St. Ingberler AAnzeiger.
Der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal wöoͤchentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, (Sonntags mit illustrirter Bei
lage), erscheint wöchentlich viermal: Dienstag, Donnerstag, Damstag and Sonntag. Der Abonnementépreis beträgt dierteljährlich
Mark 20 R.⸗Pfg. Anzeigen werden mit 10 Pfg., von Auswörts mit 15 Pfi. für die viergespaltene Zeile Blaitschrift oder deren Raum. Neela nen
mit 30 Pfg. vro Zeile berechnet.
M 159. P Samstag, den 7. Oetober * 1876
Deutsches Reich. J
Berltia, 4. Olt. De „Provinzial⸗-Kottespondenz“ schreibt:
Die Auflösuug des Abgeordnetenhauses erfolgt voraussichtlich am
14. Oktobet, die Wahl der Wahlmänner am 20. und die Wahl
zer Abgeordneter am 27. d. M.; für die Berufung des Reichs⸗
ags ist der 830. Oltober in Aussicht genommen, Betreffs der
Reichtbtagswahlen dürste die Auflösung des Reichdtags nicht erforder
ich erachtet werden, nachdem die Auffassung zur entscheidenden Gele
ung gelangt ist, dahß die dre jährige Dauer des Reichstagsmandais
om Tage der allgemeinen Wahl an zu rechnen ist. Die Reichstags⸗
vahlen dürften, wie vor drei Jahren, am 10. Januar stanfinden,
aad. könnte dann die Einberufung des preußischen Abgeordneten⸗
zauses auf den 12. Januar erfolgen. Die „Provingzial ˖ Kotrespon⸗-
enz“ kündigt ferner an, daß die Justizminister det Bundesregterungen
demnächst in Berlin gemeinsame Berathung halten werden zur Vor⸗
jereitung der Beschlußnahme des Bundesrathes über die Anträge
der Reichsjustizkommission. J
Unter dem Titel „Die Eisenzölle, Flugschrift der frese
ändlerischen Vereinigung“ ist sorben eine Broschüre (Berlin, Lieb⸗
zeit u. Thiesen) erschienen, welche als die erste systemathische Abwehr
zegen den Anproll der schutzzöllnerischen Bestrebungen zu betrachten
st. Die Flugschrift weist in ihrem ersten Abschnitte den innigen
Zusammenhang der Eisenzoll⸗ mit der gesammten Schutzzollfrage nach
und spricht die Ansicht aus, daß der Versuch, die Eisenzölle noch
einige Jahre länger zu behalten, nur eine vorgeschobene Operaton
sei, und daß es sich um eine Enischeidung von principieller Be⸗
deutung für die zukünftige Handelspolitik des Deutschen Reiches
zandle. Es wird fsodann die Entstehung des Gesetzes vom 7. Juli
873 desprochen, welches bekaantlich die principielle Aufhebung der
Fisenzölle aussprach, aber sie durch Kompromiß bis zum 1. Januar
1877 aufrecht erhielt. Die Frage, od die deutsche Eisenindustrie
ines Schutzzolles bedürfe, wird sodann im Hinblick darauf, daß
ie nicht durch die Konkurrenz des Auslandes, sondern durch die
nländische Konkurrrnz selbst herbeigeführt sei, daß also eine Hilfe
mr in der Esnichränkung der Produktion und in einer verbesserten
donjunktur für einen erweiterten Absatz nach dem Auslande ge⸗
schaffen werden könne. Nach beiden Richtungen hilft allerdings die
Aufrechterhaltung unserer Zölle gegea das Ausland nichts. Wenn
omit der Rachweis für geführt erachtet wird, daß ein Nothgesetz,
wie es eine Sistirung des Gesetzes vom 7. Juli 1873 sein würde,
dieser Noth in keinem Falle abhelfen werde, so tritt damit die
Forderung derjenigen, welche das Gesetzt auftecht erhalten und die
Zolle abgeschaft wissen wollen, desto bedeutungsvoller in den Vorder⸗
srund. „Selbst wenn jener Beweis nicht geliefert werden kaan —
o schließt die FJlugschrift — stände immer dagegen die Ueber⸗
eugung der unbetheligten und gewissenhaften Voltswirthe, daß der
Preis für diese Leistung dem gesammten Gemeinwesen zu theuer
uu stehen käme.“
Düsseldorf, Ende Sept. Die hiesige Regierung veröͤffent⸗
icht folgende Warnung: „In neuester Zeit mehren sih die Klagen
Aber häufig und in großartigem Umfange vorkommende Mehlver⸗
älschung. Es ist Mehl confiecirt worden, das bis zu 10 pCt.
Hips, Kalk. Schwerspath u. dgl. enthielt, welcher Mischstoff sogar
uu einem desonderen Handelsartikel unter den Bezeichnungen Kunst⸗
nehl“ oder auch „Lenzin“ gemacht worden ist. Zuderläfsigen Mit.
heilungen zufolge soll namentlich von Holland aus die Einführung
ogenannten Kunstmehls exfolgen. Indem wir bemerken, daß wir
inseren Polizeibehörden scharfe Ueberwachung des Mehlhandels und
derbeiführung getichtlicher Bestrafungen desonders ewmpfohlen haben.
parnen wir die Veikäufer vor solchem betrugerische Handel und
empfehlen dem consumirenden Publikum Vossicht beim Einkoufen
zicht nur des Mehles, sondern auch der Bockvaaren.
