Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Znzeiger. 
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der Si. Jnaberter Anzeiger (und dat mit dem Huuptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, mit det Vienskagt-. Donnerstags⸗ und Sonnta 
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„3 199. Dieunstag, den) dezember 41872 
Thiers über den Ursprung des Krieges von 
.Vor der Commission zur Prüfung der Acte der Regierung 
pom 4. September (1870) hat die unter Anderem auch Thiers 
seine Aussagegemacht, und ein Abschnitt derselben hat die meiste 
Beachtung gefunden, woxin er erzählt, wie es im Juli 1870 wi— 
der sein Etwarten und wider seinen dringenden Rath. zum Kriege 
gekommen. 
Hatte Frankreich den Krieg glücklich gefühct, so würde sich 
dort aͤlle Welt um den Ruhm gestritten haben, wer zuerst in der 
Tandidatur detz Erbprinzen von Hohenzollern eine europaische Ge⸗ 
fahr entdect, Aund nachdem mes schon nach einigen. Tagen; klar 
purde, daß diese Candidatur nichts als die Privatangel egenheit 
anes mediatisirten kleinen Fürstenhauses war, dennoch die franzö⸗ 
sische Nation in den Kampf geführt habe. Herr Thiers, der 
Einzige, “ der damals den Krieg energisch widerrieth, und zwar 
einzig aus dem Grunde, weil Frankreich nicht genügend vorbereitet 
sei, würde heute freilich nicht an der Spitze des Staates stehen, 
sondern in möglichst tiefer Verborgenheit und Vergessenheit leben. 
Da es aber so ganz anders gekommen, als Frankreich da⸗ 
mals mit vollster Zuversicht glaubte, so ist es seit der unglücklichen 
Wendung des Krieges das eifrigste Bestreben der Franzosen ge— 
wesen, alle und jede Schuld wegen des Kriegsausbruchs von sich 
abzuwälzen. Bald haben fie gesagt, Napol eon habe den 
Krieg gesucht, um seine Herrschaft zu befestigen, bald auch Preu⸗ 
hen habe den längst vorbereiteten Krieg geschickt provorirt. Der 
einzige Franzos, der mit einer gewissen Unparteilichkeit über die 
treibenden Ursachen sprechen kann, weil er allein ein entschlossener 
Gegner des Krieges und mit den Absichten der Personen und 
Parteien wie Wenige, vertraut war, ist in der That der jetzige 
Prasident der franzoöͤsischen Republik. 
Was die Anschuldigung Preußens beirifft, es habe diesen 
Krieg provocirt, so hat Thiers woͤrtlich vor der Commijsion gesagt: 
Die uͤrheber dieses unglücksseligen Krieges suchen sich heute damit 
zu eutschuldigen, daß sie sagen, Preußen hätte den Krieg gewollt 
ihn schon lange vorbereitet und alles dies nur als Gelegenheit 
benutzi, den Kampf zu eröffnen. Ich erkläre, nachdem ich in der 
dage gewesen bin, mich Uber diesen Gegenstand vollkommen zu 
anlerrichten, daß dies eine Lüge ist. Es ist ganz richtig, daß 
Preußen, überzeugt, Frankreich werde früher oder später seine 
Fehler von 1866 wieder gut zu machen suchen, für- diesen Fall 
ohne Unterlaß feine Vorkehrungen getroffen hat; aber e6 fürchtete 
diese gewaltige Prüfung und wollte sie lieber verzoͤgern als be⸗ 
—IDDD That noch mehr als wir selbst und 
als alle Welt über die raschen Erfolge erstaunt, welche es dem 
deichtsinn und der gründlichen Unfähigkeit der kaiserlichen Verwal⸗ 
fung zu danken hatle.“ 3 
Ais die eigentlichen Urheber und Bekreiber des Krieges be· 
zeichnel Thiers nicht den Kaiser, der zu jener Zeit viel von 
seiner Willenskraft verloren gehabt habe und im Allgemeinen sehr 
anschlüssig gewesen sei, sondern eine Hofpartei und die Bonapar⸗ 
nisten im Gesetzgebenden Körper Es gab am Hofe leidenschaftliche 
Personen, welche durchaus die Scharte von Sadowa auswetzen 
volllen.“ Die Kaiserin, versichert man, wiederholte oft, wenn sie 
on ihrem-Sohne sprach: „Dies Kind wird nicht zur Regierung 
sommen, wenn man das Unglück von Sadowa nicht wieder gut 
macht.“ In ihret Umgebung befanden sich Leute, die das aus 
iebedienerei oder Ueberzeugung mit einer gewissen Ruhmredigleit 
viederholten. Im Gesetzgebenden Körper verlangten die eigentlichen 
Bonapartisten, denen das Loos der Dynastie vor dem des Landes 
ging, mit Heftigkeit, daß man diese Gelegenheit Gie Candidatur 
Hes Hohenzollern) ergreife, um den Krieg zu unternehmen. Also 
nach Thiers' Ansicht waren es die Bonapartisten,“ welche den Hof 
bessimmien, und dieser beeinflußte wieder die Minister, unter denen 
FDOribeer, Grammont, selbst Lebseuf als Anhänger 
der Friedenspolitik bezeichnel. Die Regierung, sagt Heer Thiers, 
begann gleich mit einem Schrittz für den es keinen Namen gibt. 
