Full text: St. Ingberter Anzeiger

auch in Vesterreich ist das Gefühl der Skammesverwandt⸗ 
chaft seither wieder zu seinem Rechte gekommen. So weit die 
deutsche Zunge?tlingt, hat man auch dort die Vollendung der deut 
schen Einheit mit dee begrüßt, und unsere Siege über den 
gzallischen Erbfeind sind von unsern deutschen Bruldern in den Habs⸗ 
burgschen Reichslanden als eine ationale Angelegenheit gefeiert 
worden. 
Welch herzliche Gesinnung dort für uns vorhanden ist, da⸗ 
pon legen die deutschen Zeitungen in Oesterreich tagtäglich Proben 
ab. Die großen Preßorgane in Wien, mit denen die Berliner 
Zeltungen an geistigem Gehalt und Forcengewandtheit sich nicht 
messen können, haben fich die verdienstvolte und rühmenswerthe 
Ausgabe gestellt, die freundschaftlichen und verwandischaftlichen Ge⸗ 
Uhle gwischen den beiden Kaiserreichen zu nühren. * 
MDie deuische Nation hat das ernste Verlangen, daß nach den 
unaufhörlichen Kriegen endlich einmal ein Zeitailer des Friedens 
mnbrechen möge, und lann es eine stärkere Friedensbürgschaft geben 
als ein einiges Zusammengehen mit unserem Nachbar⸗ und Bru— 
derlande ι 
In seiner Schwatzhaftigkeit hat Thiers das französische 
Zlukumfts prög ra in mverraihen. Rebanche ist und bleibt 
die Losung: man will einene neuen Krieg führen, aber nur mit 
Hilfe von Alliancen. Das Rececht lauiet: Vürere gegen 
Fenn en, wie im Krimkriege, oder wenigstens Zweie gegen 
Sinen, wie bei Magenta und Solferino. Wenn sich ader für 
dien treulpvse und selbstsüchtige Nation, die nach und mach alle au— 
deren europäischen Völker werrathen hat, kein Alliirter findet, so 
wird sie sich damit begnügen, die Bravonr der neuformirten Prä⸗ 
torianer · Colonnen auf den heimischen Exercirplätzen zu bewundern 
Oesterreich hat es an fich selbst Ausprobirt, was die französi 
sche Freundschaft werth ist, während zwischen uns, nachdem ersl 
die Ause inan derse zung bewirlt ist, keinerlei collidirende Juteressen 
mehr porhanden find. 
U Deutsches Reich. J 
Mündchen, 19. Juni. Durch allerhöchste Entsaließung 
wurden die Landrichter der Pfalz bezüglich ihrer Rangverhältnisse 
den Landrichtern der diesrheinischen Kreise gieichgestell. 
München, 18. Juni. Der Koͤnig hat mit allerh. Signat 
pom 10. d. Mis. angeordnet, daß vom 1. Jan. l. J. ange⸗ 
jangen, der jährliche Funklionsgehali des Rathsdieners am Appel— 
ationsgerichte 700 fl., der Boten am Oberappellationsgerichte 
in 2 Klasfen 680 fl. und 600 fl., der Rathsdiener an den Ap⸗ 
pellationsgerichten 600 fl., der Boten an den Appellationsgerichten 
in 2 Klassen 600 fl. und 500 fl, der Gefängnißwärter an den 
Bezirks- und Sltadtgerichten 500 fl, den Boten an diesen Ge— 
richten 400 fl. und nach Ablauf von 10 Dienstjahren 450 fl. 
dann der Landgerichtsdienet in 2. Klasse 500 fl. ünd 450 fl. zu 
hetragen habe.“ 
Berlinm, 19. Juni. Die mühevollste Session seit 24 
Jahren (also seit dem Frankfurtet Parlament vom Jahre 1848), 
wie sich Prüsident Simson am Schiusse ver heutigen Sitzung aus⸗ 
drückte, ist heute nach nicht ganz zwei und ein halbmonatiger 
Dauer zum Abschlusse gelangt, nachdem die dritte Lesung des 
Jesuitengesetzes und die Distussion der Volk'schen Resolution wegen 
Vorlegung eines Gesetzes über die obligatorische Civilehe noch 
einmal zu einem heftigen Redekampf, Veranlassung gegeben. Das 
Resultat der Abstimmung über das Jesuitengeseß war heute im 
Wesentlichen dasselbe, wie vorgestern; anstatt 284 Mitglieder stimm— 
hen nur 274. davon 181 für, 98 gegen das Geschz (vorgestern 
183 gegen 101.) Bei der weiteren Absftimmung über die Reso 
lution Völk, wurde diese mit 151 gegen 100 Stimmen angenom 
men, da die liberalen Fractionen und die Freiconservativen ge⸗ 
schlossen sür, die Conservativen (auch Graf Eulenburg und Wage 
ner) die Polen und das Centrum gegen dieselbe aufiraten. 
