Full text: St. Ingberter Anzeiger

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.Sit. Ingbert, 28. Februar. n 
Durch einstimmigen Beschluß unserer Abgeordnetenkammer vom 
24. Februar wurde für diese eine neue Geschäftsordnung ange— 
nommen, die mit dem kommenden 1. März in Kraft zu treten 
hat. Nach Annahme derselben hielt der erste Präsident, Frh. b. 
Dw, eine höchst versöhnliche und nach allen Seiten wohlwollende 
Ansprache, um gleichsam die neu angenommene Geschäftsordnung 
und die mit ihr einziehende neue Zeit zu begrüßen. Ja, möge 
mũit der neuen Geschäftsordnung auch ein neuer, friedsamer und 
versöhnlicher Geist in die Hallen unseres Abeeordnetenhauses ein 
siehen; es wäre das ein zwiefacher Segen für das Land. Dieser 
rabuliftische und händelsüchtige Geist, der unsere Abbeordneten ge⸗ 
fangen zu halten scheint, läßt dieselben stets von det Sache ab⸗ 
schweifen, nur um dem Gegner „Eins“ anzuhängen, und diesen 
Benuß können sich unfere ultramontanen Kammermitglieder nie 
dersagen, obgleich er für sie stets einen bitteren Nachgeschmack hat. 
Die Sitzungen gewinnen dadurch freilich an Ledhaftigkeit; die 
Gallerieen amusiren sich; aber das Land geht dabei zu Grunde. 
Einen sehr günstigen Eindruck in nationalen, d. h. deutsch 
zesinnten Kreisen machen zwei in den letzten Tagen gefaßten Be— 
chlüsse der württembergifchen und sächsischen Kammer. Durch sie 
wurde der Beweis geliefert, daß die Entwickelung des Reichsge⸗ 
dankens, trotz aller Hemmnisse, rasch vor sich geht und selbst manche 
bisher Widerstrebende erfaßt. Die württembergische Kammer re— 
duzirte durch ihren Beschluß die württembergischen Gesandtschafts- 
posten, und zwar einmal aus Slonomischen Gründen? und zum 
Andern, weil durch den deutschenReichsgesandten die· Kleinstaaten 
ja auch vertreten seien. In dem Beschluß der sächsischen Kammer 
wurde die Ansicht ausgesprochen,die sächsische Regierung würde 
den Wünschen des Landes entsprechen, wenn sie im Bundesrath 
vorkommenden Falles für Bewilligung von Diäten an die Reichs- 
zagsabgeordneten und für die AUsdehnung der Reichs— 
ompetenz auf dasgesammte bürgerliche Recht 
stimmen. würde. Wem fallen da bie Worte Geibels, so man sie 
einmal gehört oder gelesen hat, nicht ins Gedächtniß: 
„Bauet weiter unberdrossen;, 
Ihm (dem Feind) zum Possen 
Baut es aus, das deutiche Reich 
Deutsches Reich. 
München, 26. Febr. Dem Vernehmen nach soll von der 
Staatsregierung in Aussicht gommen sein, vier Appellationsgerichte 
zu zwei solchen Gerichishöfen zu verschmelzen; die hierdurch erzielte 
Ersparung wäre eine beträchtliche, da außer den zwei Präsidenten⸗ 
und 8 Rathstellen mit zusammen 27,000 Gulden auch die Aus— 
gaben für das weitere Personal, als Staatsanwälte, Gerichts- 
schreiber ꝛc. sowie für Realexigenzen in Wegfall kämen; bezüglich 
der Aufhebung von mehreren Bezirksgerichten soll inan sich an 
naßgebender Stelle dahin geäußert haben, daß vorerst bis zur 
Feststellung eines deutschen Civil- und Strafprozesses Umgang ge⸗ 
nommon werden müße; durch Verschmelzung der Stadt⸗ und Land⸗ 
gerichte in Städten, deren Bevölkerung unter 10,000 Seelen be⸗ 
zrägt, soll eine weitere Beamtenreduktion erzielt werdenz in diesem 
Falle soll aber für die Geschäfte der freiwilligen Gerichtsharkeit 
und zur Aushilfe im Richterdienste ein weiterer Assessor beige⸗ 
deben werden. ... 
Munchen, 27 Febr König Ludwig hat dem Dichter Dr. 
Miller von der Werra in Leipzig für sein nationales Sammelwerk 
baterländischer Poesien aus den Jahren 1870,71, „Alldeutschland“ 
betitelt, die große goldene Verdienst-Medaille für Kunst und Wessen 
schaft, begleitet von einem höchst anerkennenden: Handschreiben, 
übersandd. J 
München, 28. Febr.'“ Abgeordnetenkammer. Die Unträge 
hes vierten Ausschusses auf andere Fassung des Artikels 8 Absaß 
l des Schuldotationsgesetzeßs und auf Ablehnung der Einführung 
des obligatorischen Turnunterrichtes in den Volksschulen, sowie der 
Antrag des zweiten Ausschusses. daß die Capitalrenten kirchlicher 
—N 
*ruar J —P 1872 
Pfründen künftighin nicht die Capitalrentensteuer, sondern die Ein⸗ 
ommensteuer zahlen sollen, wurden angenommen. 
