St. Ingberter Anzeiger.
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M 162. Sounntang, den 13. Oetober 1872
Deutsches Reich.
München. Die „Donau⸗Zeitung“ enthält einen trefflich
geschtiebenen Artiklel über den neuen baher. Minister⸗Präsidenten,
hrn.iv. Pfretzschner. Der Schluß dieses Artikels ist nicht unin⸗
eressant; er lantet: „Es wäre ein Irrthum anzunehmen, seine
— —
religidsen Fragen des Tages sei etwa eine Folge seiner geistigen
Mittelmäßigkeit. Nein, Hr. v. Pfretzschner, ist ein sehr fähiger
Kopf, ein lebhafter Geist, ein sanguinisches Gemüth; kein Finanz⸗
minister hatte vielleicht sein Budget so bis auf den letzten Kreuszer
im Kopf, wie er. Hr. v. Pfretzschner verdankt im Gegentheil!
eeine Int egrität der Milde und dem Wohlwollen seines Charatters.
hr. v. Pfretzschner beleidigt Niemanden, das kann er gar nicht;
rx ist immer, was man sagt, schmalzgut, honigsüß. Man ist gern
bei ihm; seine Formen sind die elegantesten und scheinbar ganz
rinfach; die Eleganz ist ihm eben Natur. Im amilichen Verkehr
st er freundlich und offen, eine gewisse chevaleresle Oberflächlich-
reit laͤßt ihn über die Kanten hinweggleiten; im Privatvertehr iff
⸗x zuvorkommend und äußerst liebenswürdig. Er ärgert sich, daß
ir das, um was er gebeten wird, nicht längst schon selber gethan
habe. „Die feinen Franken: sie grüßen und danken.“ — Hr. v.
Pfretzschner ist Gargon; sein graues Haar versichert seinen Cölibat
wohl auch für die Zukunft. Der neue Ministerpräsident ist Ka—
tholik, er treibt es aber nicht. Er ist nicht von unserer Seite,
er ist ein ächter Liberaler. Hr. v. Pfretzschner wird das Vorgehen
jegen die katholische Kirche in Bayern nicht aufhalten, aber er
wird es auch nicht forciren. Er wird sich mitziehen iafsen aber
er wicd nicht selber ziehen. Das ist, man wird es sehen, die
Quintessenz der Pfretzschner'schen Politik; und darum mache ich
kein Hehl aus meiner Ansicht, daß der neue WMinisterpräsident
gerade kein Freudenfeuer, aber auch leine Feindseligkeiten von
unserer Seite verdient.
Kaiserslautern, 11. Oct. In einer gestern Abend
daitgefundenen und zahlreich besuchten Versammlung des hiesigen
Altkatholikenvereins hielt Prof. Michaelis einen Vortrag über die
dauptbeschlüsse des Koölner Congresses und kritisirte dabei den
dirtenbrief des neuernannten Bischofs von Speyer, der früher ein
Hegner der Unfehlbarkeit gewesen sei. Ein Vorschlag auf Erlaß
iner gemeinsamen offenen Antwort der pfälzischen Aukatholiken
nuf den Hirtenbrief wurde beifällig acceptirt und Michaelis mit
der Redaction derselben beauftragt. — Am Sonntag über acht
Tage findet eine Delegirtenversammmlung der pfälzischen Altkatho⸗
lilen wegen Anstellung eines zweiten alltkatholischen Geistlichen in
ẽdesheim statt.
Wiesbaden, 10. Oct. Die königl. Regierung hat auf
Brund des sogenannten Jesuitengesetzes die Abhaltung von Mis
ionen durch Angehörige des Ordens der Redemptoristen verboten
Schweiz.
In Basel soll ein elsässisch⸗lothring isches Lyceum errichtet
verden, um einem „Bedürfniß“ zu entsprechen, das noch etwas
räthelhaft ist. Eine anonyme Gesellschasft soll mit einem Kapital
wn 100.000 Fer. zu senem Zwecke erst noch gebildet werden.
Vermischtes.
Gerbrechen.) Gebweiler (Eisaß), 7. Okt. Ein
rtsetzliches Verbrechen, welches letzten Sonntag Abend in hiesiger
Stadt verübt wurde und ungestöͤrt verübt werden konnte, haͤlt
jeute die Bürgerschaft noch in schreckhafter Aufregung. Ein ba⸗
vischer Maurermeister, der schon seit vielen Jahren in einer hie⸗
igen Fabrit beschäftigt war, wurde Sonntag Abend halb 12 Uhr
uf offener Gasse ganz in der Nähe der Hauptstraße hiesiger Stadt
mit verschiedenen Stichen in den Unterleib und fast ganz abge—
frenntem Kopfe in einer entsetzlichen Blutlahbe ermordet gefunden.
berschiedene höchst verdächtige Individuen nd eingezogen und
wird die gerichtliche Untersuchung höffentlich die Thäter feststellen.
