Full text: St. Ingberter Anzeiger

Slt. Ingberler AAnzeiger. 
L 
Dder St. Ingberter Auzeiger und das (2 mal wöchenllichj mit dem Saupiblatte verbundene Unterhaltungsblatt, (Sonnlags mit illuftrirter Vei⸗ 
lage), erscheint vbchentlich viermal: Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag. Der Abonnementé preis beträgt vierieljährlich 
mark 20 R⸗Pfa. Anzeigen werden mit 10 Pfag., von Auswärts mit 15 Pfg. für die viergespaltene Zeile Blatischrift oder deren Raum. Neclamen 
mit 30 Pfg. pro Zeile berechnet. 
48 33. Sountag, den 8. März .78* 1876. 
Deutsches Reich. 
München, 29. Febr. Die von den Truppenabtheilungen 
zlljährlich zu erstellenden Nachweisungen über die Resultate der Re- 
krütenpräfüngen im Lesen und Schreiben hatten bisher nur die 
Summe der aus den einzelnen Regierungsbezirken gezogenen Mann⸗ 
schaften, welche ohne Schulbildung waren, zu enthalten, um die 
Fruirung der Gründe, welches dieses Fehlen jeder Schulbildung 
deranlaßten, zu ermöglichen, haben von nun an vorbemerkte Nach⸗ 
weisungen auch die Namen und Heimathsorte der ohne Schulbil- 
dunge befundenen Soldaten des jüngsten Jahrganges, welche in 
Bayern schulpflichtig waren, anzugeben. Als „ohne Schulbildung“ 
sind diejenigen Rekruten aufzuführen, welche nicht genügend lesen 
oder ihren Vor- und Zunamen nicht leserlich schreiben können. 
Pdünchen, 3. März. Abgeordnetenkammer. Abg. Jörg 
perliest eine Interpellation, betreffend die Vorlegung eines neuen 
Landiagswahlgesezes. Er erinnert an das Versprechen der Thron⸗ 
rede vom 17. Jan. 1870; er führt aus, daß wegen Aufhebung 
des Ansässigkeitsgesetzes von 1834 seit dem Jahre 1868 eigentlich 
kein Landiag volle Rechtsgiltigkeit gehabt habe; er bejeichnet die 
Befugniß des Ministeriums, die Wahlkreiseintheilung zu bestimmen, 
als ein privilegium odiosum; er meint, wegen voraussichilichen 
Mangel!s an bedeutenden Vorlagen ssei der jetzige Zeilpunlt ange⸗ 
messen für die Erledigung eines solchen Gesetzes; schließlich fragt 
er, ob die Regierung gewillt sei, ein neues Wahlgesetz vorzulegen. 
Der Minister des Innern bestreitet die von Joͤrg behauptete 
Folge der Aufhebung des Ansässigkeitsgesetzes, welches übrigens in 
der Pfalz nie gegolten habe; er hebt hervor, daß die Regierung 
seit 1870 zweimal den von Joöorg angeregten Versuch vergeblich 
zemacht habe. Die letzte Wahlgesetzvorlage seit erst unmittelbar 
bdor dem Landtagsschluß zurückgezogen worden, als jede Aussicht 
auf das Zustandelommen geschwunden war. Er zweifelt unbediugt, 
daß in dieser Sachlage eine Aenderung eingetreten sei, und erklärt 
deshalb, die Regierung beabsichtige nicht, einen Wahlgesetzentwurf 
vorzulegen. ———— 
Hieraui Berathung des provisorlschen Steuergesetzes. Refe⸗ 
rent Ruppert befürwortet dessen Annahme. 
Abg. Freytag ertlärt Namens der Klerikalen, daß die Siel⸗ 
nuung der Mehrheit gezjenüber dem Ministerium noch immer dieselbe 
oie vor der Landtags⸗-Vertagung sei; die Situation sei eine ganz 
eigenshümliche; das Verhalten des Ministeriums sei seilher nicht 
anders geworden; er vertraue zwar, daß der Minister des Aeußeren 
einer jüngsten förderalist schen Aeußerung treu bleiben werde, ader 
in den inneren (Schul- und Nirchen-) Fragen habe sich die Situa— 
sion verschlimmert; sie (die Klerikalen) würden aber, um keine 
Stockung der Staatsgeschäfte zu veranlassen, die Steuern bewilligen 
ind das Budget prüfen; sie seien Sr. Maiestät allergetreueste 
Opposition. 
Minister v. Pfretzschner erklärt darauf: „Und wir sind Sr. 
Majestät getreuestes Ministerium.“ (Bravo!) — Minister v. Lutz 
var wegen Unwohlseins nicht anwesend. 
Hierauf wurde die provisorische Steuererhebung bis 31. März 
ꝛinstimmig genehmigt. 
