Full text: St. Ingberter Anzeiger

Slt. Ingberler Anzeiger. 
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M 162.. Donnerstag, den 12. Oetobheeer 14376. 
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Deutsches Reich. 
Berlinn, 9. Ott. Dem Vernehinen. nach. heautragt. dex. Reiche- 
anzler die Erhöhung des auf Gruud des Münzgesetzes auszuprägenden 
zetrags an Reichssilbermünzen von 10 M. pio stopf der Bevöl⸗ 
erung auf 15. M., da nachweislich der Berkehr eines größeren Ve⸗ 
rags an Silbermünzen bedürfe. A. 3... 
Der „Hamburger Cotrespondent“ schreibt über Deutichlands 
zaltung in der Orientfrage u. P. 
„Die Hauptjache ist, daß unsere Stellung zur orientalischen 
5rage naturgemäß eine ganz andere ist, als die der Enqgläuder, 
tussen oder Orsterreicher. Während jene Völker,i jer nachdem sie 
ne unabwendbar ç(ewordene orientalische Katastrophe richtig oder 
intichtig benutzen, von derselden Vortheil oder Schaden zu erwarten 
aben, koönnen wir, wenn wir uns vorschnell in⸗ den Handel ver⸗ 
oickeln lasien, nur verlieren und in keinem Fallt gewinnen. Der 
zchlüssel zum Verständniß der Stellung, welche Deutschland in 
Zachen des Orients einnimmt, läßt sich in eine höchst einfache 
zormel schmieden: weil wir wissen, daß Frankreich im Voraus 
ntichlossen ist, in dem bevorstehenden Konflikt die Partei derjenigen- 
Macht zu ergreifen, zu welcher Deutschland in Gegensatz tritt, 
zebietet unser Interesse uns, jede direkte Parteinahme'so weit wie 
rgend moöglich hinauszuschieben. Für eine Nation, wie die deutsche, 
ie im Drient keine Erwerbungen zu machen hat und für welche 
er Beurtheilung des fürkisch-flam schen Streites keine anderen als 
Agemeine Gesichispunkte in Betracht kommen. hätten Meetings und 
dational · Demonstrationen im Stil der englischen oder russischen nur 
men Sinn, wenn ˖ denselben enisprechende Thaten solgen sollen. 
Wer den Wunsch hegt, Bosnien und die Bulgarei vom türkischen 
5laatsorganismus völlig abzulösen und in der einen oder andern 
rorm selbstständig zu konstituiren, mag zu Gunsten dieser Länder 
emonstriren. Der Ecreichung eines solchen Zieles in die Hand 
irbeiten, heißt für den Deutschen, Oelterreich in die shwierigsten 
herhältnisse hineinstoßen, die germanische Völkerfamilie in einen 
rohen slawischen Ring hineinpressen und die Wiener Staatsmänner 
dihigen, Fraukreich zu einem Bünduiß die Hand zu bieten, dessen 
Spitze gegen unsere Herrschaft in Elsaß-VLathringen gerichtet wäte. 
Peil wir dag nicht wollen, weil uns ernstlich an der Aufrechthaltung 
es Friedens. gelegen ist, unterlassen wir Demonstrationen und 
xchaustellungen, welche der Akltion der deutschen Volitik vorgreifen. 
zlawen und Slawenfeenuden aber in keinen Falle von wirklichem 
dutzen sein können. Noch weniger wird uns freilich in den Sinu 
mmen können, für die hoffaungslos gewordene Sache des Türken⸗ 
sums ins Feuer zu gehen und ein Regiment zu stützen, das sich 
iglich selbst den Stab bricht. Die Nothwendigkeit und Unabwend- 
arkeit einer radikalen Umgestaltung der Zustände auf der Balkan«. 
dalbinsel steht für nüchterne Zeugen der jüngsten Eregnisse über 
ller Diskujfion, und vernünftiger Weise kaun nur noch darüber 
estritien werden, wer diese Umgestaltung in die Hand nimmt. Zur 
entscheidung diesrs Streites sind wir — wenigstens für jetzt — 
iicht berufsen, und weil wir ganz genau wissen, daß jeder Versuch 
u einer Entscheidung, welche Rußland in den Arm fallen wollte, 
ien Abschluß einer russisch⸗französischen Allianz zur direkten und 
ugenblicklichen Folge haben würde, le sten wir auf die Rolle, Eu⸗ 
oba's Vorsehung zu spielen, Verzicht.“ 
Ausland. 
Wenn in neuerer Zeit von maßgebender Stille dem weelt⸗ 
eCchichtlichen Humore Rechnung çetragen wrd, dann darf 
ich der gewöͤhnliche Erdene und Staatsbürger demselben nicht ver— 
hließen, sondern hat ihn dankbaren Herzens entgegen zu achmen. 