Fsist die Rede: dca Herzogs v. Grammont am 6. Juli 1870 
semeint. Er nennt sie einen wahnwitzigen Act. Den Schlüssel dazu, 
wie Grammont zu einer also heraussordernden Rede wider Preu⸗ 
zen dam, hat, uns indessen Thiers nicht geliefert. Die Rede ist 
nicht zu erklären, wenn die Bonapartisften nicht den Hof und die; 
Minisler. bereits völlig beherrschten und sicher waren, sie in den 
rieg zu stürzen. Die schwächlichen Friedenshoffnungen, die Ollin 
dier in seinen täglichen Unterhaltungen mit Thiers noch nährte, 
onnten gegendie Uebermacht dieser; Partei nicht nufkommen. 
Thiers erzählt, die Zahl der friedliebenden Mitglieder des Gesetzs 
gebenden Koͤrpers sei in jenen kritischen Tagen viel größer gewesen, 
ils die der kriegswüthigen: Bonapartisten; aber diese liefen umher, 
armten, schwatzien Und. verachtetenJeden, der nicht. Ihrer Mei- 
nung war. Es sei nöthig- mit dema anmaßenden Preußen ein 
FInde zu machen, es Handle sich nur ym einen Feldzug von sechs 
Wochen u. s. w. Als nun das Phantom der Hohenzollern⸗Can⸗ 
»idaiur gefallen war, waren sie es, welche die Lüge in Umlauf 
etzten, Bened etti sei von König Wilhelm beleidigt wor⸗ 
den. Wenn aber wirklich, wie Herr Thiers berichtet, diese Lüge 
den Ausschlag gab, nachdem doch Ollivier noch am Tage vor der 
zekannten in dem Gesetzgebenden Körper erfolgten Kriegserklärung 
icher auf die Eehaltung des Friedens gerechnet, auch der Kaiser 
ich gegen zwei Botschafler in gleichem Sinne geaͤnßert hatte, so 
nuͤß man doch annehmen, daß die Bongpartisten die ganze offi— 
zielle Gesellschaft in Frankreich mit sehr leichter Mühe und mit 
sehr unbedeutenden Mittel in die Tasche steckten, und daß sie von 
Anfang an ihrer Sache ganz sicher waren. Am entscheidenden Tag 
waren alle Friedensfreunde in Kriegs-Eiferer verwandelt, und 
Thiers mit den Wenigen, die auf Feststellnug der angeblichen Be— 
seidigung drangen, wurde in der Versammlung insultirt. 
So biel von der Auffassung des Herrn Thiers; auch er hat 
natürlich ein Interesse. die „Vonapartisten“ allein zu beschuldigen 
und alle anderen Parteien als verführt und überrumpelt dar⸗ 
zustellen. 
Deutsches Reich. 
Mänchen, 12. Dez. Wie die ‚„Augsb. Post⸗Z.“ meldet, 
änd die Bezirksämter zur schärfsten Beaufsichtigung der katholischen 
Bereine aufgefordert worden. Das Blatt empfiehlt deßhalb nach 
illen Seiten hin Vorsicht. 5. 
München, 15. Dec. Die neueste Nummer des Militär⸗ 
zerordnungsblattes bringt zahlreiche Versetzungen, Befördervungen 
c. in allen Waffengattungen, vorzüglich aber in der Artillerie. — 
Die k. Staatsschulden⸗Tilgungs-Commission hat den ganzen, bisher 
noch nicht verloosten Rest aller fünfprocentigen Anlehen vom Jahr 
870 zuͤr Heimzahlung gekündigt. Die gekündigten Capitalien 
onnen bei dem 413-procentigen Eisenbahnanlehen wieder ange⸗ 
egt werden. 
Speyhser, 14. Dec Die diesjährige Versammlung des 
dandraths wurde heute Vormittag durch den Regierungsprasidenten 
herrn Staatsrath v. Braun geschlossen. 
Müuülhausen, 9. Dez. Köln. 3.) Während man beson- 
»ers Mülhausen in Folge der Option eine starke Abnohme der 
Bevölkerung in sichere Aussicht stellte, ist gerade das Gegentheil 
ingetreffen. Es steht zu erwarten, daße Mülhausen, jetzt mit 
58,000 Einwohnern, bald den vor dem Kriege eingenommenen 
Zztand nicht nur erreicht, sondern übertroffen haben wirnd. 
Ber hien, 11. Dez. Reichskanzler Fürst Bismarck trifft 
nit Familie heute Abend in Berlin ein. 
Berhin. Die für den Landtag vorbereitete große Eisen⸗ 
zahnvorlage liegt jetzt dem Könige zum Vollzuge vor. Der be— 
veutendste Neubau darin ist jedenfalls die direkte Bahn von Ber— 
in durch den Harz über Eschwege und Homburg nach Wetzlar 
ind Koblenz. Auf den Bau der Moselbahn glaubt der Staat aus 
kratgischen Rücksichten nicht perzichten zu dürfen.