Full text: St. Ingberter Anzeiger

Si. Ingberier Anzeiger. 
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M 116. 
Donnerstag, den 23. Juli. 1878. 
Deutsches Reich. 
Berlhin, 21. Juli. Die neuerdings wieder aufgelauchte 
Nachricht, daß das vorgeschriebene Maß von Kenntnissen für die 
terechtigung zum einjaäͤhrigen Militärdienst geändert, beziehentlich 
erhöht werden soll, ist ohne Grund, da jetzt die geltenden Bestim⸗ 
nungen erst vor drei Jahren nach einem Gutachten der Reichs⸗ 
Schulcommijssion fesigestellt und in einem Reglement niedergelegt 
porden sind. Dabei möchte die Bemerkung am Orte sein, daß 
unge Leute, welche sich in einem Zweige der Wissenschaft oder 
Zunst oder in einer andern, dem Gemeinwesen zu Gute kommenden 
Thätigkeit besonders auszeichnen, dann kunstverständige oder me⸗ 
hanifche Arbeiter, welche in der Art ihrer Thätigkeit Hervotragen⸗ 
ves leisten, endlich zu Kunstleistungen angestellte Mitglieder landes⸗ 
herrlicher Bühnen don dem Nachweise der wisfenschafllichen Be— 
suͤhigung befreit werder lonnen. 
vrisruhe, 23. Juki. Frankfurker Blätter sprechen 
„on einer bevorstehenden Conferenz fämmiliher deutscher Minister 
d. h. doh wohl nur sämmtlicher leitender) in Heidelberg mil dem 
Fürsien Bismarck. Es ist allerdings etwas daran, die Verhand- 
ungen darüber aber scheinen noch einigermahen in der Schwebe 
u sein. 
—XX 
Paris, 21. Juli. Die Arbeitseinstellnugen in verschiedenen 
Orten von Frankreich geben allen Denen, die sich nicht durchh den 
cheinbaren Wohlstand von Paris, welcher durch den großen Zufluß 
hon Fremden hevorgerufen wird, blenden lassen, zu Besorgnissen 
Anlaß. Der Streil der Grubenarbeiter von Anzin verbreitet sich 
nehr und medbr und droht sich auch auf die Kohlenbezirke von 
Aniche und Denain zu erstreclen. Zu Bordeaux ist ein Streil 
iner den Bäckern ausgebrochen, zu Dijon unter den Schreinern, 
u Etienne und St. Chamond unter den Färbern- Die Arbeiter 
Jerlancçen höheren Lohn, denn das allgemeine Steigen der Preise 
ir die uorhigen Lebensmittel zwingt sie dezu. Es sind Dies 
schlechte Vor eichen für die Zukunft, zumal es feltgestellt ift, daß 
die Ernle dieses Jahr in zwei Drittheilen von Frankreich nur 
mittelmäßig ausfallen wird und die landwirthschaftlichen Ergebnisse 
uberhaupt nicht glänzend sind. Wenn die Geichäftskrisis, welcht 
diele industrielle Plähe drückt, nicht bald aufhört, so werden die 
arbeitenden Klassen sehr leiden. Die große Metallindustrie 
Frankreichs ist mit unverwertheten Produlten überladen, und 
cühnlich ist es mit mehreren Zweigen der Spinnerei und Weberei. 
Der „Nouvelliste de Rouen“ meldet, daß die Industriellen von 
Dolbec, Lillebonne und dem Bezirke von Havre fast einstimmig bes 
schlossen haben, die Arbeitszeit auf fünf Tage für die Woche herab⸗ 
zusetzen; in anderen Manufakturplätzen der Normandie hat man 
—00— des 
Sireils von Anzin ist die Aufhebung der Arbeit an den Mon⸗ 
nagen; es ist also zu erwarten, daß dieselbe Ursache auch an 
inderen Orten dieselbe Wirkung haben wird. Außerdem aber 
werden die arbeilenden Klassen von den bonaparlistischen Agenten 
aufgehetzt und zugleich von den radikalen Blältern, welche der Re— 
zierung gegenüber immer feindlicher auftreten. Die Gesammtheit dieser 
Thatsachen beunruhigt die Mänger vom linken Zentrum sehr, und 
die Organe dieser Partei fangen an, sich besorgt zu zeigen. Die 
Handelsgeschäfte gehen überall schlecht, und der Festjubel und Lärm 
auf dem Trocadero und den Boulevards von Paris kann aufmerk⸗ 
same Beobachter nicht täuschen. Die Bonapartisten und die Ultrara⸗ 
Hitalen freuen sich, aber die gemäßigten Republikaner sind voll 
Sorge und haben Defsen gar kein Hehl. 
Pari's, 23. Juli, Nachmistags. Der Praßdent der Re⸗ 
oublik hat den Bertrag von Berlin heute Morgen rat'fisirt. 
Paris, 283. Ju. Ganz ungewöhnliches Aufsehen macht 
— eine neue Zusammenkunft Gambetta's mit dem Prinzen von 
ales. 
