Full text: St. Ingberter Anzeiger

Verhandlung gelangt und voraussichtlich bis zum Schluß der 
Woche andauern wird, erregt hier ein so allgemeines Interesse, 
daß die Räume des Bezirksgerichts für die Zahl der Neugierigen 
aum ausreichen werden und es heute schon schwerist, noch einen 
Journalistenplatz zu erringen. Die Anklageschrift, die mir heute 
Fereils zugänglich ist; bildet ein poluminbses mixtum compositum 
vherschiedener Specialanklagen, die mit dem Hochverrathprozeß pa⸗ 
rallei laufen, auf Beleidigung von Magistraten, Behörden, Privaten 
ind Neligionsschmähung durch die Presse lauten und theilweise 
bom hiesigin Bezirksgericht in früheren Verhandlungen bereits er— 
sedigt sind. Die Anklageschrift gibt zunächst eine detaillirte Ueber⸗ 
acht über die Bildung und Entwickelung der radikalen Arbeiter⸗ 
parteien, speciell über die Bildung der Internationalen Arbeiter⸗ 
Assoziation im Jahre 1864, die Entwickelung des Marrx'schen 
Programms, über den unter der Aegide Bebel's, Liebknechts und 
Hepner's abgehaltenen Eisenacher Kongreß vom 7. bis 9. August 
1869, dessen Programm das Princip aufstellte: „Die socialdemo- 
tratische Arbeiterpartei erstrebt die Errichtung des freien Volks⸗ 
aates, d. h. der Republik“, und beleuchtet schließlich die Grün— 
dung der Zeitung „Der Volksstaat“.“ „Den Volksstaat — heißt 
es wörtlich — duͤrchweht der Geist der Revolution, für sie werden 
die Massen bereit gemacht, im Dienste der Revolution werden die 
Massen bearbeitet zum Kampfe.“ Die Anklageschrift zitirt sodann 
verschiedene Artikel, in denen als: Ziel der Socialdemokratie die 
,socialdemokratische Republik“, der„systematische Kampf“, die „Ein⸗ 
ührung des socialdemokratischen Volksstaates und der rothen Re— 
zublik“, die „Bildung und Organisation eines Revolutionsheeres 
hingestellt, die Solidarität mit der Pariser Commune erklärt wird 
c. ?. „Liebknecht und Bebel — heißt es dann weiter — haben, 
die vieifache vorgefundene Correspondenzen ergeben, mit Partei⸗ 
zenossen verschiedener Länder und Nalionen einen schriftlichen 
Herkehr unterhalten, welcher mit den Wegen zur Erreichung ihrer 
oben erwähnten Ziele sich beschäftigt und aus dem hervoigeht, 
daß man für gut befunden, micht nur die Arbeiterklassen (weiße 
Sclaven) gegen die Arbeitsherren (ausbeutende Klasse) in einer den 
offentlichen Frieden gefährdenden Weise anzureizen, sondern auch 
den bäuerlichen Elementen und dem Militär den Geist der Social⸗ 
demokratie einzuhauchen und fie zu Gegnern und Feinden der 
hestehenden Staatsverhältnisse: zu“ machen. Die Anklageschrift er— 
vähnt dann der verschiedenen Agitationsreisen und Reden Bebels 
ind Liebknecht's, in welchen unter Ausfällen gegen die durch 
tehende Heere, das Beamtenthum, die Polizei, die Gendarmerie 
geftützten, das Wahlrecht berkümmernden und ein ungerechtes 
Steuersystem verfolgenden Regierungen“ die Beseitigung aller 
Fürsten und die Einsetzung der Volksregierung als das Ziel hin⸗ 
gestelll wird, welches durch gleichzeitiges gemeinsames Vorgehen der 
Albeiter aller Länder, nöthigenfalls mit Gewalt, errungen werden 
müsse. Unter besonderer Betonung, daß die von Bebel, Liebtnecht 
und Hepner ins Leben gerufene socialdemokratische Arbeiterpartei 
als Zweiganstalt des revolutionäten Comite's der Internalionale“ 
proklamirt sei, resumirt die Anklagedas Ziel derselben dahin, daß 
die republikanische Staatsform an die Stelle der monarchischen 
Staatsverfafsung gesetzt urd den Arbeitern die Herrschaft im Staate 
auf politischem und dkonomischem Gebiete verschafft werden soll 
zaß die deßfallsigen Grundsätze von Bebel, Liebknecht, bezw. Hepner 
Furch Wott und Schrift mitallem Nachdruck vderbreitet, daßz na⸗ 
