Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
Der St. Jugberter Auzeiger und das (Zemal wöchentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, (Sonntags mit illustrirter Bei— 
lage) erscheint wöchentlich viermal: Dieustag, Donnerstag, Samstag und Sonntag. Der Abounementopreis betragt vierteljahrlich 
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M 43. Samstag, den 16. März I 1878. 
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Deutsches Reich. 
München, 13. März. An der Kriegsschule hat unter 
Leitung der Oberstudien und Eraminations-Kommission die Offiziers 
Prüfung für das Jahr 1878 begonnen; derselben rnterziehen sich 
30 Setondl eutenants (wegen eventueller hoͤherer Beförderung oder 
Aufnahme in die Kriegs-Atabdemit), 100 Portepee⸗- Fähnriche der 
riegsschule und 4 Vize⸗ Feldwebel der Reserve Erühere einjähtig 
Freitoillige), welche, um auf Beförderung weiter zu dienen, in die 
üktive Armee übertreten wollen. 
Berlin, 12. Marz. In der heuligen Sitzung des Reichs⸗ 
tages fagte der Direktor Michaelis, die Einnahme aus dem Tabal⸗ 
oll habe im Febtuar 6 Millionen mehr betragen, als im Voriahr, 
wahrscheinlich in Folge der Tabatsteuervorlage, da in Erwartung 
er Taͤbatsteurrerdöhung eine Menge ausländischen Tabaks eingeführt 
Puürde. Der Rerchssstag wird sich am Donnerstug auf acht Tage 
bertagen. (A. Z3.) 
Berhin, 12. März. Das Gerücht, nach welchem der 
deutsche Botschafter in Koufitantinopel, Prinz Reuß, ausersehen sein 
soll, die Krone des neugeichaffenen Fürstenthums Bulgarien zu 
ragen ist nicht neu. Schon vor Beginn des russisch türischen 
rieges, als eben Prinz Reuß von seinem St. Pelersburger Bot⸗ 
schafterposten abderufen worden war, und man ohne Blutvergießen 
eine Auflösung der europäischen Tuürkei in einzelne, genz selbst 
tändige Staaten konjeltutirie, wurde Prinz Reuß als Erster uunter 
Denen genannt, für welche von Europas Guaden auf der Balkan⸗ 
halbinsel ein Thron gezimmert werden sollte. Was damals eine 
loße Konjektut gewesen — nicht besser und nicht schlechter als so 
‚iele audere — ist heute eine schwere Beleidigung füt den Prinzen 
Reuß. Fürst Karol's Beispel zeigt deutlich, wie viel Ehre eine 
deonüe umer den „interessauten Völkerschaften“ dem Trager bringi. 
Schützt nun selbst die eutopäische Garantie, unter welcher doch Ru⸗ 
mänien steht, nicht vor rujfischen Demüthizungen und Mißhand— 
lungen, —- was darf alsdann Derjenige erwarten, der unmittelbar 
on Rußlands Gnaden sich zum Fürsten machen läßt ? „Väterchen“ 
Zar nähme schwerlich Austand, morgen die Knute zu geben, dem 
er gestern die strone auf's Haupt gesetzt, und, offen gestanden, 
die Kautenhiebe verdient, wer aus solcher Hand die Krone nimmt. 
Die klägliche Rolle, welche Fürst Karol sprelt, ist nicht eben dzu 
angethan, Deutschlands Prestige zu erhöhen. Geradezu schimpflich 
wäre es, wollte ein deutsger Ptinz rufsischrr Lakai werden um 
eines nichtigen Fürstentitels wllen. Deutschlaud ist für seine 
Berwandischaft necht verantwortlich — aber wenn es itgend geht, 
sucht man doch die interessante“ Verwandtschaft zu vermeiden, 
und jedenfalls sucht man sie nicht auf. 
Berlhin, 13. März. Unter der Ueberschrift. Ein guter 
Schrit vorwäris in der Reichsverwaltung — bespricht die „Pro— 
ainzial Correspondenz“ das Zustandekommen der Stellvertretung-vor⸗ 
age, indem sie hervorhebt, daß dieselben conservativen und liveralen 
Parteien, welche durch ihe Zusammenwirken mit der Regierung 
eit Gründung des Norddeutschen Bupdes alle Fortschritte des Ver⸗ 
jassungslebeus gefördert, auch diesmal festgeschlossen für die volle 
Sicherung und weilere Gestaltung dec Reichsdverwaltung eingetreten 
rien. gie Dauer der Nacsession des Landtags veranichlagt 
dasselbe Organ auf kaum weniger ais 14 Tage. An anderer Stelle 
erwähnt dasselbe den am 11. d. durch Se. Maj. den Kaiset er⸗ 
folgten Empiang des Ministers Camphausen, dessen Abschiedsgesuch 
higher nicht genehmigt morden sei. 