Berlhin, 19. Juni. Der Kaiser hat zur Linderung det 
beklagenswerthen Nothstandes, in welchen so viele Bewohner von 
Boͤhmen durch die jüngst dort vorgekommenen Ueberschwemmungen 
versetzt worden sind, als Beitrag die Summe von 100 Zwanjig⸗ 
Markstücken aus Allerhöchster Sch atulle zu bestimmen geruht. — 
Wie die Spen. Zig.“ vernimmt, sind Seitens des Cultusmini⸗ 
ters Erlaffe abgegangen, welche das Verhältniß der Mitglieder 
zeistlicher Genossenschasten zu der Volksschule betreffen. Diefe Er— 
lasse gehen, wie man hört, dahin, daß solche Mitgüeder ferner nich 
mehr an bͤffentlichen Schulen zuzulassen selen und daß die bevor 
ehenden Verhältnisse einer Losung entgegengeführt werden sollen. 
— Der „Nordd. Allgemeinen Ztg.“ wird vom Rhein geschrieben: 
Wir vernehmen, daß der vom Amt suspendirte katholische Feld⸗ 
Ptopft Namzanowsti seine Jurisdiction auf die B.schöfe in der 
Provinzen übertragen und somit die ihm früher unterstehe iden 
Nmitärpfarrer, so viel an ihm ist, den Bischofen untergeben hat 
Wir sind gespannt darauf zu erfahren, oh die Herren Bischoöfe die 
gefährliche Gabe angenommen haben. — Det commandiren- 
General des XIV. Armeeorps (Baden), Geueral der Infanietn 
b. Werder, ist gestern von Karlsruhe hier eingetroffen, wird tutz 
* hier /derweilen und sich demnächst nach Königsberg in w 
— eben. * 8 — 
Bartli n. Das Starkste, was die Presseder xdmischer 
Turie bisher geleistet hat, befindet sich in einein Ärtikel der Gensa 
Tarrespondenz vom 11. Juni über die Namszanowski'sche Arge 
segenheit. Darin heißt es: „Der Papst, welcher hoffte, die vᷣ. 
gierungen durch seine Milde zur Besinnung zu bringen, hat ihnen 
bereits nur zu viel Zugeständniße gemacht. Heute sieht er, d 
die Stunde der Barmherzigkeii vorüber ist, und daß er fruͤher ode 
später eine Periode der dollständigen und unerbittlichen Gerechtig⸗ 
deit inauguriten muß. Wennn die Staaten aufhören, die Kirqh 
affen anzuerkennen, so wird die Kirche ihrerseiis gezwungen — 
die Staaten selbst nicht mehr anzuerkennen. Die Weit wird dam 
der Zeuge grausamer Zeifleischungen sein, und die Regierungen 
vürden sehr Unrecht thun, wenn sie glaubten, daß die Maßtn 
ihnen folgen würden., 8* 
Auf der Rückfahrt von Berlün wird der Kaiser von Oeßter 
reich dem „N. W. T.“ zufolge der sächsischen Köonigsfamilie einen 
Besuch abstatten. Ueber die Reise selbst verlautet, obwohl bestimmi 
Dispositionen allerdings noch nicht getroffen werden können, daß 
die Tour über Ptag nach Dresden eingeschlagen wird. Der Au⸗ 
enthalt dürfte sich auf wenigstens vier Tage erstreckn.“ 
Reben der Räumungsangelegenhet beschäftigen sich die Fran⸗ 
osen augenblicklich viel mit dein Bessuche des Kaisers Franz 
Josephein Berlin, den sie indessen als einen Schredschuj 
deutscher Blatter behandeln möchten. ber selbst, wenn die En· 
revue zu Stande kommen sollte, fagen sie, was soll sie nutzen! 
