Full text: St. Ingberter Anzeiger

eingepfercht, wo sie allen möglichen Beschimpfungen seitens des tür⸗ 
lischen Pobels ausgesezt sind und Hungers sterben, weil die Bul⸗ 
garen nicht zu Hülfe kommen dürfen. 
Ein Brief der Dailn News bestätigt diesen Bericht, beziffert 
die Zahl der lebendig verbrannten Frauen auf 40 und zitiri den 
Bericht eines Konsuls, der die Todten auf 12,000 bemißt. Wie 
da die Mächte noch immer von Nicht;Interveation sprechen koͤnnen 
ist dem gewöhnlichen Menfchenverstande kaum begreiflich. 
New⸗Yort, 11. Juli. Der Kaiser und die Kaiserix von 
Brasilien werden sich morgen, den 12. Juli, nach Europa einschiffen. 
Die deutsche Industrie auf der Weltaus— 
stellung zu Philadelphia ist aus Anlaß des absprechenden 
Urtheils des Herrn Reuleaur (iu Nummer 105 d. Bl. mitgetheilt) 
von dem Berichterstalter der „N. Frkf. Pr.“ über die Muͤnchenet 
Kunsi⸗ und Kunstgewerbeausstellung zum Gegenstand einer inderes. 
santen Besprechung gemacht worden; dieselbe lautet folgendermaßen: 
„Wie ein erschütternder, dumpf verrollender Donnerschlag hal 
Reuleaux's Bericht aus Philadelphia Deutschland erschredt. Er hat 
das Kainszeichen „billig und schlecht“ der deutschen Arbeit als Sig⸗ 
natur gegeben, und olle Welt fragt sich: „Haben wir Das verdient? 
Die Antwort lautet zunähst, daß Prof. Rteuleaux als Direktor des 
Polhtechniluris in Berlin eine große Autorität und vor Allem ein 
ehrenwerther Mann ist, der stets seine Ueberzeugung ausspricht. 
Das Alles hindert uns aber nicht, sein Urtheil als falsch und sei⸗ 
nen herben Tadel als höchst schädlich zu bezeichnen. So reinigend 
ein Gewitter wirlt so schlimme Folgen bat ein Hagelschlag. Die 
Ausstellung in München ist die einzig richtige thatsächliche Wider⸗ 
segung der uns aufoktroyirten Marke „billig und schlecht.“ Seien 
wir nur gerecht gegen uns und Andere und beschönigen wir keines— 
wegs unsere Schwächen. Wir geben nun zu, daß Deuisschland 
schlecht ausgestellt hat. Wer ist darau schuld d Zunächst die Ameri— 
laner, die auf unsere Waaren 45 pCt. Schutzzoll legen und somit 
im Brinzip uns den Markt verschließen und uns nur einladen, um 
uns zu studiren. Für dieses Erxperiment bei so geringen Garan— 
tieen der Sicherheit der Waaren und bei so kolossalen Versicher⸗ 
ungsprämien bedankt sich der „vorsichtige“ Fabrikant, zumal wir 
doch keine Verpflichtuagen zu Opfern haben, da Amerika auch in 
Paris und Wien spärlich vertreten war. E 
Wer bat also ausgestellt? Zuerst eine keine Anzahl von Fa⸗ 
brikanten, welche den Wuͤnschen der Regierung gern Opfet brachten 
und ehrenhalber ihre Schätze lieben, um zur würd! geu Vertretung 
beizutragen. Dann aber lkam der große Trost Derjenigen, die in 
Deutschland nicht minder wie in anderen Ländern an der Ueber⸗ 
produltion der Maschinenindustrie gelitien hatten und nun trotz 45 
pCt. Schutzoll für ihre zweifelhaften Wanren ein Absatzgebiet su⸗ 
chen. Diese Leute, die belanntlich gerade in Berlin wie Pilse em⸗ 
porgeschosfen und nach dem Kroch in bedrängten Verhältnissen 
leben, sind von der Rechtskommission biel zu nachsichtig behandelf 
vorden, so daß fie jetzt in ihrer überwiegenden Mehrzabl Deutsch⸗ 
land repräsentiren und die schlechte Note verschulden. Wie kommt 
aber ein hoher Beamter der kgl. Regierung daju, ganz Deutschland 
mit dieser Halbwelt zu verwechseln? Warum hat er, der doch 1873 
schon eine Ausstellung mit geleitet hat, nicht jene Erfahrungen an 
hoher Stelle beiont, um einem abermaligen Mißerfolge vorzubeu⸗ 
zen? Nachdem Preußen schon 1857 durch seine tahle Ausstellung 
in Paris eine Niederlage erlitten hatte, frug ich 1873 den seitdem 
verstorbenen Ministerialdirektor v. Moser, 14 Tage vor der Eröff⸗ 
unng der Ausstellung in Wien, welche Dispositionen für die Kunst⸗ 
industrie getroffen seien. Die Antwort war: „dieselbe könne keine 
Ausnahmsstellung erhalten und missse sich unter den übrigen Ge— 
zenstäuden Platz suchen. Alles Weitere seien schöne, aber un mög⸗ 
lich zu beachtende Künstler-Illusionen.“ Wie der Erfolg dann 
war und wie schwer man die Perlen der Kunst auf dem Miste 
der alltäglichen P. osa finden konnte, ist noch in bester und trauti— 
ger Erinnerung Es scheint aber, daß ein Jena auf diesem Ge⸗ 
biete nicht genügt hat, und daß erst das halbe Dutzend der em⸗ 
ofindlichsten Niederlagen voll werden muß, bevor die Regierung 
einen ordenilichen Generalstab für die Kunstindustrie und für di 
Ausstellungen organisirt. 
