Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Samstag, den 18. Juni. 1878. 
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Deutsches Reich. 
Berlin, 12. Juni. Die Eröffnungssitzung des Congresses 
ist morgen Mittag 12 Uhr, die erste materielle Sihung Sonnobend, 
die Dauer des Congresses wird auf eiwa 4 Wochen angeaommen, 
da wöchentlich nur 2, höchstens 3 Sitzungen staufinden. 
Beriin, 12. Juͤni. Naͤch kiner kaiserlichen Verordnung 
vom 11. Juni sollen die Wahlen zun Reichslaa am 30. Juli 
stattfinden. 
Berlin, 12. Juni. Die „Prov.-Corr.“ schließt einen 
Artiket über die Siellveriretung des Kaisers durch den Kronhptinzen 
mit folgenden Worten: „Jetzt ald Vertreler des Königs und Keisers 
berufen,, gilt der Kronprinz der gauzen Nat'on als Bürge und 
Pfand für des Reiches Zulunft. Die Ihm in so reichem Maaße 
bereits zu Theil gewordene Liebe und Vereh'ung biesen sich Ihm 
in diefer schweren Zeit als kräftigsie Stütze dar zut Lösung seiner 
ersten Aufgabe für den inneren Frieder.“ — In einem weiteren 
Artel, der den Berliner Congreß behandelt, schreibt die „Prov.⸗ 
Torr.“: „Zur besonderen Genugthuung dürfte es dem deuitschen 
Bolke gereschen, daß durch den Berliner Congreß die ernste besonneue 
Friedenspolitik, welche die deutsche Regierung seit Beginn der orien⸗ 
salischen Verwickelangen befolgt, nunmehr die höchste Bestätigung 
und Erfüllung finden soll.“ Der Artikel schließt: „Wenn nicht 
alle Anzeichen und Aussichten trügen, wird der Berliner Congreß 
nach den Erregungen und Erschü'terungen des russisch iüclischen 
Zrieges und nach den die Ruhe Europas bedroh nden Zerwürfnissen 
welche sich daran knüpften, ein endliches friedliches Einverständniß 
der europäschen Mächte über eine Frage herbeiführen, welche früher 
dets als Ausgangspunkt eines unvermeidlichen allgemeinen Kriegs⸗ 
brandes erschien. Möge den Völkern Europas recht bald die Ge⸗ 
wißheit eines segensverheißenden Absdhlusses beschieden sein! Möge 
auch unserem iheuren Kaifer gerade jetzt in seiner Leidenszeit dieser 
neue Erfolg der Friedenspolilik vergönnt stin, in welcher Er stets 
den höchsten Beruf des deulschen Kaiserthums erkannt und bessätigt 
hat.“ — In einem dritten Art'kel, betitelt „Regierung und Reichs 
lag gegenüber der Sozialdemokratie“, erinnert die „Prov. Corr.“ 
an die Siellung des Reichstages gegenüber der Strafgesetznovelle 
und der jüngsten Vorlage zur Abwehr sozialdemolratischer Aus⸗ 
schreitungen. Das Blatt bemerkt dann weiter: „Die Regierung, 
getragen von dem Bewußtsein ihrer unmittelbaren Verantwortung 
uͤnd Pflicht, steht im Begriffe, den Beistand des deutschen Volkes 
selbst zur Erreichung ihrer Ziele für den inneren Frieden und neues 
wirthschaftliches Gedeihen anzurufen. Die Regierung erstrebt in 
vollsier Aufrichtigkeit die Stärkung des Staatslebens durch Ver⸗ 
einigung und Kräftigung der wirklich erhaltenden Elemente; diese 
Bereinigung aber muß einen positiven Inhalt und bestimmte ge⸗ 
meinsame Ziele haben. Wenn der Versuch, eine fruchtbringend« 
Gemeinschaft auf wirlhschaftlichem wie polilischem Gebte!e anzu 
hbahnen, in dem bisherigen Reichstage nicht zum Ziele geführt hat, 
so wird der gesunde patr'otise Geist des deutschen Volkes, welcher 
sich unter den schweren Ereign'ssen der letzten Wochen in ethebender 
Weise bekundet, so Gott will, dazu helfen, daß sich im lünftigen 
Reichstage eine Mehrheit klar bewußter und fest entschlossener 
Männer zusammenfinde, um d'e drohenden Gefahren für Staat 
und Gesellschaft wirtsam zu beschröcen und sichere Grundlagen 
für einen neuen Ausschrunrg des politischen und wirlhschaftlichen 
Bedeihens des deutschen Voikes zu schaffen.“ 
Berlin. 13. Juni. Das heute Vormittag ausgegebene 
ärztliche Bulletin lautet: 
Nach ununterbrochenem Schlafe während der Nacht ist das 
Befinden Sr. Wajestät des Kaisers durchcus befriedigend und der 
Krätezustand besser. Voraussichtlich wird heute kein Bulletin mehr 
ausgegeben werden. Berlin, 13. Juni 1878, 102 Uhr Vormit⸗ 
tags. Dr. v. Lauer. Dr. von Langenbick. Dr. Wilms. 