Berlin. Ueber den Stand der Eisenbahnfrage meldet die 
„D. R. C.“ „aus zuverlässiger Quelle“ Folgendes: „In Folge 
des Widerstandes, der sih in Süddeutschland gegen das Project 
kundgab, ist die Idee der Erwerbung der süddentschen Bahnen 
zurch das Reich als definitiv aufgegeben zu betrachten. Hingegen 
wind dem Vernehmen nach beabsichtigt, beim Reichslage die Er— 
werbung aller norddeutschen Staats- und Pridatbahnen in Vorschlag 
zu bringen. Sollte sich aber die Reichsvertretung gegen diesen 
Plau ablehnend verhalten, so wird von einer Mitwirkung des 
Neiches überhaupt obgesehen und soll die preußische Regierung ge— 
sonnen sein, beim Landtage die Erwerbung sämmtlicher preußischer 
Privatbahnen zu beantragen, wobei die Actien derselben nach einer 
estzustellenden Quote in preußische Consols convertitt werden 
mürden, während die Prioritälen uach dem Vorgange bei he 
Niederschlesisch-Märkischen Bahn als solche wahrscheinlich fortbestehen 
bleiben, so daß keinerlei große Anleihespeculation erforderlich ist.“ 
Darnach wäre in erster Linie immer noch die Mitwirkung des 
seiches in Aussicht genommen, und erst, wenn dieser Weg durch 
den Widerstand der größeren Mittelstaaten als ungangbar sich dar⸗ 
tellt, wird Preußen auf die Ordnung der Angelegenheit in seinem 
eigenen Hause sich beschränken. (Die officiöse „Prop.⸗-Corr.“ be⸗ 
Jätigt, daß dem preußischen Landtage demnächst eine Eisenbahn- 
Vorlage zugehen wird.) 
Das Reichs-—GGesundheitsamt wird am 1. April d. 
J. in's Leben treten und eine seiner Hauptaufgaben wird der Ent 
purf eines die obligatorische Leichenschau betreffenden Gesetzes sein, 
das hinwiederum nicht ohne Einfluß auf einzelne Landesgesetz⸗ 
zebungen namentlich in Preußen, sein wird. Im Geltungsbereiche 
des allgemeinen Landrechts haben mit Ausschluß von Berlin, wo 
eine solche Leichenbeschau bereits lange besteht, die Geistlichen über 
zie Beerdigung Entscheidung zu treffea, und es ist ja bekannt, daß 
unlängst erst der Minister der geistlichen u. s. w. Angelegenhbeiten 
den Consistorien mitgetheilt hat, daß die neue Gesetzgebung über 
die Beurkundung des Personenstandes hieran nichts geändert hat. 
Vermischtes. 
Aus München wird gemeldet:? Ein kleiner Roman, der 
sich in unsern höchsten Regionen abspielte, scheint dem Abschluß 
nahe zu sein. Daß sich ein junger Mann von Fürstlicher Geburt 
in ein bürgerliches Mädchen, besonders weun es vom Thealer ist, 
derliebt, dessen können sich unsere Durchlauchten nicht allein rühmen; daß 
aber ein Prinz auf die Vorrechte seiner Geburt, auf seine Stel⸗ 
lung in der Gesellschaft, ja sogar auf seinen Namen berzichtet, um 
als ehrlichet Mann an dem Mädchen seiner Wahl zu handeln. 
Die Helden eines solchen Liebesromanes sind wohl selten. Einer 
dieser Helden ist Prinz Paul von Thurn und Taxis, ehemaliger 
Flügel-Adjutant des Königs. Man wird sich noch des Aufsehens 
rrinnern, welches die Beharrlichkeit, mit der Prinz Paul von 
Thurn und Taxis auf seiner Verehelichung mit einer Schauspielerin 
des Aclientheaters bestand, vor einigen Jahren in München hervor⸗ 
rief. Die Folge dieser Beharrlichkeit war, daß dem Prinzen von 
einer Familie die Heirath unter der Bedingung gestättet wurde, 
daß er auf alle Rechte seiner Geburt wie auch auf seinen Fürst⸗ 
ichen Namen verzichte. Oer Prinz nahm diese Bedingung an, 
zrhielt eine Jahresrente von 8000 fl., heirathete und nannte sich 
einfach Paul Fels. Die Gnade des Königs sezte diesem Namen 
das Wörichen „von“ vor. Kuf seine, wie zu Zeiten seines Glanzes 
die Freunde dersicherten, hübsche Stimme sich stützend, ging Fels 
nit seiner Frau nach Zürich — zum Theater, machte aber daselbsi 
Jlänzendes Fiasco. Herr v. Fels würde wahrscheinlich von dem 
Momente an, wo er den Rückzug von den die Welt bedeutenden 
Breitern angetreten hatte, auch für die Welt verschollen geblieben 
ein; für die letztere blieb er aber doch trotz aller Verzichte der 
derstoßene Sohn des Fürsten don Thurn und Taxis, der Schwager 
der Prinzessin Helene, Herzogin in Bayern, und der Neffe des 
dronobersthofmeisters Fursten von Dettingen⸗Spielberg; endlich 
»lieb er der Sohn einer Frau, der alle Welt ein warm fühlendes 
Mutterherz zuschteibt. Man sagt, daß es oem Fürsten Oettingen 
Jjelungen sei, eine Versöhnung seiner Schwester, der verwittweten 
Fürstin Mathilde, mit ihtem Sohne Paul herbeizuführen, und daß 
s sich nur noch um die Lösung der Frage handelte, wie der obscure 
Paul von Fels wieder als Prinz von Thurn und Toaris in die 
Besellschaft einzuführen sei. Den Schlüssel zur Lösung dieser Frage 
oll die Erbprinzessin Helene gesfunden haben. Es verlaute, daß 
rach Vollendung der Umbauten auf der neuen Königlichen Befitzung 
„Herreninsel“ in Chiemsee dort großartige Park- und Wasserfeste 
2 la Louis XIV. abgehalten werden sollen. Ferner soll der Plan 
um Baue eines Saaltheaters in der Residenz genehmigt sein, in 
em nur von „allerhöchsten und höchsten“ Hertschaften Scenen aus 
hern Wagner's. framzösische Lustspiele. lebende Bilder und end—