Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler AAnzeiger. 
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Mä 79. Dienstag, den 21. Mai 1878. 
Dentsches Reich. 
Mäünchen, 17. Mai. Wie die Augsburger „Allz. Zig.“ 
uverlässig vernimmt, wird der bayerische Landtag Ende Juni oder 
zleich Anfangs Juli wieder zusammentreten. 
Muachen, 19. Mai. Eine socialdemokratische Versamm— 
lung hieselbst, in welcher über „das Atlentat auf den deutschen 
Zaifer, die Socialdemokratie und die Presse“ verhandelt wurde, ist 
zestern Abend nicht ohne Zwischenfall verlaufen. Der Vertreter 
der Polizeibehörde ließ dem Hauptredner das Wort entziehen, als 
derseibe versicherte, daß, wenn man den Arbeitern Steine start 
Brod gäbe, diese Steine den Anderen (den Liberalen) gegen die 
dZöpfe fliegen würden, und wenn man die Bayonnete gegen sie 
aufpflanze, diese Bayonnete sich auf die Liberalen selbst richten 
würden. Sonderliche Furcht vor einer nabenden Reackion scheint 
übrigens den Socialdemokraten, nach dieser Versammlung wenigstens 
zu urtheilen nicht innezuwohnen. Auf ein bischen mehr oder 
weniger Unlerdrückung, so calculiren sie ganz offen, kommt es nicht 
an, wir haben nichts zu verlieren; nimmt man uns das Versamm⸗ 
ungsrechts, Presse und Flugschriften, so agitiren wir insgeheim 
ind auf krummen Wegen — das Verbotene schmeckt ja so gut — 
und im persönlichen Verkehr. Nur zu sehr gerechtfertigt war der 
Ausspruch eines Redners, daß die deutsche Bourgeoisie überaus 
aässig und träge sei, bei weitem nicht die Thatkraft und die Macht 
jabe, wie etwa in der Schweiz und in Frankreich, und daher sich 
als ein viel leichter zu besiegender Gegner darstell.e. Daß das 
Attentat auf den Kaifer ernstlich gemeint gewesen sei, das wird 
hier in socialdemokratischen Kreisen enischieden bestritten. Der 
soeialdemokratische, Zeitgeist' nennt es nur noch „Klempnerschießen“ 
und behauptet, unwiderleglich nachgewiesen zu haben, daß Hödel 
nichts weiter als ein bezahlter agent provocateur sei! (So zieht 
man sich freilich am bequemsten aus der Sache). Das Attentat 
soll seinen Ausführungen zufolge nur arrangirt worden sein, um 
den ungüustigen Eindruck von Dentler's Tod zu verwischen!! 
Berlhin, 18. Mai. Der dem Bundesrathe von der 
preußischen Vertreluag vorgelegie Gesetzentwurf gegen Ausschreitungen 
der socialdemoktatischen Bestrebungen zählt 8 Paragraphen und ist 
zunächst füt eine Dauer von 3 Jahren bestimmt. Derselbe er⸗ 
mächtigt den Bundesrath, Vereine und Druckschriften, welche den 
jocialdemokratischen Bestrebungen dienen, zu verbieten resp. zu 
unterdrücken. Eine derartige Maßregel bedarf indessen der Zustem⸗ 
nung des Reichssstagez. Leztere ist, wenn der Reichssstag dersam— 
melt ist, sofort, anderufalls bei seinem nächsten Zusammentritte 
einzuholen. Verbote socialdemolratischer Druchschriften und Vereine 
tönnen durch die Ortspolizei erfolgen. Dieselben erlöschen aber, 
wenn der Bundesrath dieselben nicht innerhalb 4 Wochen bestätigt. 
Die Beschlagnahme socialdemokratischer Druchschriften kaun polizeilich 
erfolgen, ohne daß eine richterliche Bestätigung erforderlich ist. Für 
Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des Gesetzes sind 
Strafen nicht unter 3 Monaten Gefängniß angedroht. 
Berlin. In politischen Kreisen werd das Entlassengsgesuch 
des Cultusministers Dr. Falt für einen überaus verhängnißvollen 
Schritt angesehen, dessen Consequenzen für die ganze lünftige Ge⸗ 
daltung unserer Regierungsverhältnisse sich noch jeder Berechnung 
entziehen. (Deutsches Mont.Bl. 
Dr. Falks Entschluß, bei seinem Entlassungsgesuch 
zu beharren, gilt für unabänderlich. Der allverehrte Cultusminister 
wird auch auf jedwede andece Anstellung verzichten, sogar nicht 
rinmal ein Mandat zu einer der legislatorischen Koͤrperschaften 
annehmen. 
u 
Ausland. 
Wien, 19. Mai. Von guter Seite verlautet, daß Ruß 
and auf die vom Grafen Schuwaloff Überbrachten Forderungen 
nicht eingegangen ist. Rußland hat indeß ein Gegenprojekt, den 
ruropäischen und asiatischen Orient aufgestellt, dessen Annahme 
eitens England es als wahrscheinlich erachtet. Der Europa be⸗ 
reffende Theil würde dem Congreß unterhreitet, der asialische Theil 
dagegen soll Gegenstand einer Separal⸗Abmachung zwischen England 
und Rußland werden. Dieses neue russische Gegenprozekt soll in 
seiner Gesammtfasfung angeblich die weiestgehenden Konzessionen 
nachen. 
