St. Ingberler Anzeiger.
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Der St. Jugberter Auzeiger und das (2 mal woͤchentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unierhaliungsblatt, (Sonntags mit illustrirter Bei⸗
lage), erscheint wöchentlich viermal: Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonutag. Der Abonnme meunt opreis beträgt vierteljährlich
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—73 3. Donnerstag. den 6. Januar 1876
Deutsches Reich.
Mänchen, 1. Jan. all.m Anschane nahh wird sich die
giesige paclamentarische Session bis in den Anfang März ver⸗
ogern, da eine Einberufung des Landtages aicht eher mödlich ist,
Ii bis man das Ende der Reschstagssession sicher hinter sich hat.
Da dann noch immerhin eine, wenn aud nur kurze Spanne Zeit
wifschen Ausschreibung des Zujammentr'tts und dem Wieder bff ·
angermine legen muß, ann der letztere kaum vor dem anze⸗
deuleten Zeitpuntie Statt finden.
München, 3. Januar. Die Rechnung in Reichswährung
ist doh'er wegen Mangels kleiner Scheidemünze (in Reichswährung)
nuf so große Hindernisse gestoßen, daß in vexschiedenen Restaurants
Bier irihscaften ꝛc. zur alten Rechnung zurückgegriffen vnd die
aufliegenden Speiselarten 20. entjpeechend abgeändert wurden. J
Das Reichseivilehegesetz vom 6. Febr. 1875, welbes
um 1. Januar 1876 im ganzen Deutschen Reichen, sohin auch in
der Pfalz in seraft tritt, entbäut u. a. folgende wichtige Vorschriften:
Jede Geburt enes Kisdes ist innerhald einer Woche dem
Standesbeam'en auzuzeigen; seitber war die Frist zur Anzei e 3
Tage. Die Auzeige ist mündlich zu machen durch den Verpflich⸗
selea — vden Vater, die Hebamme, den Arzt u. s. w. — oder
durch eine aundere aus eigener Wissenschaft anterrichtete Person,
ohne Zuziehung von Jeugen, während bisher 2 Zeugen zugezogen
wverden mußten.
Jeder Sierbfall ist spätestens am nächstfolgenden Wochentage
dem Sitandesbeamten anzuzeiger, und z.oar durch das Familien⸗
haupt, oder Denjenigen, in dessen Wohnung der Stecdfall sich er⸗
ignet hat; bisher war keine Irst zur Anzeige bestimmt. Auch
hier ist die Zuziehung von Zeugen nicht nörhig, während seither
der Sierbatt in Gegenwart don zwei Zeu en aufzunehmen war.
Zur Eheschließung ist erforderl ch deim männlichen Geschlechte
In Alier von mindestens 20 Jahren: und veim meiblichen ein
olches von mindestens 16 Jahren; doch ist Despensation zulässig.
Seither wurde gefordert beim männlichen Geschlechte das volle⸗
Fie 18. und beim weiblichen das vollendete 15. Jahr. — Eheliche
inder bedürfen zut Eheschließung, so lange der Sohn das 25,
Fie Tochter das 24. Lebensjahr nicht vollendet hat, der Einwil
ligung des Vaters, nach dem Tode des Vaters der Einw'ell aung
zer Vutter, und wenn sie minderjährig sind, auch des Vormundes
fofern ein besonderer Vormund bestellt ist und nicht die Mutter
Zhnehin Vormünderin ist). Seither war die Einwilligung der
cllera erforderlich für die Tochtec bis zum vollendeten 21. und
sür den Sohn, we auch in Zukunft. bis zuw voslendeten 25.
Jahre; der Einwell gung des Vormundes bedurfte es in keinem
Folle. — Nach dem 25., beziehungsweise 24. Jahre ist die Ein⸗
willigung der Eltern nicht mehr erforderiich. Seither war auch
dach dem 25. oder 21. Jahre roch die Einwilligung der Eltern
iolhwendig; doch konnte fie ersetzt werden durch den segenannten
Respeltalt acte respectueux, der du ch das reute Gesetz vollständig
beseitigt ift. — Sind beide Ettern derstorben, oder nicht im Stande,
eine Erklärvng abzugeben, so bedürfen Minderjährige der Einwil⸗
igung des Vormundes, oder in der Pfalz dis Familienrathes.
Broßjsöhrige oder Emanzipirte sind an Niemandes Zustimmung
gebunden. Die Einwilligung der Großeltern, welche feirher der
Soßn bis zum vollendeten 25. und die Tochter bis zum vollen ˖
21. Jahre nothwendig hatte, ist daher vollständig beseitigt,
denso aber auch der sog. acto respectueux.