nenslich unter Bebel's und VLiebknecht's Einflusse entsprechende 
Vereine massenhaft gebildet sind, daß von Bebel nud. Liebknecht 
‚war vor erfolglosemn vereinzelten Vorgehen gewarnt, dagegen ein 
zleichzeitiger concentrirter Massenkampf zur rechten Zeit und auf 
n gegebenes Zeichen empfohlen, als gemeinsame Pflicht hingestellt 
und so für die allgemeine. Bereitschaft mit Leib und Seele als 
Rebolutionsheer in diesen Kampf einzutreten gearbeitet worden ist, 
vaß alle von der socialdemokratischen Arbeiterpartei ergriffenen son⸗ 
tigen Maßregeln diesem Einen Zweck dienen, und daß man die 
heeils vorgekommenen gewal: samen und blutigen Angriffe auf die 
Staatisverfassungen in und außerhalb Deutschlands öffentlich als 
nachahmungswerthe Vorgänge gepriesen und ihnen die vollste Zu— 
timmung ertheilt habe. — Hieraus nun wird der Schluß gezogen, 
daß es sich um das Unternehmen eines gewaltfamen Angriffs 
—V Staatsoberhauptes und die Staats⸗ 
Ferfassung des Königreichs Sachsen, sowie der anderen zum jetzigen 
deutschen Reiche gehörenden Bundesstaate handeli, und der That⸗ 
hestand der Vorbereilung eines hochverrätherischen Unternehmens 
horhanden ist. Die Antlageschrift schließt wie folgt: „War auch, 
der Tag des gewaltsamen Angriffs noch nicht jestgesetzt, war auch 
die Art der Ausführung in ihren Einzelheiten noch nicht vorge⸗ 
zeichnet, wie solches zu dem rüchsichtlich des Hochverraths besonders 
weit gefaßten Begriffe einer „vorbereitenden Handlung“ 
an sich nicht erforderlich ist, se war man doch darüber einig, daß 
der gewoltsame Augriff überhaupt unternommen werden solle und 
daß die Zeit dazu dann gekommen sein werde, wenn man über 
ine fompakte und gehörig disziplinirte Kämpfermasse als über ein 
geschlossenes Ganze werde verfügen können, und daß für die Arr 
zer anzuwenderden Gewalt die bei allen anderen als Muster auf— 
gestellten Staatsrevolutionen verübte Gewalt maßgebend sei. Das 
Fine Wort „Gewalt“ ist ja der Inbegriff aller uugesetzlichen und 
trafwürdigen Revolutionsmittel und umfaßt jedes einzelne der⸗ 
jelben, mag es als Revpolutionsmittel schon in Uebung sein oder 
erst während der Revolution je nach der Gestaltung derselben ge— 
funden werden.“ Weiter fällt dem „Vollsstaat“ Redakteur Lieb⸗ 
necht zur Last, daß er den deutschen Kaiser Wilhelm in Nu. 29 
des „Vollsstaat“ von 1871 „Kariätschenprinz“ und in der fol— 
zenden Nr. 830 „Kaiser Bomba“ genannt hat. Hierin sind Belei- 
digungen des Reichsoberhauptes gefunden. Dem Antrage des 
Slaaisanwalts: Bebel, Liebknecht und Hepner wegen theilweije 
emeinschaftlich ausgeführter Vorbereitung des Hochverraths und 
diebknecht außerdem wegen Beleidigung des deutschen Kaiserz dem 
Zchwurgericht zu überweisen, kommt die Anklagekammer nach, in 
Hem sie die Angeklagten dringend verdächtigt, die Vorbereitungen 
getroffen zu haben: 1) gegen die Regierungsrechte des sächsischen 
Staatsoberhauptes und gegen die Verfassung des sächsischen Staates 
um dieselbe in ihren—hauptsächlichsten Bestandtheilen“ aufzuheben, 
owie gegen die Selbsiständigkeit und die, Verfassung des deutschen 
Reichs und des sächsischen Staates einen gewaltsamen Angriff zu 
unternehmen und 2) zum Zwecke des Vorhabens, die Verfassungen 
des deutschen Reiches und des sächsischen Staales gewaltsam zu 
indern, und zwar beides in der Weise, daß unter Beseitigung der 
monarchischen Staatsform die Republik zu dem Zweck in Deutsch 
land errichtet werde, um dem Arbeiterstande bezw. dem Proletariate 
die staatliche Herrschaft zu sicherw und unter deren Schutze alsdann 
kommunistifche bezw. ähnliche extreme sozialistischen Einrichtungen 
unerhalb der Gesetze einzurichteen. 