Ausland.
Wien, 4. Otlober. Die Großmächte unterhandeln eiftg
cher ein verbündetes Weitervorgehen; eine gemeinsame Flotten⸗
Demonstration gewinnt an Wehrscheinl'chkesit. DTer Peftet Acyd
meint, eine Verstimmung Rußlands gegen Oesterreich sei so lange
zleichgültig, als Andrassh am Ruder bliebe, denn so lange ver⸗
weifle auch Bismark nicht an einer friedlichen Verständigung. So⸗
ald aber Graf Andrassy ftürze, begünne das Verderben.
Wäen, 5. Ott. Rach Informat'onen aus bester Quelle
bird in biesigen Regierungskreisen nicht daran gedacht, mit Rusland
u brechen. Das „Fremdenblatt“ erachtet die diplomatische Action
ils beendet; es schiebt die Schuld, die Herstellung des Friedens
m gegebenen Augenblicke vereitelt zu haben, der Türkej zu und
ält die Somnation der Großmächte für die Einleitung einer Ac⸗
ion,, welcher eine gemeinsame Flottendemonstration folgen köante.
die Großmächte pflogen hierüber Pourparlers. Nicht, auf Orster⸗
eich und Europa, auf die Türkei falle die volle Verautwortung.
Pest, 4. Okt. Ein offiziöser Artilel im Pester Lloyd, dem
Irgane des Grasen Andrassy, koustatirt, daß die Drohung Ruß⸗
ands, Bulgarien zu besetzen, den Dicikaiserbund hinfällig zu wachen
rohe. Es würden aber infolge dessen neue Konstellationen zu
Tage treten, denen Oesterreich ausweichen werde.
Pest, 4. Olt. Hier betrachtet man noch immer die Situa⸗
ion so, daß ein Bruch mit Rußlard voiläufig noch nicht bevor⸗
ehe, doch sollen sich die leitenden Kreise Oenerreich⸗ Ungarns ent⸗
hdlossen haben, fallz die Russen in Bulgarien einrücken, Serbien
ind Bosnien durch öͤsterreichische Truppen okkupiren zu lassen, um
en Türken vorerst von dieser Seite freie Hand zu schaffen.
Paris, 4. Oct. Der „Temps“ sagt: Der russische Bot⸗
hafter dahier, Fürst Orloff, hat den Marschall Mac Mahon,
hiers und den Herzog Décazes besucht und sich darzuthun bemüht,
aß der Kaiser Alexander lebhaft wünsche, durch das Einvernehmen
ver Mächte zur Wiederherstellung des Friedens zu gelangen. Ein
Irmlicher Vorschlag zu einer Gonferenz der Mächte ist aber bisher
uicht gemacht worden. — Der „Temps“ sagt ferner: Die russische
degierung hat heute Morgen an die Botschafter in Paris, London,
zerlin, Rom und Wien eine Note gesandt, worin das Bedauern
er Regierung üͤber die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten durch
S„erbien und über dessen Wieigerung, die Waffenruht fortzusetzen,
usgedrückt wird. Zugleich habe Rußland in dieser Note seinem
VBunsche nach einem Einvernehmen der Mächte, um den Krieg-
ührenden die Einstellung der Feindseligkeiten aufzuerlegen, unum-
»undenen Ausdruck gegeben. (Da wäre also der Congreß in Sicht,
von dem England bisher nichts wissen wollte, weil da alle möꝗq⸗
ichen Fragen in die Erörterung hereingezogen werden körnen.)
Belgrad, 4. Ockt. Alle Kampfe während der letzten Tage
ndeten mit Behauptung der alten Posititionen. Ein Theil des
Ibarcorps ist nach Deligrad gezogen. Auch d'e Drina-Arm:e hat
etzt Milan zum König proclamirt. Heute findet die Taufe des
Irinzen statt, dei welcher dec russische Generalkonsul Karzow den
Fzaren vertritt.) (Fr. 3.)
Konstantinopel, 3. Okt. In der gestrigen Sitzung
des außerordentlichen aroßen Rathes wurde der Entwurf beireffs
her zu ver eihenden Reformen und Einfühtung eines Nationalraths
n 120 Mitgliedern mit Einstimmigkeit angenommen; dieser Be—
dluß ist det Genehmigung des Sultans unterbreitet. Nunmehr
oll die amtliche Mittheilung der Antwort der Piorte an die
Möchte erfolgen.
Konstantinopel, 5. Oct. Der Sultan hat die letzte
entsche dung des groß n Kathes janctionirt und wird dieselbe heuͤte
fficiell den Botschaftern mitgetheilt werden. — Wie der „Levant—
derald“ persichert, wird der gesetzgebende Körper aus 150 ge—
dählten Mitgliedern und ein Senat aus 50 von der Regierung
rnannten Mitgliedern gebildet werden. Die Contrele der Provin-
'awerwaltung würde durch eine gemischte Commission ausgeübt
vetden, bestedend aus Beamten und Vertretern der veischiedenen
Bemeinden. Dieses System das den Mächten mitgetheilt wurde,
olle auf das ganze Reich angewendet werden.
Die Pforte hat die englischen Friedensvorschläge indirect, in
uwas zaghaftet Form, aber thatsächlich abgelehnt. Sie macht