Auf un⸗heliche Kinder finden die für vaterlose eheliche Kinder
jegebenen Bestimmungen Anwendung, d. h. so lange der Sohn
zas 25., die Tochtet das 24. Lebenszahe nicht dollendet hat, be⸗
dürfen sie der Einwilligung der Mutter (oferne diese sie anerkannt
hat), und wenn sie minderjähtig sind, auch des Vormundes, wenn
nicht ohnehin die Mutter Vormünderia ist. Wenn die Mutter
zereits gestorben ist, baben minderjährige uneheliche Kinder die
Einwilligung des Vormundes nöthig, während großlährige von
einer Seite einer Zustinmung dedürfen. Die bisher erforderlicht
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Einwilligung des Vatert, der fein uneheliches Kind anerkannt hat,
ist also volständig weggefallen. Ein Rejpektalt ist auch hier in
einem Falle nöthig. — Wird die zur Eheschließ icg erforderlche
kinwilligung (des Vaters oder der Mutter) dersagt, so steht groß⸗
Ahrigen Kindern die Klage auf richterliche Ergänzung zu. Seither
onnie zwar die Tochter schon nach dem 21. Jahre, der Sohn
aber ersi nach dem 25. Jahce, die versagle Einwilligung durch
den acte respectuenx ersepen.
Nach 839 des neuen Gesetzes werden alle Vorschriflen aufe
Jehoden, welche das Recht zur Eheschtießung weiter beschränken,
aAs es durch dieses Gesetz gesch ieht. Seither war verboten die
khe zvischen Ounel und Nichte, zwischen Tante und Neffen, zwischen
Schwager und Schwägerin — vorbehaltlich der Dispensauon; es
var verboten die Ehe zwischen dem Adopt'renden, seinen Kindern
ind seinem Ehegatten, und dem Adoptirten, seinen Kindern
ind seinem Ehegalten, sowie die Ehe zwischen Christen und Juden.
Jerboten war firner, daß geschiedene Ehegalten sich wieder hei⸗
athen, und daß Chegatten, welche mit gegenfeitiger Einwilligung
zefchieden wurben, vor Aelauf von 3 Jahren seit der Scheidung
iue neue Ehe eingehea. Von diesen verschiegenea Ehehind ernissen
si nur das Verbot der Ehe zwischen dem Adoptirenden und dem
Adoptirten, so lange dieses Rechtsverhältniß besteht, geblieben; alle
ibrigen erwähnten Ehehindernisse jiad beseitigt. (CChristen und
duden dürfen also einander ehelichen) Dagegen hat das neue
steichsgesetz ein weiteres Ehehenderniß aufgestellt, nämlich das Ver⸗
vot der Ehsschließung eines Pflegebefohlenen mit seinem Vormunde
»der dessen Kindern während der Dauer der Vormundschaft.
Dee Edheschließung soll ein Aufgebot vorhergehen, welches
vähtend zweier Wochen am Gemeindehause auszuhängen ist; die
Ehe kanu daher erst nach Ab auf von 14 Tazen vom Tage der
Aushängung dis Aufnebotes an geschlossen werden, während seither
wei Verkündigungen in einem Zwischenraume von 8 Tagen, an
einem Sonntage, zu erlassen weren, und die Ehe nicht vor dem
3. Tage nach der 2. Verkünd gung geschlossen werden durfte.
Die Eheschließung erfolgt in Gegenwart von 2 Zeugen, welche
war großjzährig seia müssen, aber auch aus dem weiblichen Ge⸗
chlechte genommen werden kön ea, während hisher die Zuziehung
son 4 Zeugen männlichen Geschlechts gefordert war. Ueberhaupt
st die Form der Eheschließung füt die Folge viel einfacher, als
i her, da weder die Verlesung der verschiedenen zur Eheschließung
tforde lichen Papiere, noy der bekannten Bestimmungen des
Fvilgesetzbuches meht vorgeschrieben ist. Ach ist die Zahl der
yemeinden, in welchen das Ausgebot bekannt zu machen ist, mehr
eschränkt; dDad Aufgebot ist namentlich nicht mehr, wie bisher,
ruch in jenen Gemeinden bekannt zu machen, in welchen Diejenigen
hren Wohnsitz haben, deren Einwilligung zur Edhe erforderlich ist.
ẽndlich ist noch zu bemerlen, daß auf schriftliche Ermächtigung
zes zuständigen Standesbeamten die Eheschließung auch vor dem
Standesbtamien eines anderen Ortes statifinden darf.
Das Recht der Eltern und GBroßiltern, der Geschwister u.
. w., Einsprache gegen die Eheschließung z erheben, welches dur?
zie Att. 172 - 179 des Zwilgesetzzbuches geregelt ist, wird durch
zas neue Gesetz nicht derührt werden; dean es bestmmt in 8 48
zur: Kommen Ehehindernisse zur Kenumiß des Standesbeamten, so
sat er dle Ehefchließang abzulehnen. In enem solchen Falle hat,
vie bisher, das Be, irtsgericht zu entscheiden, da nach der Veord⸗
nung vom 14. Oltober 1875 die bisherigen gefrtechen Bestim⸗
nungen maßgebend dleiben.
Auch hinsichtlich der Aufsihht über die Amtsfahrung der
Standesbeamten breibt es nach der etwähnten Verordnung bei den
ieh rigen gesetzligen Beriimmungen, so daß auch is Zaluckt die
dandrichter die jährliche Verifikation der Slandezre ifter werden
horzunehmen haben.
Berlin, 2. Jan. Die nou Andrassih ausea beiteten
seformvorschlage für die Türkei schlagey Wcege Gleichhent der
Fonfeffionen, Selbstständigkeit der Provinzen und „vor Allem eine
seform des Steuerwesens, Alles unter Controlle der Mäshle, vor.