Full text: St. Ingberter Anzeiger

Ot. Ingberter Sʒanzeigen 
t St. Ing berter An eige r (und das mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, mit der Diendtags⸗, Donnerstags⸗ und Sonnlags 
amer) erscheint wochentlich vie x n l. Djensbag. Deomne rgytag. Samstag und Sonntag. Abonnementspreis vierteliährig 42 Krzr. oder 
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76 —71. Dienstag, den 14. 
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Deutsches Reich. — 
»Brwrlin. Die Nachricht, daß Fürst Bismarck nach Beendi⸗ 
—T der gegenwättigen Reichstagssi zung einen mehrmonatlichen 
srlaub gehmenwerde, hat die franzoͤsische Presse in einige Auf⸗ 
Iung versetzt. Sämmtliche Pariser Morgenblälter vom 9. d. 
arachten nämlich diese lüngere Zurückziehung Bismartkes von deu 
hßeschäften als Vertagung aller Verhandlungen über eine beschleu⸗ 
eit Beendignng der Occupation.“Die „Debats“ glauben, damit 
rin auch alle Anlehensgerüchte für dieses Jahr erledigt. Dagegen 
nelden verschiedene deutsche Zeitungen, es verlaute, die Reichsre⸗ 
jerung habe auf Wunsch der französischen?“ sich bereit erklärt, in 
herhandlungen über die Zahlung der Kriegsentschädigung ein⸗ 
ugehen. 
wehen, Ansicht, daß Fürst Bi ssm ärkdurch die Ablehnung des 
hardinals Hothen l'oh eals Botschafter des deutschen Reiches 
häim Papste nicht überrascht wörden sein dürfte, gewinnt immer 
iht an Ausdehnrng. Sagt doch heute auch die Kiener Presse“, 
rete immer deutlicher hervor, daß die von Rom ausgegangene 
zurückweisung Hoher loheß eine Eventualität war, auf die mon in 
herlin gerechnet hatte, um dieselbe dann in weitgehendster Weise 
egen die ultramontane —X——— meint das 
Juͤit, ergebe sich ramentlich aus der Methode, rnach welcher die 
dfficidsen sich jetzt die Affaire zurechtlegen, indem sie nämlich aus- 
führen, daß der dem deuischen Reiche angethane Affront nicht vom 
hapste, sondern von der die Kirche beherrschenden Jesuitenpartei 
uusgegangen fei, und daß sich daher auch die Revanche des Rei⸗ 
es gegen jene Parkei vichten würde. · 
Die „Perseheranza“ behauptet sogar, daß man in diploma⸗ 
ischen Kreisen Italiens nicht einmal glauben wolle, »es sei dem 
Jücsten Bismarck mit der Ernennung Hohenlohe's Ernst gewesen. 
Wie konnle et,“ sugt dieses Blatt voraussetzen, daß der Papst 
lzs Vertreter einer fremden Macht einen Fürsten der Kirche an⸗ 
zehmen werde, seinen dittcten Untergebenen, der unter Umständen 
ogar sein Nachfolger werden könute 7“ — Dieses Argument dürfte 
uun freilich nicht stichhaltig sein, da der Fall nicht ohne Präcedenz 
an würde. Inzwischen soll die Ankündigung des Barons Kübeck 
As österreichisch- ungarischen Bertreters den Vatican gleichfalls un⸗ 
mgenehm berührt haben, und zwar wegen der eugen Beziehungen 
dicses Diplomaten zu itglienischen Staatsmänne n. — 
Bernn. Küurzlich hatien die Vorstandsmitglieder des hier 
von Abgeordneten mehrer Provinzial⸗Lehrvereinen gegründeten Lan⸗ 
oesberein der preußischen Volksschullehrer, der den Zweck derfolgt, 