—A —— wird im 
Finanzministerium eine Dentschrift vorbereitet, in welcher die Ftage 
bezüglich der Einführung der Tabatfabeikatsteuer und des Tadals— 
nonopols in Deutschland eingehend erörtert wird. Die Denkschrift 
oll dem Rechsstage noch in dieser Session vorgelegt werden. Wie 
vir ferner hören, hat der Senat von Bremen ein Memotandum 
in den Reichskanzler gerichtet, in welchem nachgewiesen wird, daß 
„e Einführung des Tabalsmonopols im Reiche den Ruin des 
zremischen Handels und den financiellen Ruin des bremischen 
Ztaates herbeiführen würde. 
Die freie volkswirthschaftliche Vereirigung des Reichstages 
Schutzzöllner) trat gest rn Abend zu einer Berathung behufs Stel— 
ungnahene zu der dem Reichstage vorgelegten Denkschrift über den 
eutscheosterreichischen Handelsvertrag zusammen. An der Debatte 
etheiligten sich u. A. die Abgg. Dr. Grothe, Bergmann (Stzaß⸗ 
»urg) und Dr. Hammacher. —WFcuoe 
Distussion resumute der Vorsitzende Abg. Löwe die Haupigesichts⸗ 
unkte dahin: der Tarif sei in seiner jetzigen Gestalt unbrauchbar. 
Der Abschluß eines Handelsvertrages set solange nicht ratusam, 
Iis eine Enquete veranstaltet und der Tarif danach reformirt 
vorden, die Klausel von den meistbrgünstigten Nationen sei auszu— 
chließen. Die Vereinigung wird demnächst ihre Anträge formuliren 
ind dem Plenum zur Genehmigung unterbreiten. 
Wien, 18. März. Depeschen aus Serajevo und Knin 
nelden, daß in Bosnien ein Kampf aller gegen alle begonnen hat. 
die Begs tämpfen gegen Baschi⸗-Bozuks, welche zahlreich in die 
Jrovinz strömen. Außerdem schlagen sich die Begs und Baschi⸗ 
Zozuks mit täglich wachsenden Schaaren von Insurgenten. Der 
Zuzug von Flüchtlingen nach Oesserreich ist im Wahsen. 
LTondon, 13. März. Nach einer dem „Staadard“ zuge⸗ 
jangenen Meldung wird das britische Geschwader in der Besikabai 
n die Dardanellen vorrücken zur Vesstärkung des unter dem Kom⸗ 
naudo von Commerell stehenden Gessuwaders bei Gall poli, welches 
»adurch größer als dasjenige Hornby's wird. 
In Enqland zweifell man noch immer an dem Zustande⸗ 
tommen des Congresses und die daran glauben, zweijeln, daß der⸗ 
elbe unserm Welitheil den er vünschten dauernden Frieden bringen 
vird. So wenig Eagland einen Krieg wünscht, sieht es ihm doch 
zute gefaßter entgegen, als dies vor einigen Woaen der Fall war. 
Ulles hängt von dem Maße der Hartnächigkeit oder des Entgegen⸗ 
ommens ab, das Rußland zunächst zeigen wirꝛn. Es dürfte nun 
iicht uninteressant sein, einen Blick auf die Streitkräfte zu werfen, 
nie England im Kriegsfalle, allerdings bei außerstet Ansirengung, 
ur Verfügung siehen. Dit Landmacht besteht aus ungejänr 400,000 
rercirten Soldaten mit 372 Geschützen. Diese Heecesmasse ergibt 
ich aus dem sthenden Heere des Inlandes mitt 99. 000 Mann, 
»er Miliz mit 85,000 Mann, den Armee- und MilizReserven mit 
10,000 Mann, den Freiwilligencorps mit 180,000 Maun und 
iner zweiten Armee-Reserve von 10,000 Mann. Freilich gibt 
diesen Angaben gegenüber die englische Quelle zu, daß England 
'ofort und in den nächsten Wochen döchstens deei vollständig aus— 
zerüstele Armeecosps ins Feid schicken könne, wieil man sich in 
rẽngland der Schwierigzke ten bei der Mebilmachung der Freiwil— 
igen und der Miltzen sehr wohl bewußt ist. Abgesehen von den 
Schwierigkeiten des Transports kana daher Enaland der russischen 
irmee binnen einem Monate kböchstens 100,000 Mann entgegen 
tellen. Die indische Armee Englauds belduft sich auf 62,000 
Nann und weiß man nicht, ob auch von diesem Heere Theile nach 
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driege kommen sollte. Von den übrigen Colon aliruppen Eaglands 
ommen in einem Kriegsfalle nur diejenigen auf Gibraltar und 
Malta in Betracht. Die Besatzung von Malta beirägt 8004 Mann 
ind diejenige Gibraltars 4991 Mann. Von diesen Truppen köante 
vohl der größte Theil sofort nach den Küstenländern der Darda— 
nellen dirigitt werden. 
Konstantinopel, 12. Mätz. Das britische Geschwader 
m Goif von Ismid wurde durch ein weiteres Panzerschiff verstärkt. 
ks wird versichert, daß die Englander auf Tenedos (unweit der 
Finfahrt in die Dardanellen) ein Depot von Waffen, Munition 
ind Lebensmitteln für ihre Truppen ertichten. — Hobart Pascha 
oll sich morgen mit einer Flottenabtheilung nach den Küstea Thefsa— 
Nens begeben; Ali Saib Pascha wird dem Vernehmen nach den 
Ausland.