St. Ingberter AAnzeiger
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Same“a. den 13. Juli.
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Zu den Wahlen.
Das Centralcomite der nationalliberalen Partei hat soeben
drei Flugblätter ausgegeben. Das erste beschäft'gt sich mit der
Frage, ob die Auflösung des Reichstags nothwendig war, um der
Regierung die gegen die Socialdemokraten erforderlichen Vollmachten
zu verschaffen. Tas eigene Verhalten der Regierung rechtfertigt
zlämend jene Auffassung der Liberal⸗n, welche die frühere Vorlage
berworfen und sich bereit erllärt haben, im Herbste einen gereifteren
und besser abgefaßten Entwurf zu prüfen. Gerade durch die
Auflösung habe die Regierung anerkannt, daß sie felbst unter den
zurch den zweiten Mordanfall oufgededten Berhältnissen noch drei
Monate ohne besondere Vollmachten auskammen könne. Im Volke
habe man nach dem zweiten Atteniate die sofortige Berufung des
Reichstages erwartet, damit er außerordentliche Vollmachten ge⸗
währe. Die vationalliberale Partei hätte dazu, e ihr Aufcuf
beweise, die Hand geboten. Die Regierung wollte aber den Versuch
gar nicht machen, weil es ihr darauf ankam, zu anderen Zwecken
die L'beralen vor dem Lande anzuklagen. Die Zwecke, um derent⸗
willen man der bisherigen Mehrheit das Vertrauen des Volles
entziehen wolle, lägen auf dem Gebiete der allgemeinen dauernden
Aufgabe des Reichatags. Das Flugblatt führt dann im Verlauf
ijeiner Darstellung aus, wie zwischen der Mehrheit des letzteren
und dem Reichskanzler bis vor Kurzem vielfach Uebereinstimmung
hestanden, wie d'e nationalliberale Partei länger als ein Jahrzehnm
jindurch, vermittelst ihrer Thaten bewiesen, daß sie die Aufgaben
auseres offentlichen Lebens durchaus praktisch, sern von jeder Recht⸗
Jaberei, auffasse und deren Lösung im mögiichsten Zusammenwirken
mit der Regierung erstrebe. Aber je länger je mehr sei dasselbe
erschtert worden dadurch, daß nachgerade die Stetigkeit aus der
stegierungsthätigkeit verschwunden, daß betreffs der Einrichtung der
stegierung selbst, betreffs der sür das Wohl und Wehe des Volkes
o entscheidenden Steuer⸗ und handelspolitischen Fragen vielfach an
Stelle alier und bewährter oder neuerer, aber wohlerwogener Grund⸗
äße plötzliche Einfälle und Anregungen geteeten seien. In der
Frage der Steuerreform hälten die Liberalen von jeher, ja sogar
jrüher als die Regierung betont, daß es eiwünscht wäre, das Reich
ñba-ziell auf eigene Füße zu stellen. Aber so wichtzg sei dieles
Bedüefniß dem deutschen Volle doch nicht, daß es darum Gefahr
laufen sollte, 200 bis 300 Millionen neue Steuern bezahlen zu
müssen. Diese Gefahr aber werde eintreten, wenn die Wähler sich
durch Mißbrauch der socialdemokratischen Verbrechen verleiten lafsen,
tatt der bisherigen überalen Abgeordneten unbedingte Jasager zu
wählen, d'e auf das Verlaugen verfassungsmäßiger oder geseßlicher
Bürgschaft bezüglich der Verwendung der neuen und der entspre⸗
henden Verminderung der alten Steuern von Vornherein Verzicht
geleistet. Daß die Liberalen an dieser Forderung unerschütterlich
sestgebalten haben, sel es hauptsächlich, weshalb man ihnen das
Vertrauen der Wähler abwendig machen wolle. Ebenso wird in
dem Flugblatit dargelegt, wie die Wahl von Conserdativen fast noch
meht als in den Steuerfragen, in denen der Zolle und handels⸗
politit Zustimmung zu unbekannien, aber vielleicht ho ᷣst gefaͤhrlichen
Projekten bedeute. Der nalionolliberale Wahlauftuf“, so heißt
res sehr richtig, „er“lärt ausdrücklich, daß in diesen Fragen, welche
leine politischen sind, die Ausichten in der nationallderalen Partei
aus einandergehen, d. h. daß die einzelnen Mitglieder die Freiheit
jaben, sich darin nach ihren besonderen Ansichten zu enischeiden.
Die Wahler mögen sich darüser mit ihren Verlretern verfiändigen.
Aber die Wahl unbedingter Regierungsanhänger würde lediglich
bedeuten, daß man sich ia diesen Angelegenheiten für die Zustim⸗
mung zu gänzlich unbekannten Entschlüssen der Regierung erklärt.
