Full text: St. Ingberter Anzeiger

Slt. Ingberler Anzeiger. 
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Samstag, den 16. Januar 
8. 
IBinb 
— 
Deutsches Reich. 
Mänchen, 12. Jan. Unter dem 7 dieses Monats hat 
der Koönig den wirklichen Lehrern der Gewerbe⸗, Kreis Landwirth⸗ 
schafts-? und Ackerbauschulen die Rechte von Staatsdienern verliehen. 
Dieselben Rechte wurden den Studienlehrern der vollstandigen und 
unvoslständigen isolirten Lateinschulen eingeräumt. Die Ansprüche 
auf Gehalt stehen sämmtliven genannien Lehrern gegenüber dem 
Zreise zu, in dem sie angestellt sind; dagegen haben die Studien— 
lehrer an vollständigen isolirten Lateinschulen und deren Hinterblie— 
hene ihre Pension resp. Alimentation vom Staate zu bearspruchen, 
während alle Uebrigen dieselbe in dem Kreise genießen, in welchem 
sie fungiren oder fungirt haben. Die beiden Verordnungen, zu 
denen die Vollzugsvorschriften erlassen sind, treten am 1. Januar 
47d. Jahres in Kraft. 
Muünchen, 18. Jan. Das Journal de Paris“ bringt 
lüber das Vorschreilen der Neubewaffnung des französischen Heeres 
mehrere Einzelnuheilen, welche über den Zeitpunkt, bis zu welchem 
Frankreich sein Heer wieder volständig mit Waffen versehen kann, 
interessante Aufschlüsse enthalten, und welche zeigen, mit welcher Has 
selbes seine im Jahre 1870 — 71 beinahe vollständig an Deutsch— 
land übergegangene Heeresbewaffnung und Ausrüstung wieder zu 
retabliren sucht. Vergleicht man die Auslassungen einiger revanche- 
jüchtigen französischen Blätter mit diesen Aufstellungen, dann 
sollie man meinen, schon in den nächsten Monaten würde di— 
riegsfackel wieder die lothri igenschen Schlachtfelder beleuchten. 
Einen vorzüglichen Dümpfer kbelommen aber diese Heißsporne in 
den französischen militärischen Zeitschriften, welche zwar das Vor⸗ 
schreiten des materiellen Retablissements der französischen Armet 
anerlennen, aber über die geistige Stagnation klagen und über die 
Unmöglichkeit, tüchtige Kräste fur das Offizier⸗ und Unteröoffizier⸗ 
sorps zu erhalten, geradezu lamentiren. — Dohh, hören wir das 
„Journal de Paris.“ Dieses Blatt sagt, daß die Herstell ung des 
neuen Gewehres, Muster 1874 (Gras), sofort in Angriff genommen 
wurde; diese Gewehre sollen nur in den Staatsfabriken hergestell! 
werden und zwar in den Maßstabe, daß im Laufe eines Jahres 
dhngefähr eine Million vollendet sein wird; die Chassepot-Gewehre 
sollen nach und nach engezogen und in Gras Gewehre umgeändert 
werden. Frankreich hat hat gegenwärtig wieder 1Million 800,000 
Chassepo - Gewehre, zu deren Umaͤnderaung ebenfalls, ein 
Jahr erforderlich ist. Durch das Hinzufügen von noch 
200,000 neu zu fertigenden Gewehren wird Frankreich 
im Johre 1876 über circa 83 Millionen Gewehre mit 
einem Munitionsvorrathe von 250 Patronen per Lauf ver 
fügen können. — Mit Ende 1875 würde Frankreich 494 Batte. 
rien zu G Geschützen nach dem Systeme Reffye besitzen; mit Aufang 
dieses Jahres wurde die Herstellung von Bronzegeschützen eingestellt 
und das System Lahitolle (Stahlgeschütze mit Hinterladungh an⸗ 
genommen. 
Mäündchen, 13. Jan. Von Sr. Maj. dem Koönig ist 
dem preußischen General v. Hartmann. dem Vertreter Preußens 
hei den Verhandlungen über mehrfache Verträge mit den Bundes. 
staaten, das Großcomthurkreuz des Verdienstordens vom hl. Michael 
derliehen worden. Derselbe war bisher Abtheilungs-Chef im preu⸗ 
zischen Kriegsministerium und ist jetzt zum Inspector der preußischen 
Kriegsschulen ernannt worden. 
Nach den „Münch. Nachr.“ wird der Landtag nicht vor 
Fastnacht zusammen ireien, sondern erst gegen Mitte Februar. 
Mülhausen i. E., 10. Januar. Gestern Abend wurden 
in einem hiesigen Gasthause 3 junge Elsässer, zwei Korporäle und 
ein Sergeant vom franzdsischen 59. TLinienregiment, angehal- 
gehalten, weil sie im Verdachte stehen, sich der deutschen Wehr⸗ 
pflicht entzogen zu haben. Sie sollen vom Jahrgang 1831 und 
1852 sein. Alle drei kamen mit Rekruten don Toulouse nach 
HBelfort und gingen von da zu ihren Eltern auf Besuch; sie hatten 
über ihre Uniformen Civilkleider angezogen. 