fRegensburg, 8. Oct. Kein Fürst, kein König, kein
Mächtiger der Erde war es, dessen Leiche gestern durch die ernsten
Menschenmassen in einem unabsehbaren Zuge zur ewigen Ruhe
zgeleitet wurde — nein! nur ein schlichter, katholischer Priester,
der aber durch die Herrlichkeit seines Charakters sich alle Herzen
zrobert hatte und arm starb durch seine Liebe zu den Armen
nichts hinterlassend als den Segen seines edlen Beispiels. Di—
Stadt Regensburg hat noch kein Leichenbegängniß gesehen, das sich
an Großartigkeit und Würde dem Begräbnisse, des Kanonikus
demauer zur Seite stellen kann. Durch die dichtgedrängten Stra—
ßen wurde der theure Todte unter Vorantritt einer Trauermusik
des Feuerwehrkorps und der hiesigen Vereine, umgeben von Fa⸗
kelträgern aller Stände und Glaubensbekenntnisse, gefolgt von
einen Amtsbrüdern katholischer und protestantischer Konfession,
zem ifraelitischen Religionslehrer, begleilet von einer nicht enden
wollenden Anzahl von Männern und Frauen aus allen Berufs⸗
kreisen zum Kirchhofe an das Grab gebracht, das auch die Ruhe—
tätte seiner Eltern bildet. Hier segnete Herr Dr. Thomas Wiser
die Leiche zur ewigen Ruhe ein und widmete ihr einen, des Todten
würdigen Nachruf. In ergreifender Weise rief Hr. Dr. Gerter im
Ramen der Lebenden und der hier ruhenden Todten, deren
Tröster einst der Verlebte war, demselben ein herzliches Vergelts
Hott für alles Gute, was er gewirkt, in die Gruft und senlte in
dieselbe einen Lorbeerkranz. Herr Bankier Rehbach that das
Bleiche im Namen seiner protestantischen Mitbürger, Herr Kaufm.
Fismann im Namen der israelitischen Kultusgemeinde, Herr Prof.
Zrafft, im Namen der freisinnigen Partei, deren Wahlmann und
GBefinnungsgenosse der Verblichene war. Nachdem auch die Sänger
dem Dichter u. dem Freunde des Gesanges, der mit dem Ent«
chlafenen zu Grabe gegangen war, die letzte Huldigung darge⸗
bracht, füllte sich das Grabs bis zum Rande mit den Schollen
Erde, welche aus dankbaren Händen zum Abschiede auf die Hülle
des theuren Todten rollten. — Und so nehmen auch wir Abschied
don Dir, Du würdiger Mann! Ruhe sanft, Tu treuer Mitar⸗
beiter an der irdischen Erlösung der Menschheit! Möchte doch einer
sich finden, der Dir nachfolgt in Gesinnung und Wandel! —
Finer? O würden sie es alle thun; dann gebe es ja nur eint
Religion auf Erden, eine einzige, die aber wirklich selig—
machend ist, die Deine, die Religion— der Liebe! (Fränk. Kur.)
FBei Reichenhall hatte ein Jäger das Unglück, statt
eines Fuchses einen Zimmermann, welcher Leimruthen legen wollte,
zu erschießen; er entsetzte sich über seinen Irrthum derart, dak er
sich selber erschoß.
Von deutschen Ind ust rie Llen sind, dem „Reichsan⸗
Nzeiger“ zufolge, so umfangreiche und zahlreiche Anmeldungen zur
Weltausstellung in Wien eingegangen, daß nur zwei Drittel der
auszustellenden Gegenstände in dem Raume Platz finden können,
welcher ihnen in dem Ausstellungsgebäude angewiesen worden ist.
Für das letzte Drittel sollen Annexe angebaut werden. wozu noch
in diesem Monat die Arbeiter gedungen werden sollen.
4 In der Baltischen Waggonfabrik (früher Keßler und Sohn)
in Greifssswalde explodirle vorigen Samstag Nachmittag der
Dampfkessel, während Alles in der Fabrik in voller Thätigkeit
war. Das Kesselhaus und die anstoßende Schmiede wurden
jertrümmert: 15 verheirathete Arbeiter fanden sofort ihren Tod
73 Arbeiter wurden mehr oder weniger verletzt.
7CGie Akkuratesse der preußischen Oberrech—
nungstammer.) Die Potsdamer Oberrechnungskammer —
io schreibt man der Wiener „Neuen Freien Presse“ — hat alle
hände voll zu thun, um die sämmtlichen Rechnungen zu prüfen,
die der deutsch-französische Krieg in die Welt geworfen hat. Ihrer
Alkkuratesse bei der Prüfung ist oft gedacht worden, seltener ihrer
zroßen Unbefanger heit, womit sie jeden kleinsten Posten in den
Bereich ihrer Kritik zieht. Da sie mit richterlichen Functionen aus⸗
gestattet ist, so verfährt sie ohne Ausehen der Person. Unlängst
wurde in Offiierskreisen erzählt, auch dem Grafen Moltke wäre
zon der Oberrechnungskammer ein Monituw zugestellt worden.
Dem Chef des Generalstabes war nämlich während des Feldzuges
ein — Pfund Schnupftabak geliefert worden und der Betras