Sl. Ingberler Anzeiger.
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M ODYlI. Samstag, den 10. Juni 1876.
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Deutsches Reich.
München, 7. Juni. Der deussche Kronprinz wird, wie in
zut unterrichteten Kreisen verlautet, im Laufe dieses Sommers zur
Inspection der Truppen des 2. bayerischen Armeecorps nach Würz⸗
burg kommen.
Mösnchen, 7. Juni. Zu der am 14. ds. Mis. statifinden⸗
den feierlichen Eröffnung der deutschen Kunst⸗ und Kunstgewerbe ⸗
Ausstellung die in Vertretung des Königs durch den Prinzen Luit⸗
pold stattfindet, werden die Mitglieder des diplomatischea Corps,
die Spitzen aller t. Hof ˖ und Staatsbezörden, sowie die sämmt⸗
lichen Mitglieder der beiden Kammern des Landtages eingeladen
rerden.
Berlin, 6. Juni. Die Abreise des Kaisers nach Ems, die
ruf morgen bestimmt war, ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Die Ursache wird in den Ereignissen am Bosporus zu suchen sein.
Fürst Bismarck, aus Friedrichsruhe zurückgelehrt, hatte schon am
Sonutag Adend eine lange Unterredung mit dem Kaiser, und es
wird gewiß nicht die letzte gawesen sein. So verschieden der Thron⸗
wechsel in Konstantinopel auch beuctheilt werden mag, darüter ist
nan einverstanden, doß die Berliner Denlschrift von 13. Mai
nicht ohne Weiteres auch fernerhin als das Progamm der europäischen
Mäch!e betrachtet werden kann. War sie doch ehnehin durch den
Widerspruch Englands und der Türkei einiger Maßen in ihrer Be⸗
deutung verringert worden. Die englische Regierung claubt, daß
ramentlich Oesterreich sich in Berlin von Rußland weiter habe hin⸗
eißen lassen, als im österreichischen Interesse liege, und daß auch
Fraukreich seine etwas übereilte Zustimmung bedauert. Neue Ver⸗
inbarungen der drei Kaisermächte sind offenbar nölhig geworden,
und auch aus Petersbdurg wird gemeldet, daß russischerseits gegen⸗
uͤber der Türkei keinerlei isolirte Schritte geschehen werden und daß
»or Allent erft eine Verständizung mit den befreundeten Mächten
tatifinden solle.
Berlin, 7. Juni. Es ist die Meinung verbreitet, die
Reise der Beamten der englischen Admiralität nach den Nordsee⸗
üsten hänge mit der Frage e ner eventuellen Abtretung Helgoland's
in Deutschland zusammen. Gut Unterrichtete wollen wissen, e'ne
Anzahl von Mitgliedern des englischen Parlaments sei bereit, die
Idee zu unterstützen. — Aus vorzüglichster Quelle verlautet, daß
in den nächsten Tagen de drei Minister des Auswärtigen ven
Deutschland, Rußland und Oesterreich-Ungarn hier wieder zusam—
nenkommen. (N. C.)
Der deutsche Anwalistag, welcher in den ersten Tagen des
Monats in Cöln getagt, hat sich mit überwältigender Majorität
ür die adsolute Freiheit der Advokatur und Freizügigkeit der An⸗
välte ausgesprochen. In der Frage wegen Lokalisation ist der
Unttag des Referenten, Fürst aus Mannheim, auf Zulassung
aäͤmmtlicher Anwälte bei allen deutschen Berichten mit 97 gegen 92
Stimmen abgelehnt, dagegen Zulassung aller Anwälte innerhalb
ines Oderlandesger'chtsbezirks angenommen.
NAusland.
Paris, 4. Junai. Vem „Soleil“ zufolge hat der Ex-Mar-
chall Bazaine soeben in Spanien eine neue Relation seiner Kriegs⸗
haten von 1870 veröffentliht. — Ein Dekret des Pdarschals Mac
Mahon vom 22. Mai ermächtigt den Maire von Belfort, eine der
Straßen dieser Stadt „Rue Thierz“ zu benennen. — Das dritte
driegsgericht hat den 26jährigen Saffionarbeiler Gduard Diard,
essen Vorleben das eines Pariser Taugenichts ist, als einen der
Mörder der Dominitaner von Arcueil, die dekanntlich am 25. Mai
1871 von dödtrirten nach dem in der Avenue d'Jialie gelegenen
. Seltor geschleppt und dort meuchlings erschossen vorden sind,
um Tode verurtheilt. Als die Dominikaner durch die Avenue
vItalie geführt wurden, kam — wie eine junge Bandkrämerin,
)e sich lange durch Furcht vor den Drohungen Diards von einer
Anzeige abhalten ließ, versichert, Diard hinzu. Die Dominikaner
vaten im Begriffe, aus den Händen der Nauonalgardisten zu enl⸗
ltehen. Diard blieb stehen, pflanzte eine kleine rothe Fahne. die
er aus der Tasche zog, auf dem Geländer des Bievre auf, legte
sein Gewehr auf einen der drei Dominilaner an, der am Rande
des Trottoirs stand, und gab Feuer. Der Dominikaner brach so⸗
'ort entseelt zusammen.