Billig und'schlecht“ verdienen als Note freilich einige Schund⸗ 
fabrilanten, die nur Surrogate U'efern und das Verlrauen miß⸗ 
—XXD Kapital in ertlege⸗ 
nen Distrilten die billigeren Arbeitsträfte ausnutzen und dem Acker— 
bau die nöthigsten Hänpde entziehen, welche das Proletariat der 
Dörfer in die Städte locken und nach kurzer Zeit den Gemeinden 
zur weiteren Unterstützung überlassen, sind auch in Deutschland in 
der Gründerepoche zahlreicher als früher an's Licht getreten. Aber 
fe sind in andern Landern auch vorhanden, und es herrscht nur 
der Unterschied, daß bei unserer Gewerbefreiheit diese der Rellame 
so bedürftigen Schwindler sich verdrängen, während eine ältere 
Entwickelung der Kunstindustrie in den Nachbarländern das Prinzip 
befestigte, daß nur die Aristokrat'e der Fabrika ten das Schönste 
ausstellen dürfe. Die lässige Zurückhaliung unserer bedeutendster 
Firmen wäre eigentlich schwerer zu tadeln, als die Rührigkeit der 
Schundfabrikanten, wenn eben nicht die Ansicht gerechtfertigt wäre, 
daß die egoistischen Yankee's mit ihren 45 pCt. Schutzzjoll kein— 
Bemühungen unsererseiss verdienen. 
Ist nicht unsere Vorliebe für Amerika mit der großvaterlichen 
Liebe zum Enke! zu vergleichen, die von letzterem meistens mit Ün— 
dank und Spott belohnt wird, da er beim Großdoter nur die 
beralteten Gewohnheiten, nicht aber dessen Tagenden beachtet? Alle 
strebt nach Entfaltung vorwrts. Nie lohrt das Tochterland der 
Heimath die Opfer. Seien wir daher auch nicht ju blind in 
unserer Liebe. — — 
In Bezug auf Reuleaux's weitere Vorwürfe ist zu bemerken, 
daß die von der Regierung viel zu nachfichtig behandelle Sozial 
demokratie mit dem Pesthauche ihrer Lehren in Deutschland 
chlimmere Früchte trägt, als in andern Landern, wo diese kommu⸗ 
aistischen Thorheiten fast nur als Modesache, bei uns aber mi 
religibsem Fanatismus kultivirt werden. Gebt nur so weiter die 
Rednerbühne in diesen von Tausenden beluchten Volksversammlungen 
für diese Volksverführungen preis, und Ihr werdet zu spät sehen, 
daß das Gift der Irrlehren unausrottbar ist, denn die Logitk der 
R.echte ist einschmeichelader für Ohr und Herz, als die der Pflich 
sen. Der wohlwollendste Fabrikant muß schließlich die Regungen 
der Humanität zügeln und die eiserne Strenge vorherrschen lassen, 
wenn die in solchen Versammlungen verführten halbreifen Jüng 
Unge ihre Begriffe von Mitreden und Selblibestimimnung ins Prak⸗ 
nische übersetzen. 