Auf keinem Gebiete mehr, als auf dem hier in Rede stehenden, ist
das oben gekennzeichnete System der uunbestimmten Andeutungen
deübt worden. Kein Mensch weiß, was die Regierung in den
Zollfragen eigentlich will; es gibt Organe derselben, welche im
Sinne der entschiedenen schutzzöllnerischen Realtion, d'e soar Zoͤlle
auf Getreide d. h. eine Veriheuerung da taͤglichen Brodes will,
cteden; und andererseits gibt es Anzeichen, aus denen man schließen
sann, daß im Großen und Gamen Alles heim Allen biben ni
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Wenn das Volk inmitlen solcher Unklarheit und Dunkelheit über
die Absichten der Regierung eine Mehrheit von Confervativen, d. h.
zon unbedingzten Anhängern der Regierung wählte, so würde datß
bedeuten, daß es auf jede eigene Emischeidung über seine unmittel⸗
barsien Interessen verzichte.
Sowohl die Erinnerung an den Wahlkampf, wie eine lange
Reihe ähnlicher Beispiele beweist, wie das Blatt am Schluß seiner
Ausführungen fehr richtig bemerlt, daß die uationalliberale Partei
in den zwölf Jahren ihres Bestehens allezeit der Staaisgewalt das
eingeräumt hat, was erforderlich war, damit neben der Freiheit
die Ordnung herrsche. „Es ist also nicht zm befürchten, daß diese
Partei, indem sie ihren Grundsähen getreu bleibt, dem schlimmsten
Feinde der Ordnung und der Freiheit, der Socialdemokralie gegen⸗
Aber, die erforderlichen Mittel der Abwehr verweigern solle. Wir
Jaben nachgewiesen, wie unbegründet jeder solche Vorwurf ist, wie
a daher auf die Verhüslung ganz anderer Ziele des Wahlkampfes
erechnet seiin muß. Wenn die Wähler ihre Entscheidung mit Be⸗
onnenheit und Festigkeit treffen, dann werden sie sorgen für die
ntschiedene Unterdrückung der socialdemolratischen Agitation; zugleich
iber für die Bewahrung des Bolkes vor Hunderten von Millionen
jeuer Steuern, unter denen sich auch ein das Brod vertheuernder
Betreidezoll befinden kͤnnte; und für eine selbstständige Volksver⸗
retung, welche die Regierung in allen kllaren, dem offentlichen Wohle
ienenden Absichten unterstützt, zu unklaren Projelten und gefähr⸗
ichen Unt ernehmungen aber ein entschiedenes Nein spricht.
‚„Und zn diesem Zwecke muk das Volk Lißerale wählen!“
Deutsches Reich.
Berlin, 9. Juli. Fürst Bismarck geht sofort nach dem
Schluß des Kongresses nach Kissingen; er hat die feste Absicht,
der außerordentlichen Session des Reichstages beizuwohnen. Die⸗
'elbe wird, wie man hört, nicht vor dem 6. September beginnen
und, wie es heißt, nur die wenigen Wochen über dauern, welche
erforderlich sind, die wichtigsten Vorlagen zum Abschluß zu bringen.
Berlhin, 10. Juli. Die englischekürlische Allianz, nament⸗
lich die englische Besetzung Coperns, verzogert die Unterzeichnung
des Berliner Vertrages um einige Tage. — Die Mitthellung des
Memorandums des Prinzen Peter von Oldenburg gegen den er—⸗
drückenden Militarizmus durch das offizidse Wolff'sche Bureau
vird hier vielfach als Wahlmanöver aufgesaßt. Man glaubt nicht,
vaß eine Abrüstang wirklich in Aussicht genommen sei.
Berlin, 10. Juli. Die „Provinzial⸗Korrespondenz“ schteibt:
Die Friedensverhandlungen des Berliner Kongresses stehen unmitlel⸗
bar vot ihrem glücklichen Abschlusse. Alle wichtigen Fragen, die
ich an den Vertrag von San Sliefano knupfen, haben unter dem
'ortdauernd friedlichen Gesammtwillen der auf dem Kongresse ver⸗
inigten europäischen Mächte und durch allseitig vertrauensvollet
Zusammenwirken ihrer Bevollmächtigten ausgleichende Losung ge⸗
unden. Auch die auf die Grenzregulirungen bezüglichen Kommis⸗
ionsarbeiten find bereins zu einem befriedigenden Ergebniß gelangt,
ind der Kongreß selbst wird sich in den nächsten Tagen der schließ
ichen Fesistellung und Genehmigung der getroffenen Vereindarungen
vidmen können. Die in den letzten Tagen betannt gewordene
Thatsnche, daß England ein besonderes Ablommen mit der Türkei
vegen Abtretung Cyperns zu englischer Okkupation und behufs
Schutes der Türkei in ihrem asialischen Besitze geltoffen hat, wird
)en Abschluß der Kongreßverhandlungen nicht stören oder aufhalten,
da dieselbe den Vertraz von San Stefano, welcher der Beschluß⸗
rahme des Kongresses unterliegt, nicht berührt. Am' Samstag
vird der Friede zu Berlin unterzeichnet werden, in welchem Europa
den Abschluß der jüngsten Kriegsära und der seitber noch drohenden
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neuen Zeit friedlicher Entwickelung und friedlichen Aufschwungs
reudig begrüßen wird.
Berlin, 10. Juli. Das Todesurtheil hat Hödel mil
rechem Hohnlächeln angehört; überhaupt war sein Benehmen während
der ganzen Vechandlung ein äußerst freches. Als ihm das Wort zur
VBertbeidigung gegeben wurde, üußerte er: „Ich danke für jede Ver⸗