St. Ingberler Anzeiger.
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43 103. I Samstag, den 1. Juli
1876.
Deutsches Reich.
München, 28. Juni. Bei Berathung des Wahlgesetzentwurfs
in der heutigen Sitzung der Abgeordneteukammer begründete Ab⸗
zeordneter Schels das Bedürfniß der Revision des jetzigen Wahl⸗
Jesetzes auf Grundlage directer Wahlen. Abgeordneter von Schauß
iebst 71 Parteigenossen brachten einen Antrag auf Uebergang zur
notivirten Tageßordyung ein. Nachdem dieser Antrag abgelehnt
vorden war, nahm die Kammer bei namentlicher Abstimmung den
Artitel 1 des Entwurfs mit 75 gegen 72 Stimmen (liberale) an.
Auf die Weiterberathung wurde jedoch, da die nothwendige Majo⸗
rität von zwei Dritteln nicht erreicht war, verzichtet, und ist dem—
nach der Jöcg'sche Antrag auf Wahlreform beseitigt.
München, 28. Juni. Vom Referenten üder der Etat des
CTultusministeriums, Abg. Domcapitular Dr. Schmid, werden an
inzelnen Positionen Abstriche, dagegen zur weiteren Aufbesserung
der Bezüge der Volksschullehrer die Einsetzung von 1 Mill. M.
in das Budget beantragt. Nach des Referenten Anträgen sollen
im Ganzen 20,950,564 M. vewilligt werden, wähtend das Regit⸗
rungspostulat 20,022, 116 M. beträgt.
Berlin, 25. Juni. Ueber die gegenwärtige Flottenbewe—
zung im Mittelmeere ist zu berichten, daß mit Beginn des nächsten
Monats die Geschwader dort vollzählig versammelt sein werden.
Ain zahlreichsten und stärlsten in Bezug auf Mannjchaft, Bewaff-
nung und Scheffsbau tritt selbstverständlich England in der Beauͤla ⸗
Bai auf. Bereits hat es unter dem Commando des Ndmirals
Drummond dort 17 Kriegsschiffe, wopon 6 Panzer, mit 107 Ka⸗
sonen und 3000 Mann Besaätzung vereinigt; in Gibraltar liegt
»as Kanalgeschwader, worunter 5 Panzer, mit 50 Geschützen und
2400 Mann Besatzung bereit und weitere 8 Panzer werden in
den heimischen Häfen seebereit gestellt. Frankreih hat unter Contre⸗
admiral Jaures ein Escadre von 9 Schiffen, worunter 4 Panzer,
ait 55 Geschützen und 2417 Mann Besatzung entsendet; weitere
3 Panzer werden zur Zeit in Toulon ausgerüftet. Deutschlands
inter Contre⸗Admiral Batsch, bestehend aus 9 Schiffen, worunter
Panzer, mit 70 Schffsgeschützen und 2700 Monn B satzung,
st gegennärtig bereils über Malta hinaus. Oesterreich hat untec
Fommando des Contre-Admiralz Barrey 4 Kriegsschiffe mit 32
geschützen und 1238 Mapn Besatzung in die kürtischen Gewässer
eordert; zwei weitere Panzer fol en noch. Italien ist mit 5
Banzer⸗Schiffen von 31 Geschützen und 1658 Mann Besatzung
inter dem Commando des Coptre⸗Admirals de Virch vertreten;
in weiteres Geschwader mit 29 Geschützen liegt in Tarent zum
duslaufen bereit.
Berlin, 28. Jun'. Das Geschwader ist on 25. d. M. in
Salonichi angekommen.
Berlin, 28. Juli. Der Kaiser wird sich am 6. Juli
von Ems zunächst auf einige Tage nach Koblenz, dann nach Hom⸗
zurg und hierauf über Karlsruhe nach der Mainau begeben, von
vo in der dritten Woche des Juli die Reise nach Gastein ange⸗
reten werden soll.
Berlin, 28. Jani. Der Gerichtehof für kirchliche Ange—
egenheiten erklannte deule gegen den Erzbischof Melchers von Koͤln
uf Absetzung vom Amte, weil sein Berhalten mit der öoͤffentlichen
Irdnung unverträglich sei.
Berlin, 29. Juni. Der Schluß der Landtagssession wird,
vie die ministerielle Provinzial-Corr. mittheilt, venn nicht schou
eute spätestens morgen in gemeinschaftlicher Sitzung beider Häuser
zurch den Bizepräsidenten des Staatsministeriums, Finanzminister
Famphausen erfolgen.
Die Mitgiieder des prenßischen Abgeordnetenhauses klassificiren
ich rach ihren Berufsständen wie folt: 109 Gutsbesitzer, 36 Kauf⸗
eute und Fabrikbesitzer, 32 Gelehrte und Privatleute, 18 Geistliche,
d Aerzte und Apstheker, 15 Lehrer (darunter 2 Elementarlehrer),
0O Prof⸗ssoren, 29 Provinzial- und Kommunalbeamte, 54 Ver⸗
valtungsbeamte (darunter 4 Ministech, 116 Justizbeamte, dadvon
39 Nichter, 24 Anwälte und 3 Staätsanwälte.
Ausland.