Wenn eines schönen Tages Frankreich wieder in den Besitz sinn 
Troditionen trete, so werde Italien sofort zu Kreuze kriechen, un 
die Welt erfahren, wer Herr in Europa sei; ewig kdune ja doch 
die Majorität in Versailles nicht leben. So fasselt man übe 
auswärtige Verhältnisse, die man nicht kennt, und blamirt 
sich jeden Augenblicke. 
Als Antwort auf dieses Gesalbader könnte man den presni⸗ 
zesüchtigen Galliern vorführen, was neuestens das „N. W. Tagbl.“ 
über die bevorstehende Kaiserbegegnung sagt. Die Erkenntniß der 
gemeinschaftlichen Interessen, heißßt es in dem betreffenden Aluel. 
hat zuerst die Völker und- dann die Cabinete zu einander gefüuͤhrt. 
Rücken an Rücken gelehnt und durch Italien gegen einen Flanfen- 
toß von Süden her gedeckt, repräsentiren Deutschland und Oester— 
reich eine formidable Macht, die im Bewußtsein ihrer Mittel im 
Stande ist, dem Welttheil den Frieden zu erhalten und allen Re⸗ 
danche⸗ und Eroberungsgelüsten Schranken zu setzen. Die öfler⸗ 
ceichisch, deuische Freundschaft bewahrt den Welitheii vor den Schied 
nifsen eines franzssischen Rachekrieges, dessen Ausgang Frankreich 
auf Jahre hinaus aus der Liste der im staatlichen Leben zählen· 
den Nationen streichen müßte, und sie schuͤhzt die Cibilifation gegen 
einen Einbruch Rußlands in Mittel⸗ und Südeuropa. Das Eir⸗ 
verst indnitz der Cabinete von Wien und Berlin mit den don Rom 
legt endlich gewissen Restaurationsgelüsten fanatischer Klerikalen in 
der allerwirlsamsten Weise Zügel an. Rede Niemand von heiliger 
Alliance“ und zage Niemaad vor deren Wiedererwachen; die Zei⸗ 
ten sind vorüber, und heute vertritt das „republikanische Frank⸗ 
reich, dessen „Liberale? für den unfehlbaren Papst schwärmen, weit 
her die Principien der „heiligen Alliance“, als das consttutionelle 
Deutschland und das constilutionelle Oesterreich. Die dreifaltige 
Alliance Deutschlands, Oesterreichs und Italiens wendet ihre Spiße 
inzweifelhaft in gewissenn Sinne gegen den Vatican, wenn anch 
Braf Andrafieh in dieser Richtung dem Furstru Bismard 
und dem Signor Visconti⸗Venosta gewiß nicht den Vor⸗ 
sprung abzugewinnen sucht. Der Zustand der Nothwehr, in die 
das Auftreten der Jesuitenpartei im Concil sowie in der Kirche 
iberhaupt alle weltlichen Regierungen versetzt hat, bildet ein feste⸗ 
Band, das die Cabinete von Wien, BSerlin und Rom um⸗ 
chlingen muß. J 
An einer andern Stelle sagt das erwähnte Wiener Blatt, in 
Abgeordnetenhause sehe man die Reise des Kaisers nach Berlin 
als eclatanten Sieg der Politik des Grasen And rafsh an. Die 
Initiatide sei von Berlia ausgegangen, der deuische Kaiser habe 
den Kaiser Franz Josephein einem eigenhandigen Schreiben 
das wenige Tage nach dem Tode der Erzhetzogin Sophhe in 
Wien eingetroffen, eingeladen, und die Einladnng sei angenommen 
worden, nicht ohne daß Factoren, deren nähere Angabe über 
düssig sei, sich dagegen ausgesprochen hätten. J 
Frankreich. rerre wes 
BPasri, 17, Juni. Der Graf von Paris hat seine Stu⸗ 
dienreisen in die großen industriellen Etablissements von Frand⸗ 
eich wieder aufgenommen. Er erschien vergangene Woche in den 
Bergwerklen von Anzin im Nord Departement unde am Samttag 
in der Spiegelfabtik von St. Gobain bei Chaunh im Aiene⸗De⸗ 
darteaent. Die Arbeiterbedoͤllerung derhielt sich an belden Orten