Fraukreich. 
Paris, 11. März. Die Kosten für den Unterhalt der 
deutschen Truppen in Frankreich für die ersten fechs Monate des 
Jahres 1872 betragen 24,052 500 Franes, nämlich für Lebens⸗ 
nitiel 13,6350,000 Fres.; Heizung 728,000 Fres.; Futter 
3733,000 Fres; Behandliung der Kranken 40,000 Fres.; Ent 
schädigungen für die Offizierwohnungen und Zurückerstattung an 
die Gemeinden 2,500,000 Fres; Unterhalt der Gebäuden und 
dosten sür den Bau der Baracken 2,000,000 Fres.; Schwimm— 
chule 15300 Fres.“ Der Entwurf, welcher dieserhalb der Kammer 
»on der Regierung vorgelegt wurde, ist von der Budget-Gommis- 
sion angenommen worden. Wie ferner oerlautet, wollen die Deut— 
ichen in der Champagne ein großes Uebungslager errichten. (K. 3. 
Maan schreibt der Independance aus Paris: In Folge vop 
Vorstellungen aus Berlin sind die Fortificalionsarbeiten, die in 
den zuletzt von oen Deutschen geräumten Provinzen stattfanden. 
sistirt worden, 
Die Bonapartistische Partei hat den „Figaro“ um den Preis 
bon 400,000 Francs angekauft. Das Geschäft ist in Nizza zum 
Abschluß gebracht worden. In dem Redactionspersonale werden 
umfassende Aenderungen stattfinden. Villemessant hat das seinen 
Mitarbeitern angezeigt, und gleichzeitig die Schulden des Blattes 
im Betrage non 180,000 Francs bezahlt. Diefe Schuldenmaffe 
hatte sich im Verlaufe des Krieges und der Commnne, wo der 
„Figaro“ nur einen sehr geringen Absatz hatte, aufgehäuft. 
Der Graf von Chambord kehrt über Köln nach Frohs⸗ 
dorf zurück. Er hat sich wohl Uberzeugt, daß füt ihn gegenwärtig 
in Frankreich“ die Trauben noch zu sauer sind. Durch den Ant— 
werpener Scandal hat seine Sache viel von dem Aunstand und 
der Würde eingebüßt, die ihr allein noch nachgerühmt werden konnte 
mSpanien. 
Die Lage in Spanien verschlimmert sich immer mehr. 
Die Regierung ist von einer Coalition bedroht, die sich nicht dami⸗ 
begnügt, das Ministerium zu bekämpfen, sondern offen den Sturz 
der Dynastie auf ihre Fahne schreibt. Um bei den bevorstehender 
Wahlen sich den Sieg zu sichern, beschlossen die coalirten Parteien 
in den einzelnen Wahlbezirken ihren Candidaten derjenigen Partei 
du entnehmen, die bei den letzten Geueralrathswahlen daselbst durch⸗ 
Jjedrungen war. Die Regierung ihrerseits ließ ein von Sagafilo 
interzeichnetes Circular an die Provinzgouverneure veröffentlichen. 
velches denselben mit Bezug auf die Coalition ihr Verhalten vor⸗ 
chreibt. Das Circular, wenn es anch betont, daß nur gesetzlicht 
Maßtregeln ergriffen werden sollen, kündigt den entschiedenen Ent⸗ 
schluß der Regierung an, den Kampf gegen die Opposition mit 
Energie bis aufs Aeußerste durchzuführen. 6 
J— England. 
London, 11. März. Wie aus einer in der jüngsten 
Heneralrathssitzung der Internationale von Karl Marr gegebenen 
xErklärung hervorgeht, soll die englische Regierung mehr oder weniger 
zewill, sein, die französischen Flüchtlinge unter dem Vorwande, daß 
ie Civilverbrechen begangen hätten, auszuweisen. Sie habe jedod 
ie französische Regierung ersucht, in dieser Angelegenheit für der 
ludgenblick nicht zu drängen, da die Zeit ungelegen sei. Die Re⸗