich zeigen, so sehr sie auch darunter leiden
mag, denn ihre Liebe zu Hugo war mehr als
gewöhnliche Mutterliebe, er war nicht nur ihr
Sohn, er war ihr innigster Freund.“ Schluch⸗
jen erstickte Kitiy's Stimme. Lord Lyle hatte
das Haupt abgewandt. Hätte sie die Blässe,
den AÄusdrick namenloser Qual seines Antlitzes
Jesehen, sie würde ihren Gedanken nicht so
offen Ausdruck gegeben habhen.
Wohl weiß ich,“ fuhr sie nach kurzer
Pause fort, „daß im Herzen meiner Mutter
rine Sielle ist, die ich nicht füllen, ein Heilig⸗
hum daß ich nichtt betreten darf, Wenn Sie
mit Hugo im geistigen Verkehr steht, lese ich's
n dem verklärten Lächeln, dem heiligstillen
Ausdruck ihrer Züge.“ (Fortsetung solgt.)
Dreud und Berlag von F. ĩ. Demes in St. Inabert. J