Das Wiener „Telegraphen⸗Correspondenzbureau“ bringt unter 
der Firma „Berlin, 17. Mai“, folgende anscheinend hochoffi 
ziöse Darstellung der Situation: „Evrigegen der von Petersburg 
aus verbreiteten Version, daß Graf Schuwaloff aus eigener Initia— 
ive nach Petersburg reiste, ist es authentisch, daß Bismard diese 
Informationsreise anrieth und selbst die Zustimmung des Czaren 
„inholte und dieselbe an Schuwaloff mittheille. Auch dauern die 
elegraphischen Verhandlungen zwischen Friedrigsruhe, London und 
Betersburg fort. Der russische Gegenvorschlag eines Suds Bulgarien 
roll von Salisbury als erwägungswertherachiet worden sein. Da— 
zegen ist bezüglich Bessarabiens eine Schwierigkeit eingetreten, weil 
Bismartk sich neuestens für die Retrozession an Kußland ausgesprochen 
und angeblich auch Oesterreichs Zustimmung zur Russifizierung des 
nördlichen Donau⸗Ufers mitgetheilt hat. Oesterreich soll aus 
jandelspolitischen Gründen die frühern Ideen der ifreien Donau⸗ 
Mündungen“ abgelegt haben, weil dieselben den englischen Waaren 
die sonst von Oesterreich und Deutschland versorgien rumanischen 
und bulgarischen Märkte eröffneten.“ 
London, 18. Mai. In letzter Nacht kam es in Blad⸗ 
zurne neuerdinga zu ernstlichen Ruhestörungen, wodurch großer 
Schaden verursacht wurde; bei eineni Zusammenstoße mit der Po⸗ 
izei wurden 14 Aufrührer verwundet; um 2 Uhr Morgens war 
ie Ordnung wiederhergestellt. 
Bermischtes. 
7 Zweibrücken. (Zuchtpolizeigerichtssitzung vom 8. Mai.) 
Der 20 Jahre alte Bergmann Lud'w ig M. aus Sulzbach 
n Preußen, der bis zu den in Nachstehendem zur Erzählung ge— 
angenden Vorfällen eipen guten Ruf genossen halte, lam am 
Abende des 23. Februar abhin nach Schna ppbach und kehrte 
jiet mit einigen Kameraden in der Wirthschaft der Witlwe Zoln⸗ 
ofer ein. Nachdem er mit feinen Begleitern einige Schoppen Bier 
jekcunken, steckte er eines der benüßten Biergläser zu sich und be⸗ 
zab sich mit den anderen Burschen fort. Vor deren Weggang 
atte die Wiethin schon das Fehlen des Bierglases bemerte unß 
ine bezügliche Bemerkung gemacht, von dem Beschuldigten aber 
ur Autwort erhalten, er wisse bon Nichts und ldnneüber den 
Zerbleib des Glases keine Auskunft geben. Der von ihm verübte 
diebstahl scheint ihn aber doch beunruhigt zu haben, denn gegen 
0 Uhr des Abends kam er mit 2 Begleitern nochmals in dieselbe 
Birthschaft und fing mit der Wirthin sofort wieder von dem ab⸗ 
anden gekommenen Glase zu sprechen an. Diese wollte aber kei⸗ 
etlei Veranlassung zu einem Dispute geben und fertigte ibn des⸗ 
alb lurz mit den Worten ad, er solle die Sache auf sich beruhen 
assen, das von ihm benützte Glas sei ja noch auf dem Tische ge⸗ 
tanden und damit sei es gut. Als nach einiger Zeit das gerade 
n Verzapf hefindliche Fächen leer geworden war, erklärte di— Wir⸗ 
hin, sie stecke kein we keres Bier mehr an, und focderte die Bur⸗ 
hen auf, sich zu eutfernen. Der Beschuldigte verließ daraufhin 
zuch mit seinen Begleitern die W'rthschaft. Ein anderer Gaͤst, 
jer mit diesen Burschen in keinerlei Berührung gekommen war, ent⸗ 
ernie fich in wenigen Minuten darauf ebenfalls. Es war Dies 
zer 24 Jahre alte Glasstrecker Jakob Emmes von Schnappbach. 
daum war derselbe auf die Straße gekommen, als ihm der Be⸗ 
chuldigte mit einem eisernen „Wagenstorren“, den er einem nahe⸗ 
tehenden Wagen entnommen haite, entgegentrat und die Frage an 
hu richtele, ob er hier bei der Witkwe Zolnhofer wohne. Kaum 
jatte Emmes hierauf eine verneinende Antwort gegeben, als der 
Heschuldigke den Wagenstorren erhob und ohne jede weitere Veran⸗ 
assung Jenem einen Schlag auf den Arm versetzte, der den Emmes 
jeftig schmerzte und es ihm gerathen erscheinen ließ, in die Zoln⸗ 
zofer'sthe Wirth'chaft vurückzulehren. biz die Burschen sich eman