die Interessen der Volksschulen und Volksschullehrer zu fördern, 
ʒeim Unterrichtsminister Dr. Falk eine Audienz. Dieser deutete 
zei dieser Gelegenheit die Grundsätze an, nach denen das Volks 
Hulwesen reformirt iwerden müsse. Er hod besonders hervor, daß 
ser Lectionsplan det Seminarien umgestaltet und an die Ausbil⸗ 
ung der Lehrer höhere Anforderungen gestellt werden sollten. Wie 
ie „Voss. Ztg.“ jetzt von unterrichteter Seite erfaͤhrt, soll/ während 
zegenwärtig der Unlerricht 'iin den Volksschulen nur im Anlernen 
on Bibelsprüchen, Gesängen und Zahlen besteht und der Haupt ˖ 
wedh des Unterrichts nicht die Auxegung des Geistes zur Selbst⸗ 
hätiglkeit des Denlenz, sondern bloße mechanische Beibringung 
non dem Kinde oft völlig unverständlichen Begriffen in oft ganz 
raltelem Deutsch ist, demnächst'ine den Elementarschulen mebr 
Jeit auf die Ausbildung des Denkvermögens,“ auf den Unterricht 
in der Naturlehre, resp. den Elementen der landwirthschaftlichen 
hilfswifsenschaften, auf, Rechnen, Schreiben ⁊c. perwendet und das 
ritraubende J dantenlose Auswendiglernen von Kirchenliedern und 
Kibeldersen engeschränit werden. (Wäre sehr zu wün schen:) Auch 
hält man es für zweckmäßig, daß den Kindern Geographie und 
daterländische Geschichte beigebracht werde. Dem entsprechend wird 
dier Umgestaltung des Leckionsplans der Seminarlen erfolgen. 
Frankreich. 
VFaris, 10. Mai.Der Commissionsbericht über den deutsch 
iranzösischen Postvertrag ist der Nationalversommlung vorgelegt 
worden. Derselbe spricht sich, in Voraussicht der am nächsten Mon⸗ 
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1872 
ag stattfindenden Verathung. für. e des Verlrages ub. 
dDer Kriegsminister, General Cissey, sonl wie gerüchtsweise 
erlautet, ix Folge von Differenzen mit der Kapitulationscommission 
eine Demission nachgefucht, Thiers solche jedoch 89 gugenoumẽ 
aben. — Mittheilungen in Priwathriefen as Spagiig —51 
ie Bedeutung der Niedetlagen der LKarlistenchei ree ab. 
Die Karlisten hätten an Todten, Bexwundeten unde Gefungenen 
usammen nur 8200 Mann' verloren und wären in⸗ Biscaya, mit 
Ausnahme von Bilbao, Meister. F 
Die Unterhandlungen wegen der Vefreiung deęs Lerrioriums 
ind noch nicht weit gediehen. — Die Haüptschwierigleit in Bezug 
auf die Befreiung des Territoriums“ soll, wie von unterrichteter 
Seite versichert wird, darin bestehen, dqaß. Deutschland verlange, 
daß die sechs Departements, welche es noch besetzt hält, bis zur 
Jänzlichen Abwickelung der Drei-Milliarden⸗-Schuld für neutral er⸗ 
Järt werden, da h. daß Frankreich in denselben big zum genannten 
Zeitpunkt weder Garnisonen unterhalten noch Jestungsbauten vor⸗ 
lehmen könne. Der Regierung, welcher Alles daran liegt, Fraut⸗ 
ich so schnell wie möglich wieder in Vertheidigungszustand zu 
etzen, kommt dieses natürlich seht ungelegen. — 
Amerika. 
Washington, IL. Mai. Dig Majorität des Senats- 
Ausschusses zur Prüfung des Waffenverkaufs an Frankreich hat 
das Kriegsdepartement bon; jeder, Nentralitätsnerletzungg ijreige- 
prochen. 