Wahrend in andern Ländern die Reellität und der Fleiß der 
deutschen Kaufleute auf jedem Comptoir anerkannt werden, soll nach 
Reauleaur gerade Deutschland selbst der Herd der Unreell tät sein? 
Berwe hselt man da nicht einige Schwindler der letzten Epoche, die 
sich gerade in Berlin zc. aufgebläht haben, mit den Tausenden von 
ehrenwerthen Fabrikanten und Kaufleuten, die gottlob ohne Muůhe 
in Deutschland zu finden sind? 
Mit dem übertriebenen Patriotismus ist 18 auch nicht so arg, 
wie Prof. Reuleaux es geschildert hat. In Athen war die Em⸗ 
der Minerva auqc so zahlreich aus Lokalpatriotismus vertreten, daß 
der Witz davor warnte, neue · Eulen hinzubringen. Wenn in Eng⸗ 
'and „God sare the Queen“ gespieli wird, muß auch der Fremde 
ven Hut abziehen. Napoleon Ul. war 1867 wohl nicht minder 
»ft in Prris abgebildet, als unser Kaiser jetzt in Philadelphia. 
Die Italiener hatten Viktor Emanuel 1873 als Kolossalbüste als 
Vittelpuntt jür ihre Macmo: Arbeiten bingestellt. Und nun sollen 
wir nach dem beispiellosesten Ecfolge, nach der Erfüllung unserer 
lühnsten Traume gar so sehr Rücksichten auf de giftgeschwollenen 
aeidischen Na hbarn nehmen, daß wir unsere Freud nicht durch 
einige Germania's, Bismarch's und Moltke?s ausdrücken darfen? 
Nur sei es nicht geschmackos, und Das ist Aufgade der Ueder⸗ 
wachung, daß die schlechten Kopieen nicht zugelassen merden und 
die guten Arbeiten in würdiger Umgebung stehen. Wenn uns der 
ungerechte Tadel der Feinde trifft, so müssen wir einsach und weh⸗ 
ren; wenn aber unsere Vertreter uns vor allen Nationen diskredi 
tiren, nun, so inag Das zwur ehrlich gemeint, aber Nichts desto 
veniger sehr schädlich und verletzend sein, denn der verminderte 
kxport ist die uUnauableiblicht Folqe.“ 
Bermischtes. 
Der am 10. und 11. d. in Lambrecht abgehaltene 10. 
Verbandstag der pialzischen Genossenschajsten war von einer größeren 
Anzahl von Vertrttern der 24 zum Verdand gehörigen Vetcine 
besucht; auch der Anwalt der deuischen Genossenschaften, Hr. Dr. 
Schulze (Delitzsch), sow'e der Direlior der Frantfuͤrter F üale der 
deutschen Genossenschaftsbank, Hr, Meißner, und Vertreter mehrerer 
badischen und hessischen Vereine waren zugegen. Am Montag 
Abend dauerten die Verhandlungen von 7 bis 9 Uhr, am Diens⸗ 
tag von Morgens 8 bis Nachmittags 5 Uhr. Heir Schulze be— 
heiligte sich lebbaft an den Debatten. Fum Verbandebertreter 
purde Hr. Dr. Anecht von Neustadt und zu dessen Stellvertreter 
Hr. Contad von Kusel wiedergewählt; mit der Vertretung des 
älzischen Verbandes auf dem allgemeinen deuischen Vereinstag in 
Danzig wurde Hr. Etitlinger von Kirchheimbolanden beauftragt und 
als Ort für die Abhaltung des 1877er pfälzischen Verbaundstagb 
Winnweiler bestimmt. . 
FKaiserslautern, 12. Juli. Der Redacteur der „Pfälz. 
Vollsztg.“, Anton d'Angelo wurde durch das Pol:zeigericht am 8. 
vor gen Monats wegen Beleidiquag des Herrn Parquet-⸗Sectetärt 
Bachmann hier zu einer Gefängnißstrafe don 14 Tagen verurtheilt. 
Derselbe legte gegen das Urtheil Berufung ein, dieselbe vurde aber 
durch Urtbeil des königl. Zuchtpolizeigerichts vom 11. do. als un⸗ 
degründet verworfen und hat es demnach dei der vom eisten Richter 
nusgesprochenen Strafe sein Bewendea. 
fKandel, 12. Juli Die Trauerlunde von dem gestern 
erfolgten Ableben unseres Ehrenbürgi:s, des t. Landrichtets Müllet