Desterreichs Voͤlter werden inz Augenblick von schnerer Sarge bee 
roffen, hier der Ausgleich uut Ungarn, dort die immer drohender 
berdende orientalische Kresis, inwitten aber des Meeres von Sorgen 
itzt gelassenen S'nnes Fürst Adolph Auersperg, Orsterreichs Premser⸗ 
ninister, und — st'ckt, stickt höchsteigenhändig schöne neue Teppich⸗ 
nuster und Altardecken für Dorfkirchen in Nieder; Oesterreich. Wie 
sterreichiijche Zeitungen melden, ist er neulich erst nah Maria-gZoll 
0 — 
Rereist; und hat einen von ihm selbstgestickkten prachivollen Teppich 
ür den Hauptaltar der doxtigen Kapelle gespendet. Es mag ein 
ührendes Bild sein zu sehen, wie der ð derreichische Ministerpraͤsident 
ei dem Vorsitz im Ministerrathe plötzlich, eiße Sticknadel hervor⸗ 
solt, um in den Ernsie der Staatsgeschäfte die bunten Wollrosetlen 
er Andocht zu weben. Der, Fürst jedenfalls ist gehoben von dem 
vefühl daß er selbste inm. schlimmsten Falle, wenn er einst dem 
Rinistexportefeuisle entsggen müßte,, noch im Stande ist, der Welt 
urch seiner ehrlihen Hände Ardeit, zu beweisen — aus welchem 
dolze die Männer geschnitzt sind, aus dem man in Oesterxeich, 
Ninisterpräsidenten macht. 4.0 
K.onstantimod ela 10. Olt. Die hiesige⸗ Agenes Havas“ 
neldet: Die Piotte wird, vertrauend auf: die Absichten der Mächte, 
nahrscheinlich den von allen Möchten üÜdereinstimmnend verlangten 
innonatlichen Waffenftillstand bewilligen. 
Konmstanmtinopeh. 10. Okt. Die Ag. Hab.* meldet: 
der heutige Ninisterrath beschloß, einen fechsmonatlichen, Waffen⸗ 
tillstand (bis Ende Märy) zu bewilligen. 
Phidadelheira, 22. Sept. Der seit einiger Zeit beobachtele 
lufschwung der Vereinigtey Staaten scheint Stand zu balten. Ueberall 
eigt sich regeres Leben, und größerer Umsatz wird bexrichtet; das 
illgemeine Vertrauen kehrt zuruc, und dem Handel und Wardel 
teht eine günstige Zeit bepor. Die hetzten draͤ Jahre lagen wie 
iu. drüchender Alp auf dem geschäftlichen Leben, und unsere Arbeiter 
nußten entwederdie Hände in den Schooß legen oder am Hungero 
uch nagen. Die Panik zerstörte das Vertrauen, wirkte laäͤhmend 
nuf den geschäflichen Berkehr und raubte ihm seine wichtigste Stütze. 
Die Preist der Fabr kate sanken unter den Betrag der Herstell ungs⸗ 
osten, und doch wollte Niemand kaufen. Dec Capitalist zog seine 
velder ein und ließ sie müßig liegen, und daraus entstand der, 
urchibere Geldmengel, der so drückend auf die Verhälinisse eine 
pirtte. Dieser traurige Zustand hat jetzt drei Jahre gedauert und 
heint den Schluß erreicht zu haben. Es muß besser werden. Es, 
errscht jetzt nach dreijähriger Produktionslosigkeit ein allgemeiner 
zedarf nach Waaren; es regt sich jetzt üderall im kommerziellen, 
eben. Ein anderer Grund zur Hoffnung auf bessere Zeiten liegt 
n der guten Eente dieses Jahres. Der Wohlstand des amerikanischen 
Zolkes rängt am meisten von dem Landbebauer ab. Vermehrt sich 
ein Worlstand, so vergrößert sich auch sein Konsum. Er nimmt 
ieses Jahr meht Gelo ein und gibt deßhalb auch mehr aus. Ueber⸗ 
isl herrscht eine günstigere Stimmung, und wir gehen einer gefegneten 
zeit entgegen. 
Das Zunftwesen und die Gewerbefreiheit. 
(Fortfetzung.) 
Nur wer das Gewerbe vorschriftmäßig erlernt und auf vor⸗ 
hriftsmäßige Weise die Meisterschaft erlangt batte, konnte zum 
Zetriebe zugelassen werden. Personen, welche diese Bedingungen 
nicht erfülliten, durften auch nicht ein Gewerbe daraus machen, 
Waaren zu verfertigen, die demselben angehörten. Wurden nur 
diese Bedingungen erfordert, so nannte man die Zunft eine 
ofrene. 
Oft aber war die Zahl der Messter, welche an einem Orte 
e'n bestimmtes Gewerbe betreiben durften, eine bestimmte und fest⸗ 
Jesezte, Velche nicht überscwritten wetden durfte. In diesem Falle 
dor die Zunft eine geschlofsene. Dazu tam nicht selten auch 
noch, daß der Betrieb eines Gewerbes an eine bestimmte Locolinat 
bunden war, eine sogenannte Reabrerechtigkeit bildete. In diesem 
Falle mußte zur Ausübung des Gewerdes auch diese Locallät 
noch etworben verden. 
Außßerdem hatten die Innungen noch das Recht, sich als 
Toxporationen zu gestalten, einen eigenen Vorstand zur Besorqgurg 
der gemeinsamen Geschaäfte einzusetzen, einen Sachwolter zur Fuh— 
vng ihret Rechtsstreitigkeiten zu bestellen und in einem eigenen 
Hause ihre Zusammenkünste zu halten. Sie durften gemeinsamez 
Vermögen besitzen und zut Bestreitung der gemeinsamen Ausgaben