In unseren Hof- und Regierungskreisen hat die leider nun— 
mehr konslatirte Thatsache, daß ein, wenn auch uur geringer Bruch— 
theil des preußischen Heeres von der socialdemokra⸗ 
tisscheen Bewegung erfaßt ist, eine außerordentliche Sensation erregt. 
Der Gedanke, unsere irneren Schw'ierigkeiten kbönnten sich bis u 
dem Grade steigern, daß eventuell mil'tärische Altionen durch revo⸗ 
utionäre Umtriebe gestärt werden und letztere einen Theil unserer 
Streitträfte absorbiren könnten, ist ein so schreckenerregender, daß 
ruuüsere MilitärVerwalteng allen ihren Scharfsinn und ihre ganze 
Fnerg'e darauf verwerden wird, den Eintritt solcher Eventualitäten 
zu verhindern. Ueber das, was nach dieser Richtung hin geschehen 
vird oder bereits geschehen ist, vernimmt man, daß zunächst an die 
ämmilichen Truppenkommandos Weisungen ergangen sind, die Sol⸗ 
»aten vor jeder Gemeinschaft und Beziehung mit solchen Personen 
zu warnen, welche sich an socialdemokratischen Bestrebungen betheiligen, 
ind den Subaltern-Officieren, eine größere Wachsamkeit gegenüber 
en Unteroffiz'eren und Mannschaften in dieser Hinsicht einzuschärfen, 
benso jedwede Zeitungslektüre von den Kasernen fern zu halten. 
Auch geht man mit dem Plane um, die kleinen Garnisonen in die 
rößeren Städte zu verlegen, wo eine schärfere und umfassendere 
kontrole geübt werden kann. 
Die „Berliner Zeitung“ schreibt unterm 12. Juni: Welche 
Dimensionen d'e Reaktion in Preußen und dem deutschen 
steiche annehmen würde, falls es der Reichsregierung gelänge, im 
nächsten Reichstage eine feste Majorisät für sich zu gewinnen, enl⸗ 
ieht sich augenbliclich noch der Berechnung, doch glauben wir 
rersichern zu dürfen, daß folgende Ziele von der Regierung fest in's 
Auge gefaßt sind: Auf dem politischen Gebiet: 
1) Sie Beschrünkung der Preßfreiheit durch das Verbot solcher 
Druchschriften, welche „rebolutionären Bestrebungen!“ dienen, auf 
dminiftrativem Wege, sowie durch die Wiedereinführung der Kau⸗ 
ionen und des Zeitungsstempels, endlich durch die Beschränkung 
des Zeilungsverkaufes auf öffentlichen Straßen. 
2) Die Beschränkung des Versammlungs- und Vereinsrechtes 
zurch das Verbot so'scher Verteine und Versammlungen, welche auf 
die „Untergrabung der Grundlagen von Staat und Gesellschaft? 
abzielen. 
3) Die Beschränkung des allgemeinen. direkten Wahlrechtes 
zurch Festsetzung eines höheren Alters für die Wähler und Einführung 
ines Census. 
4) Diee Verlängerung der Legislaturperiode von drei auf 
ünf Jahre. 
5) Die wesentliche Verstärkung der Polizeikräfte in den Städten 
v'e auf dem flachen Lande. 
Auf dem wirthschafllichen Gebiete: 
1) Die Beschränkung der Freizügigkeit und der Gewerbe— 
freiheit. 
2) Die Begünstigung der Schutzzoll; Bestrebungen auf direktem 
und indirektem Wege. 
Auf dem sozialen Gebiet: 
1) Verschärfung der Strafbestimmungen gegen das Gesinde. 
2) Erleichterung der Lohn Beschlagnahme u. s. w. 
Auf dem konfessionellen Gebiet: 
1) Begünstigung der orthodoxen lutherischen Geistlichkeit. 
Auf dem militärischen Geb'et: 
1) Wirksame Garanticen gegen die Einwirlung der Presse 
und des Reichstages auf die Behandlung der mililärischen An— 
gelegenhesten, Pflege des militärischen Kastengeistes durch Abschließung 
des Militärstandes von dem Bürgerthum, streuge Durchführung des 
Verbokes der Zeitungsleklüre in den Kasernen u. s. w. 
Auch dem blödesten Auge wird h'iernach das Eine ersichtlich 
jein, daß der von unserer reaktionäten Regierung geplante Feldzug 
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lismus gill und jede gesunde, normale, frerheitliche Entwickelung 
nehezu unmöglich macht. 
Eine interessante, allerdings der Bestätigung noch sehr bedürf⸗ 
lize Nachticht wird mehreren Blästern aus Eisleben gemeldet, wohin 
der in Schochwitz verhaftete Bruder Nob lings geschafft ist. Zunächst 
wärcen viele sehr kompromitirende Schriftstücke mit Beschlag belegt 
ind ferner habe man einen Beirag von mehr als 20,000 Thalern, 
heils in baarem Gelde, theils in grten Papieren vorgefunden, von 
vetlchem man vermuthe, daß es die Kasse der zum Komplott Ge⸗ 
örigen bilde, deren Kassirer der Verhaäflete gewesen sel. Dann