— Wien, 28. Juni. Nach Meldungen hiesiger Zeitungen aus
dagusa haben die Insurgenten der Herzegowina den Fürsten von
Montenegro zu ihrem Fürsten prollamirt und eine Deputation nach
Fettinje enisendet, um ihm diesen Beschluß mitzutheilen.
Einem Wiener Telegramm der „Post“ zufolge verlautet ge-
rüchtweise, „Fürst Gortschakoff werde wegen des nahe bevorstehen⸗
Ren serbisch-türlischen Krieges seinen Urlaub nicht antreten und den
Tzar auch ferner deglesten; in diesem Falle würde sich auch Graf
ndeassy zur Kaiser⸗Entrebue nach Reitstadt begeben — In Pest
errseti große Aufregung wegen der Agitation der ungarischen Ser⸗
en, ständlich treffen alarmirende Nachrichten ein. In Süd⸗Ungarn
ind zahlreiche Verhaftungen omladinistisch Verdächtiger erfolgt, die
ZJehötden verlangen Verstärkungen der Garnisonen. Das Stubl⸗
vchteramt in Mohacs hat vierzehn Kisten Gewehre konfiszirt.“
Hieraus ergiett sich zur Genüge, daß den guten Oesterreichern
vor ihrer Gottähnlichkeit ein wenig bange wird. Sie haben so
ange in Belgrad schüren helfen, daß sie nun die Angst überkommt,
ie tönnten am Ende die Geister nicht los verden, die sie gerufen
aben. Aber selbst bei dieser Angst läuft noch viel Humbug mit
uter: wenn man beispielsweise von den drei serbischen Aufgeboten
richt und sie auf zusammen 195,000 Mann bejiffert, während,
henn es hoch ?omimt, Fürft Milan mit Aufbietung aller Kräfte
rum im Stande ist, volle 50,000 Mann feldtuchtiger Truppen
die Schlachtline rücken zu lassen. Da nun Serbien gegen die
zürkei hin offen ist und sein Terrain dort nicht gestattet, einen
zuerillaktrieg zu führen, wie in Bosnien und der Herzegowina,
»ird man sich in Belgrad doch noch sehr besinnen, ehe man sich
uf das Abenteuer des Türkenkrieges einlätzt. Freilich sollte Ruß⸗
and im Stillen doch dieste kriegerische Aktion begünstigent, so wäre
er Krieg allerdings schon jetzt entschieden.
Pacis, 27. Juni. Tas „Journal ojficiel“ veröffentlicht
in Decret des Präsidenten Mac Mahon, wonach 87 Miitglieder
der Commune begnadigt sird.
Paris, 28. Juni. Die „Agence Habas“ meldet: Am 85.
Juni lief ein Muselmang durch das Judenviertel von Al-Kazar in
arocco mit dem Dolche in der Hand und ausrufend: „O
Oduselränner! rüchen wir uns an unsern Feinden!“ Er stach 11
Juden, von denen 2 sosort todt waren und mehrere toͤdtlich ver⸗
pundet wurden. Die Vice-Consuln von Amerika, Italien, England
ind Spanien haben Garantieen für Leben und Eigenthum der
ruropäer vetlangt und werfen dem Pascha vor, ts an der nöthigen
Wachsamkeit haben fehlen zu lassen.
Die Nachrichten aus Serbien lauten immer ernster, so ernst
jaß der Ausbruch der Feindseligkeiten als fast unvermeidlich erscheint.
das Kriegsmanifest soll bereits gedruckt und mit der Weilung ver⸗
jegelt in die Hände der Korpskommandanten gelegt sein, auf em⸗
jangene telegraphische Ordre die Siegel zu erbrechen und das
Manifest zu publiciren. torgen (Montag) schreibt man der „A. A. 3.“
interm 25. d., rücken die sämmilichen Reserven der Grenze näher,
zleichzeitig marschiren das zweite Aufgebot sowie die Gensdamerie
ind alle sonst militärisch organisirten Korps einschließlich der Feuer⸗
vehren; auch die Festyngsbatterien sind schon auf dem Marsch, und
wei ehemalie Minister haben die Intendanturgeichäste der Armee
hernonmen; drei Dwisionen endlich mit 28 Geschützen sind bis
sart an die Grenze vorgeschohen. Noch bedeutsamer werden diese
Meldungen, wenn es richlig ist, daß das unberechenbare Montenegro
ibermals eine Schwenkung vollzogen hat, daß die Insurgenten der
derzegowina unmittelbar an der montenegrinischen Grenze lagern,
ind daß die gesammte montenegrinische Streitmachzt, um bei dem
ersten Zusammenstoß zwischen Serbien und der Pforte gleichfalls in
uttion zu trelen, bei Ostrog, Podgorißa gegenüber concentrirt wird
ind der Ankunft des Fürsten Nibta selbst gewärtig ist. Am aller
»edeutsjamsten aber würde die — allerdings wohl mehr als ver—
äachtige — Meldung sein, daß freilich die westmächtliche Diplomatie
in Belgrad fortgesetzt energisch für den Frieden eintritt, daß aber