Full text: St. Ingberter Anzeiger

Sl. Ingberler Anzeiger. 
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Samstag, den B. Mai. 
1874 
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Was ist aus den fünf Milliarden geworden? 
Das ist eine Frage, deren Behandlung allen Reichsfeindlichen 
Parleien immer ein großes Vergnügen macht. Hier können sie 
den gewöhnlichen Mann so gar leicht beschwindeln, als ob Nie— 
mand im Lande etwas von dem Gelde belommen habe, als die 
kegierung, ja als wenn diese Kriegscontribution unserm Lande statt 
um Segen zum Fluche geworden sei, eine Anficht, welcher die 
ranzösischen Blätter bereitwillig beipflichetn. Man wendet sich bei 
zieser Frage gemeinlich an einen Reservisten und fragt ihn: „Hast 
Du etwas von den Milliarden bekommen?“ und wenn er den 
dopf schüttelt, deutet man auf die großen Generale, als ob die das 
Meiste von der genannten Summe als Dolation eingesackt hätten. 
Dder man erkundigt sich beinm Landmann: „Habt ihr etwas von 
den Milliarden gespürt ? Sind euch die Steuern nachgelassen worden? 
Und wenn hier auch Kopfschülteln, ja Klagen über rrhöhte Aus— 
jaben erfolgte, so weist man auf den bekannten Thurm in Spandau 
sdin, als ob dort die ganze Herrlichkeit gleich dem Nibelungen⸗ 
chatze begraben sei. Nun läßl sich allerdings nicht in Abrede 
tellen, daß die fünf Milliarden nicht erfüllten, was der Unver- 
tand von ihnen erwartete, weil das eben Erwartungen thörichter, 
nit nationclökonmischen Fragen unbekanntier Leute gewesen sind. 
Ja man kann sogar sagen, daß in der Tiefe des Volkes vorerst 
mancherlei Nachtheile empfunden wurden, die überall hervortreten 
müssen, wo sich der Gesammtreichthum eines Bolkes ungeheuer 
rasch vermehrt. Der Geldwerth sank, der Geldüberfluß wurde zu 
Schwindelanlagen und Ueberproduktion veawendet und als der 
strach kam, sauken auch die guten Papiere mit, was viele dem 
Mittelstand angehörende Familien empfindlich schädigte. Im Ueb— 
drigen aber wurden Ausgaben biestritten, die unter Umstände noch 
Jahre lang hätten hinausgeschoben wecden müssen, es wurden eine 
Menge Schulden abbezahit und zu der Reform des Münzwesens 
die ,kothwendigen Mittet geliefert, ein Ereigniß, das die Nachkom- 
nen als eine der größten Segnungen des nennzehnten Jahrhunderts 
merkennen werden. Am besten hat diese Augelegenheit der Na⸗ 
ionalbkonom Soeibeer behandelt, dessen Abhandlung wir folgen⸗ 
yes Passus entnehmen: „Ueber die Verwerdung dieser mächtigen 
Zzuschüsse liegt foigendes vor: Es nahm davon das Deutsche 
Reich in Anspruch 40 Veill. Thlr. für den Reichskriegsschatz, 
35 Mill. zur Ausrüstung der Festungen in Elsaß-Lothrigenund 
u sonftigen Millärausgaben, 36,700,000 Thlr. Ersatz von Kriegs⸗ 
chüden, 24 Mill. Mehrtosten der Occupation französischer Gebiets 
heile, 18,412,300 Thlx. Betriebsmittel u. s. w. für die Eisen- 
jahnen in Cisaß⸗ Lothringen, 10,692,500 Thlr. zur Einlösung 
)er Schatzauweisungen der Marineanleihe, 5,600,000 Thlr. Eut 
chaͤdigung der Rhederei, 4 Mill. Dotation für hervorragende Ver— 
ddenste. Diese und noch eine Reihe anderer, duxch Reichsgesetze bis 
sjum März 1873 auf Frankreichs Leistungen angewiesener Aus— 
zaben erreichen den Betrag von 291,433,597 Thlrt. Ueberdies 
wurden bewilligt 598,391,942. Thlr. zur Rückzahlung vom Nord⸗ 
eutschen Bund für den Krieg von 1870 aufgenommenen An⸗ 
eihen und von demselben aufgewendeten Kriegskosten, desgleichen 
108,846,3109 Thlr. für Retablissenent des Heeres. Auf die 
südlichen Staaten entfallen aus gleichen Gründen entsprechende 
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chlossen. Es empfingen weiter der Reichsinvalidenfond 187 Mill. 
jem Reichskanzler wurden? für verschiedene Zwecke, unter anderem 
ür die Marine. und zur Erbauung eines Reichskagsgebäudes, 
11,301,207 Thlr. überwiesen, und die hiernach verfügdar bleiben— 
»en Ueberschüsse der französischen Contributiosgelder gelangen zur 
beriheilung der einzelnen Saaten. Begreiflicher maßen erreicht ihre 
Summe keine schwindelnde Höhe, denn der bei, weitem größte 
Ztaat, Preußen, hat bis zum 16. October vorigen Jahrs 62,368, 886 
khlr. empfangen, auf die kleinsten Staalen konmt etwa so viel, 
zaß fie ihr Papiergeld tinlösen koönnen. Wer die Reichsregierung 
eschuldigi, daß sie durch allzutasches Hinausgeben so großer 
Summen die Umlaufsmittel über alles Maß vermehet und damit 
zdie Krisis beraufbeschworen habe, bisindet sich im Irrthum. Aller⸗ 
dings sind die zur Rückzahlung der Kriegs⸗ und Marineanleihen 
erforderlichen Kapitalien, die Entschädigungsgelder, die Verwen⸗— 
zungen für die Eisenbahnen in den neuen Reichslanden und die 
Dotationen dem Verkehr wohl unmittelbar zugute gekommen. 
