Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anterhaltungoblatt 
—2 — 
zum 
F — * J 
2 
—* * 777 
St Ingberter Anzeiger.““ 
Nr. 254. 
Sonntag, den 26. Ferrar 
187. 
Lord Lyfse. 
Nach dem amerikanischen Originale des 
Charles T. Manners. 
Erei bearbeitet von Lina Freifrau v. Berlepsch. 
Ombs.) J 
Goaortsetung 
Nachdem der Wirth sich entsernt, blieb 
Lord Cothbert mit klopfendem Herzen einen 
Augenblick vor der Thüre stehen. Sein Ant⸗ 
litz war bleich, auf den bebenden Lippen schien 
ein Gebet zu zittern. Dann öffnete er leise 
und trat ein.. 
Mrs. Cartright näherte sich mit freund⸗ 
lichem Lächeln. J 
„Du wachst Kitty! und bitte, was soll 
das trostlose Gesicht? / 
„D täusche mich nicht, Mama, auch wenn 
ich aufgehött habe, Dich zu verstehen. Erst 
ertrugst Du Krantheit, Armuth und Leiden 
mit der Ergebung einer Heilrgen, und seit der 
Hinimel Dich gesunden üeß und uns mit Seg⸗ 
nungen überhäufte, härmst Du Dich sichtlich 
ab. Angenommen das Gerücht sei falsch, so— 
ist's doch nichts im Vergleiche mit dem, was 
wir früher gelitten. Wie oft sagtest Duß. es 
jei Alles gut. denn Hugosei eingegangen in 
den sicheren Hafen. Kaäme er nuu kebend 
wieder, fünde Dich gesund und in angenehmen; 
Verhältnifsen, so wäre es doch wohl auch 
zut. Warum olso grämst Du Dich k*.3Ich 
fühle wodl ebenfalls das Hangen und Bangen 
der Ungewißheit, aber die Hoffnung ist doch 
auch schön, um so mehr, als es schlimmston 
Falles nur ist, wie wir schon seit auderthalb 
Jahren annahmen.“ 
Für Kitth war das eine lange ernste 
Rede, und die Mutter küßte sie mit beinahe 
feierlicher Zärtlichteit und trochnete ihr leise 
die glizernde Thraäͤne vom Auge. 
„Gedulde Dich nwoch ein wenig, lieb Herz, 
die Lösung des Räethsels muß bald kommen. 
Ich kann nicht leugnen, daß mein ganjzes 
Wesen eigenthümlich bewegt ist, daß Hugo 
Tag und Nacht mir im Sinne liegt, und 
zwar mit einem Gefühle von Schmerz und 
Liebe, Hoffnung, Furcht und Zagen, das un⸗ 
möglich wäre, wenn er eingegangen zur ewigen 
Ruhhe.“* 
Mrs. Cartright lehnte am Fenster und 
jah Lord Cuthbert sortreiten. Sie seufzte tief 
und blickte ihm unruhig und sehnend nach. 
Der Aufenthalt in Lyle Hall und die ver⸗ 
ünderten Verhältnisse wirkten eigenthümlich 
auf die Gemüthsstimmung der Dame. Sie 
eischien gealtert, angegriffen und von nervöser 
Rastlosigkeit befangen. was für Kittyh einen 
endlosen Quell schmerzlichen Erstaunens bil⸗ 
dete. 
Das Mädchen lag schlafend auf einem 
Sopha, aber der Hufschlag weckte sie, und ihr 
Auge heftete sich forschend auf die Züge der 
Mutter, welche gerade in dem Momente, da 
fie sich unbeachtez glaubte, hager uvd einge⸗ 
fallen erschienen, während die bebenden Lippen 
deutlich von innerem Leiden Zeugniß gaben. 
„Mama, Mama, Du grämst Dich wegen 
Hugo zu Tode, und was soll dann aus mir 
werden ? . 
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