Straßburg, 27. Febr. Am 1. März beginnt, in Ge— 
näßheit des Gesetzes vom 30, Dee. 1871, die Wirksamkeit der 
Forstdireltion Straßburg, Metz und Colmar. — Von demselben 
Tage ab befördert die Post Sendungen dis 50 Kilogramm mit. 
uind ohne Werthangabe nach Frankreich.. 
Berlin. Für die Berufung in's Herrenhaus werden der 
„Post“ zufolge nun auch mit Bestimmtheit die Generale Steinmetz, 
Zastrow. Werder, Kirchbach, Manteufei n. a. genannt, waährend 
außer Minister Delbrück auch der Staatssecretär v. Thile füe 
eine Wahl aus allerhöchstem Vertrauen in Aussicht geno mmen 
jein soll. 
Auf die Engländer scheint die Alabama⸗Affaire einen wohl⸗ 
huenden Einfluß ausgeübt zu haben, da sie in Sachen der Neu⸗ 
ralität andern kriegführenden Mächten gegenüber bereits vorsich⸗ 
iger und gewissenhaster geworden sind; wenigstens geht dies aus 
der jüngsten Behandlung eines aus dem deutsch⸗ franzoösischen Kriege 
tammenden Streitfalles seitens der englischen Regierung herbor. 
Der britische Schleppdampfer Gauntlet“ hatte bekanntlich eine 
deutsche Prise, den Lord Vrougham“, nach dem französischen Ha⸗ 
en Dünkirchen bugsirt, und der Eigenthümer des Schleppdampfers 
erllärt, daß das Fahrzeug die Bestimmungen der bezüglichen 
Parlamentsacte nicht verletzt habe, daß es vielmehr nur seiner ge⸗ 
wöhnlichen Beschäftigung nachgegangen sei, welcher Ansichi sich auch 
das Admiralsgericht in London anschloß und demgemäß die Klage 
abwies. Die Regierung appellirte gegen diest Entscheidung, und 
der richterliche Ausschuß des Geheimen Raihes hat in seiner Eigen⸗ 
schaft als oberster Appellhof nunmehr erklärt, daß, da der Schlepp⸗ 
dampfer das deutsche Schiff bugsirt, nachdem er als Prise gekapert 
worden, er sich eben so sehr im Flottendienste Frankreichs befunden 
habe, als wenn er das Schiff selber verfolgt hätte. Die lordlichen 
Richter beschlossen, der Koönigin die Umstoßung des Erkenntnisses 
des Gerichtshofes erster Instanz anzuempfehlen, worauf die Be⸗ 
chlagnahme des verurtheilten Schleppdampfers alsdann erfolgen wird 
Fraukreich. 
„Paris, 24. Febt. Am heutigen Jahrestag der 
Bründung der Republit von 1848 hatte die Pongei 
Unruhen erwartet und deßhalb bedeutende Vorsichtsmaßregeln ge- 
roffen. Alle Posten waren verdoppelt, ein Theil der Garnison 
konsignirt und. zahlreiche Polizeimannschaften sah man auf den 
Straßen. Es blieb jedoch Alles ruhig; die Feier beschränkte sich 
auf das Abhalten von Banketten und Niederlegen bon Kränen 
bei der Julisäule.. 
Die Berichte aus Paris, welche von den Correspondenten 
welegraphisch und brieflich eingehen, lauten von Tag zu Tag 
beunruhigender. Im Ganzen stimmen sie in der Angabe überein., 
daß die Aussichten dr Bonapartisten sich günfüger gestalten. 
Der Berichterstatter der „Times“ hält ein Bündniß zwischen 
ihnen und den Republikanern für sehr möglich, und hebt hervor, 
daß gerade diese beiden VParteien in der Armee den größten 
Anhang haben. 
—Die Untersuchung gegen. den Marschall Bazaline ist, wie 
die Patrie“ berichtet, nunmehr abgeschlossen und man versichert, 
daß die Enquetecommission im Laufe der nächsten Woche den Be— 
richt entgegennehmen wird. Derselbe soll dem Marschall binsichtlich 
der Capitulation selbst schwere Vorwürfe machen. Aus unwider— 
eglichen Schriftstücken und Depeschen gehe heryor, daß man am 
27. Det noch ehe die Uebergabe gezeichnet war, dem Marjschall 
nachwies, daß noch für acht Tage aeeen vorhanden wären, 
daß er dies selbst nicht bestritten, aber sich geweigert habe, darauf 
Zücksicht zu nehmen. Nun ward aber die am 27. verhandelle 
TFapitulation erst am 29. zur Ausführung gebracht und der Prinz 
Friedrich Karl begann erst am 31, seinen Narsch nach der Loire; 
im 24. Nobember batte er das erste Gefecht mit den sranzofischen 
Truppen, welche in der Richtang von Pthiviers operirten. Big 
iu seiner Ankunft hatten wir unbestreitbare Erfolge errungen un