Bleiches gilt rücksichtlich einee Summe von 150 Mitll. Thlr., die 
nach einer Mittheilung des Peasidenten des Reichskanzleramts vom 
26. Juni 1873 zum Betrag von 72,216,000 Thlr. in Schuld⸗ 
erichteibungen deutscher Staaten, Prioritätsobligationen von Eisen⸗ 
hahnen, Communalpapieren und Pfandbriefen, 5,095,000 Thlr. 
nn ausländischen Fonds und mit etwa 72 Mill. in langfichtigen 
Wechseln auf London und im Lombard vorübergehend angelegt 
varen. Anders verhält es sich schon mit dem Reichsinvalidenfonds, 
der den Staaten, und creditwürdigen Corporationen, wie Provinzen, 
reisen, Stadtgeweinden, zinzbare Darlehen gewährte, welche zu 
inem quten Theil nur nach und nach nutzbar verwendet werden. 
Das nämliche ist der Fall bei den Retablissementsgeldern, den 
Bewilli,ungen für Befestigungs- und andere militärische Zwecke, 
»en Marineanlagen. Sie werden allmählich zunächst in besondere 
danäle, theilweise auch in das Ansland abgeleitet, und' es kann 
zeraume Zeit vergehen, bis ie den Bestand der für die Gesammi— 
ndustrie verfügbaren Mittel erhöhen. Ueber die Versendung der 
Zummen, welche an die Einzelstaaten aus den Ueberschüssen der 
ranzösischen Kriegsleistungen gelangen, haben die Regierungen mit 
ihren Ständen zu beschließen, die voraussichtliche Ueberweisung der 
Eisenbahn- und anderen öffentlichen Baulen bedroht den Geld— 
markt aber auch nicht mit einer plötzlichen Ueberschwemmung. 
Ueberdies kann ja Deutschland durch den Zuschuß bon einigen 
hzundert Millionen übersättigt sein, denn ein Münzvorrath von 
180 Mill. Thlr. war, wie das leidige, zum vollen Nennwerih anzu⸗ 
bringende Papiergeld beweist, füt die derechtigten Ansprüche des 
gesunden Verkehrs durchaus nicht hinreichend. Mit besseren Grün— 
den könnte im Gegentheil die Beschuldigung unterstützzt werden, 
daß das deutsche Reich die baaren Mittel Europas durch die Vor— 
berritung seines Uebexganges zur Goldwährung geschwächt habe. 
Bis zum 15. März 1853 sind über 400 Mill. Fres. französischer 
Boldwünzen in 10. und 20 Markstücke verwandelt worden, und 
das Reich haf zwar mik Vorsicht, aber unablässig Gold aus dem 
englischen Markt gewonnen. Von den neugeprägten Münzen im 
Srefammtwerth von fast 300 Mill. Thir. sist erst ein geringer 
Theil in den Händeun des Publikums gekommen. Sie habden jur 
Finwechseluxg namentlich der süddeuischen Silbermünzen gedient, 
»ꝛe Mehrzahl aber harrt, insoweit sie nicht den Reichskriegsschatz 
fült, des Ausselüpfens aus den öffentlichen Kassen und Banlen 
iu der Zeit, wo die vöthige Menge vollständig vorhanden und 
die möglichst rasche Finziehung der alren Währungsmünze ohne 
ibergroße Verluste an den Silberpreisen vorzunehmen sein wird. Wenn 
die Massen in Deutschland von dem Fünf-Ptisliarden⸗-Zuschuß noch 
zar keine Wirkung, verspüren, so kann eine solche dem Einsichtigeren 
nicht entgehen. Deutschland wird dadurch in den Stand geseht, das 
Münzwesen mit, den denkbar geringsten Kosten einheitlich zu ge— 
talten, seine Vertheidigungsmittel sind bedentend verstärkt und die 
onst wegen det wachsenden Staatsbedurfn'sse unabweislich ge— 
veseuen Steuererhöhungen haben sich vernieiden lassen. Eine noch 
iel gröbere Bedeutung messen wir aber der finanziellen Schwächung 
Frankreichs bei, gelche der Reichskanzler nich. aus Haß gegen den 
viderstandsunfähig gewördenen Feind — dies liegt nicht in der 
zeutschen Art — sondern in usbeugsamer Rüchsicht auf den Frieden 
rcuropas durchset ·. 6f. P.) 
Deutsches Reich. — 
Aus Mäün'schen, 6. Mai, geht der „Allge. 3.“ folgende 
»fficiöse Mittheilung zu: „Ein Artikl in Nr. 199 der „Spen. 
Zig.“ rom 1. d. M. enthält unter anderen rekrospectiven Be— 
rachtungen über die Vorgünge vor Ausbruch dis letzten Krieges 
die Angabe: „„die bayrische Regierung dabr damals Frankreich ge⸗ 
ragt, ob man etwaige Neutralität respeckiren würde.“ Wir