. Frang Li . heine, der durch die Herausgabe der Lieder zu 
Schutz und Trutz“ sich die Arerkennung der ganzen deutschen Preffe sowohl, 
die ver deutschen Fürsten und Feidherren erwarb, verbffentlicht soeben wach⸗ 
tehenden Aufruf: —— — 
Gleich den in den Jahren 1870 und 1871 von mir herausgegebenen 
dDiedeba zu Schuß unmv Diru tz“ beabsichtige ich, num auch Deuke 
Feder der Freidheitsktriege“ in den Original-Handschriften der 
dichter zu sammeln und facsimilirt im Drucdk erscheinen zu lassen. Maͤnches 
war von jenen Liedern wird kaum noch im Manuscript existiren vieles 
Andere aber dürfte sich noch zerstreut in Bibliotheken, HandschriftenSamm⸗ 
ungen oder in Privatbesiz vorfinden, und Dieses zu sammeln, ehe es viel—⸗ 
eicht für immer zu spät, möchte eine Aufgabe sein, der sich unjere Zeit nicht 
ntziehen darf. Es sind heilige Vermächtnisse, welche die Sunger jener un⸗ 
terblichen Lieder der deutschen Nation hinterlafsen, Tund wenn Auch diese 
ieder selbst, von Alt und Jung gekannt, ewig ein lebendiges Besitzthum 
inseres Volkes bleiben werden, so fehlt uns doch noch gänzlich eine Samum⸗ 
ung derslben in den Handschriftei, die eins unseter schönsten. National · 
Dentmale sein würde, gestiftetr von unserer Freiheitssänger eigner Hand. 
ẽs gilt, dieses Denkmal fest zu fügen. dem / deutschen Volle zux Ffreude And 
Erhebung. AWA 8 — 
7 und so richte ich denn an alle Diejenigen, welche von den Originél⸗ 
Zandschrifien der Lieder jener Jeit etwas in ihrem Besitze oder unter ihrer 
bhut haben, die Bitte, mir dasselbe auf kurze Zeit für die beabsichtsgte 
„ammlung einzusenden, indem ich zugleich mich ereit erkläre, für eine punkt - 
iche Rücksendung in gänzlich unbeschädigtem Zustande jede wunschenswerthe 
Sicherheit zu bieten. — Vorzugsweise sind es die Lieder eines Körner, 
düchert, Arndi, Uhland, Schenkendorf, eines Clemens 
rentanod, Toilin Eihendorff, Fougué, Kl eist; Kberig 
zudwig, Fr. Schlegel, Ermnst Schulze, Stägemann, die zu 
sewinnen wir streben müssen; indessen sind auch, obwohl die Sammlung eine 
ewisse Grenze nicht überschreiten darf, die besseren übrigen Zeitgedichte —— 
dunsi⸗ wie Volkspoesie — aus jenen Jahren, zu denen wir auch die dem 
driege vorhergehenden rechnen, für uns von hohem Werthe. Wo die Ori— 
zinal⸗Handschrifien selbst nicht mehr erreichbar, ist für die dann in schöner 
Druckschrift wiederzugebenden Lieder, wenigstens die eigenhändige Ramens- 
Unterschrift des Dichters erwunscht. V sollen hisorische, Rotizen Über die 
xntstehung und Geschichte der einzelnen Lieder hinzugefügt werden, und auch 
sierfür sind Boiträge willklommen. Der Name aber eines Jeden, der auf 
ie eine oder andere Weise zur Herausgabe des Werkes mitwirkt, wird 
zankbar in demselben verzeichnet werden. 1 v 
Wie die „Lieder zu Schutz und Truzßz“, welche bekanntlich einen nam⸗ 
jaften Ertrag lieferten, zum Besten unserer im Felde verwundeten und er⸗ 
rantien Krieger erschienen, so soll der aus den „Liedern der Freiheitskriege“ 
u erwartende Gewinn der Kaiser Wilhelms⸗Stiftung füc deutsche Invaliden 
ufließen, das Werk also auch nach diefer Richtung hin ein durchaus nativ⸗ 
iales sein. J 6 
Mil dem Wunsche, daß dieses neue Unternehmen denselben Anklang und 
dieselbe Unterstützung finden möge, wie mein früheres, sage ich zugleich Allen. 
ie mir ihre Behülse werden zu Theil werden lassen. im Voraus meinen 
ebhaftesten Dank. Ber lin, Potsdamerjtraße 1164. 10. April 1872. 
Franz Lipperheide. 
F. X. Demet. verantwortlicher Redacteur.