Paris, 28. Juli. Die „Déiense“, das Organ dies 
bischoss Dupanloup von Orleans, bringt folgende auffallen de 
Depesche aus Rom, 23. Juli; „Der päpsillche Nuntius in München 
wird nächstens nach Betlin gehen, um ein Abkommen abzufchließen, 
welches Deutschland den religiösen Frieden wiedergeben wird.“ 
Rom / 20. Juli. In vielen Städten finden Demonstra⸗ 
fionen für die Wiederherstellung Italiens statt. — Auf Morgen ihß 
dier ein Meeting gegen das Auftreten Italiens auf dem Kongreß 
anberaumt. — Die Radikalen predigen unverhüllt den Krieg 
zegen Oesterreich. 
KZonstantinopel, 23. Juli. Die Russen besetzten gestern 
Schumla, das die Tütken nun endlich geräumt haben. 
Washinglon, 22. Juli. Nach einem Berichte des 
Agricultur⸗ Departements waren am 1. Juli fast 50 Millionen 
Acres mit Kornfrüchten bestellt, was etwas hinter dem Vorjahre 
zurückbleibt. Die Winterweizenernte war sebr ergiebig in den 
Mittelstaaten. Der vortreffliche Stand des Frühjahrsweizen im 
Juni hat sich auch diesen Monat behauptet. Seit dem 1. Juli 
dat der Frübjahrsweizen in Minnesota, im Norden von Jowa 
und in Wisconsin in Folge verschiedener Ursachen ernstlichen 
Schaden gelitten. 
Vermischtes. 
f Si. Ingbert, 283. Juli. Wir kommen heute auf die 
Rede, welcher unser bisheriger Reichstagsabgeordneter Herr Ober⸗ 
»ppellrath Schmidet am Samstag im Grewenig'schen Saale ge⸗ 
Jaiten hat, zurück. Wir greifen einzelne Punkte heraus und wollen 
ie unsern Lesern ausführlicher vorstellen. Bezüglich des Sozia⸗ 
istengesetzes, das voraussichtlich dem neuen Reichstage zuerst 
porgelegt werde, äußerte sich Ht. Schmidi ungefähr so: Ein 
hedeihliches Staatswesen ohne gesetzliche Ordnung, ohne Schutz der 
Person und des Eigenthums sei undenkbar. Es durften daher 
Imsturzbestrebungen unter keinen Umständen geduldet, gegen dieselben 
nmüßten vielmehr die bestehenden Gesetze mit aller Strenge gehand⸗ 
hdabt werden. Falls diese nicht ausreichen, müsfe eine Reviston der 
Besetzgebung eintreten, um bestehende Lüchen auszufüllen und Er⸗ 
zänzungen vorzunehmen. Denke er auch mit Schauder der Aften⸗ 
ate und stehe auch fest, daß die Attentäter Anhänger der Social⸗ 
demokraten jeien, so sei doch bei Schaffung diesbezüglicher Gesete 
Vorsicht geboten, damit nicht Anpdere mit leiden 
müssen. Denn es set doch zu weit gegangen, wolle man für 
die verbrecherischen Thaten Zweier die deutsche Nation verantwortlich 
machen. Es seien auch schon in England und Frankreich Attentate 
herübt worden, aber Niemand sei es beigekommen, die englische und 
ranzösische Nation dafür verantwortlich machen zu wollen. Den 
Berbrecher treffe die Strafe des Gesetzes, so verlange es das Recht. 
Die Ablehnung des dem aufgelösten Reichstage vorgelegenen Sozia⸗ 
listengesetzes sei begtündet gewesen durch die vage, all s e⸗ 
meine und oberflächliche Fassung desselben. Ein 
Besetz müsse klar und bestimmt gefaßt sein. Reich und Volk 
müßlen nun allerdings gegen socialist sche Ausschreitungen geschützt 
werden. In welcher Form dieses aber geschehen werde, koͤnne 
er jetzt noch nicht sagen. Er für seine Person werde bestrebt sein, 
dafür zu sorgen, daß die schwer errungenen Freiheiten der deutschen 
Nation nicht verlümmert, daß aber das Reich und seine Bewohner 
vor socialistischen Ausschreitungen kräftig geschützt und bewahrt 
werden. Man müsse vorerst abwarten, in welcher Form die Frage 
um Abhilfe an den Reichstag herantrete, jedenfalls müsse energisch 
vorgegangen werden. 
Uebergehend zu der in der gegenwärtigen wirthschaft⸗ 
lich ein Lage liegenden brennenden Frage, bemerkte Ht. Sch midt 
daß Handel, Industrie und Gewerbe noch vielfach darniederliegen, 
und daß die Geschäftsstockung eine allgemeine Unzufriedenheit her⸗ 
vorgerufen habe. Unsere Gegner suchten nun diese mißliche wirth⸗ 
schaftliche Lage auf Rechnung des neuen deutschen Reiches zu setzen 
oder sie doch der liberalen Partei in die Schuhe zu schieben. Das 
sei jedoch ungerecht. Denn nicht allein bei uns in Deutschland, 
iondern in allen europäischen Stoaten und sogar in den Vereinigten 
Ztaaten Nordamerikas zeige sich die Geschäftsstockung, das theil⸗ 
weise Darniederliegen von Industrie und Gewerbe. (Davon er⸗ 
wähnte Hr. Dr. Jäger in seiner Rede am Sonntage nichts)