Paris, 6. Juni. Der „Gaulois“, der freilich eine sehr
unzuverlässige Quelle für orientalische Nachrichten ist, will wissen,
Enoland habe mit der osmanischen Regierung einen Verttag ab⸗
zeschlossen; die Türkei verlange von Aegypten 25,000 und von
Tunis 5000 Mann Hilfatruppen. — Es gilt noch für ungewiß,
ob der Khedive wirklich in Person nach Konstantinopel gehen oder
ob er nur einen außerordentlichen Vertreter absenden wird.
Der Graf von Paris hat sich nach England begeben und
vird von dort morgen die sterblichen Ueberreste Louis Philipps
Jerübe rführen. Die Obsequien werden am Freitag in Dreux statt⸗
inden. — Das Gerücht von einem d plomatischen Rundschreiben
des Herzogs von Decazes in Bezug auf die orientalische Frage
wird dementirt.
Privatbriefe aus Salonichi schildern die dort unter der
nuselmännischen Bevölkerung bertschende Gährung in den düstersten
Farben, und man wagt es nicht die intellektuellen Urheber des Ver⸗
rechens zur Veranmworfung zu z'ehen. Was bis jetzt geschehen ist,
erdankt man lediglich der Energie, mit welcher der denische Konsui
Ir. Gillet die Sache betreibt. Die gehenkten Morder gellen jetzt
ils Märiyrer. Einer derselben, ein Neger, war im Dienste des
rmordelen Konsuls Abbot, und er soll gerade den ersten Streich
jegen die beiden unglückseligen Opfer des Fanatismus geführt
sasen; bei det Hinrichtung wurde bemerkt, daß er sich selbst den
Strick um den Hals legte. Leider dat das Ereigniß von Salonichi
joch ein weiteres Opfer gefordert. Die Schwester des ermordeten
Abbot, Frau des ermordeten Moulin, vergoß bei dem Anblick der
reußlich veistümmelten Leiche idres Gemahls keine Thräne, sie
chuut ihr Huupihaar ab und legte es auf den Leichnam; sie selbst
var wahnsinnig geworden!
Einen Beweis von der großen Geschäftsstocung der Baum⸗
noll-Industrie Eaglands liefert ein dieser Tage gefaßter Beschluß
er Baumwollfabrikenbesizer von Bury und Bacup, in Folge des
Bfingstfestes ihte Etablissements für sieben Tage zu schließen. Uuch
am man überein, in einer späterer Versammlung die Frage des
Urbeitens auf halbe oder kürzere Zeit in Erwägnug zu jziehen.
Als bezeichnend für die Lage des Eisengeschäftes verdient ange⸗
ühet zu werden, daß zwei bedeutende Firmen in Middlesborough,
Zoldow and Vaughay und Hopkins, Gilkes and Co. in ihren
-chrenenwerlstättea nicht weiter arbeiten lassen und den in denselben
»efcäfti gten Arbe'ꝛiern — etwa 1000 — vierzehntaägige Kündi⸗
zung gegeben haben.
Amerika. Seit jüngster Zeit hat sich die Auswanderungs⸗
zrage in Deutschlaud wieder stark in den Vordergrund gestellt.
Seitens der Reichsregierung ist in löblicher Weise eine Bewachung
ener piratenhaften Auswanderer-Agenten eingetreien, welche unter
joldenen Versprechungen deutsche Landsleute wie das Vieh ver—
hacherten und das amtliche Organ, der Reichzanzeizer hat in
einen nichtam tlichen Spalten einen anerkennenswerthen Feldzug
segen die gewissenlose Verschiffung und Ausbeutung deutscher Ar—
reitöhraft angestrengt. In der That hat Deutschland Wiilltonen
ind aber Piillionen seiner Landeskinder bereits an die Ftemde
bgegeben und der germanische Vollsstamm, der zu Kolonisations⸗
wecken das hervorragendste Talent hat, scheint dazu berufen neue
Velten zu bevölkern. Rach kalifornischen Blättern fängt die all⸗
emeine Verdretung der Deuischen im Westen der Vereinigten
Staaten an immer mehr die Ueberhand zu gewinnen. In Kalle
ornien selbst sind bereits mehrere Otte, ja auch Städte, wie
Anahtim, Los Angelos County stark im Deutschwerden begriffen,
ind es sind namentlich Weinbautr, welche in den vom Klima be—
zünstigten Stellen sich meist in nicht unerheblichem Wohlstande de⸗
inden. Das Sonoma⸗ und Napa⸗Thal, große Strecken der Sierra
devada, Santa Cruz, Humboldt Counth, Santa Barbara Coanty