Berhin, 12. Jan. Das Landsturmgeses, 
welches so zu sagen die Keönuneg des mächtigen deutschen Wehr⸗ 
gebäudes bedeutet, wurde vom deutschen Reichstag gestern 
II. Jan. in zweiter Lesung wesentlich den Vorschlägen der betr. 
Kommission gemäß erledigt. Danach hat dasselbe folgenden Wortlaut: 
8 1. Der Landsturm besteht aus allen Wehrpflichtigen vom 
vollendeten 17. bis zum vollendeten 42. Lebensjahre, weelche weder 
dem Heere, noch der Marine angehören. Der Land sturm tritt 
aur zusammen, wenn ein feindlicher Einfall The ile des Reichsgebieis 
edroht oder überzieht. 
8 2. Das Aufgebot des Landsturms erfolgt durch kaiserliche 
Verordnung, in welcher zugleich der Umfang des Aufaebots be— 
st mmt wird. 
8 3. Das Aufgebot kann sich auch auf die verfügbaren 
Theile der Ersatzreserve erstrecen. Wehrfaähige Deutsche, welche 
niddt zum Diensi im Heere verpflichtet sind, lönnen als Freiwillige 
in den Landsturm eingestellt werden. 
8 4. Rachdem das Aufgebol ergangen ist, fiaden auf die von 
demseiben betroffenen Landsturmpflicht'gen die für die Landwehr 
geltenden Vorschriften Aawendung. Insbesondere sind die Aufge— 
botenen den Militärstrafgesetzen and der Disziplinarordnung unter⸗ 
worfen. Dasselbe gilt bon den in Folge feewilliger Meldung in 
die Listen des Landsturms Eingetragenen. 
8 5. Der Landsturm erhält bei Verwendung gegen den Feind 
militarische, auf Schußweite erkennbare Abzeichen und wird in der 
Regel in besonderen Abtheilungen formirt. In Fällen außeror⸗ 
dentlichen Bedarfs kann die Landwehr aus den Mannschaften des 
aufgebotenen Landsturms ergänzt werden, jedoch nur dann, wenn 
bereits sämmtliche Jahrgänge der Landwehr und die verwendbaren 
Mannschafton der Ersatzreserve einberufen sind. Die Einstellung 
erfolgt nach Jahresklassen, mit der jüngsten beginnend, so weit die 
militärischen Interessen Dies gestatten. 
85 6. Wenn der Landsturm nicht aufgeboten ist, dürfen die 
Landsturmpflichtigen keinerlei militärischet Kontrole oder Uebung 
unterworfen werden. 
g 7. Die Auflösung des Landsturms wird vor Kaiser an⸗ 
geordnet. Mit der Auflösung der betreffenden Formutionen hött 
das Militärverhältniß der Landsturmpflichtigen auf. 
g 8. Der Kaiser erläßt die zur Ausführung dieses Gesetzes 
erforderlichen Bestimmungen. 
Z 9. Gegenwärtiges Gesetz kommt in Bayern nach näherer Be⸗ 
stimmung des Bündnißvertrages vom 23. Novembor 1870 (Bundes⸗ 
Gesetzbl. 1871 S. 9) unter III. 8 5 zur Anwendung. Dasselbe 
findet auf die vor dem 1. Jan. 18051 geborenen Elsaß Lothringer 
keine Anwendung. 
Gegen das Landsturmgeset stimmten die Ultramontanen, die 
Sozialdemokraten und ein Theil der Forischrittspartei. Der Reichstag 
hat sich mit demselben nur noch in deritter Lesung zu beschäftigen, 
dann geht es an den Bundesrath, der aller Wahrscheinlichkeit nach 
seine Zustimm ung ertheilt, und schließlich wird es dem Kaiser zur 
Genehmigung vorgelegt. 
An' der Debatte, die am breitesten durch den 855 veranlaßt 
wurde, beiheiligte sich u. A. der Professor v. Treitschke; wir heben 
aus dessen Rede folgenden sehr nüchtern und praktisch gehaltenen 
Theil hervor: 
.Von einer Auflegung neuer Verpflichtungen einer Aenderung des 
Rechtszustandes (in Bezug auf Preußen) kann nicht nicht die Rede 
sein. Das Gesetz beabsichtigt, der Willtür militärischer Behörden 
porzubeugen, und weiter halte ich es für praltisch rein undurch 
ühlbar, wenn man durch roch mehr Klauseln, als sie in diesem 
Zz 3 angenommen sind, die freie Hand der Regierung im Falle der 
ãußersten Noth beschränken wollte. Es hat mir, ich kanm nicht 
anders sagen, einen tragi-komischeo Eindruck gemrycht, wenn der 
Herr Abg. v. Schotlemer-Alst (ultram.) hier mitten im rubhigen, 
hehaglichen Saale von den schweren Opfern, welche die Landsturms- 
oflicht dem Bürger auferlege, redete. Wir hoffen Alle, daß wir 
hei unseren Lebzeiten dieses Gesetz nie in's Leüen treten sehen 
verden. Seit mehr denn zwei Generationen sind so ungeheuere 
Forderungen an die kriegerischen Leistungen der Nation niemals