klassen werden allmälig wieder einsehen lernen, daß ihr Geschick im
Guten wie im Bösen noch auf ein Jahrhundert hinaus an das
der vielgehaßten und vielverläumdeten Bourgeoisie gebunden ist
daß jede wahrhaftige und dauerhafte Besserung ihres Vooses sowohl
in maierieller wie in geistiger Hinsicht nur im Verein mit derselben,
mit der Kapitalsmacht bewirli werden kann. Wie im Mittelalter
die Stadt, ist auch jetzt noch das Bürgerthum die natürliche Schuzß—⸗
wehr Aller gegen die despotische Gewalt des Adels und die
geistige Uebermacht der Kirche.
Der neue Reichstag bietet dem Volle nur das Bild des Chaos,
eine Majorität ist noch schwieriger als in dem früheren herzustellen;
die Parteien der Mitte werden bald nach rechts, bald nach links
stompromisse schließen müssen, nicht um zu einem erträglichen, sondern
Aberhaupt nur zu einem Resultate zu kommen. In der großen
geseßzgeberischen Thäligkeit wird darum eine wünschenswerthe Pause
eintreten. Seit 1871 hat es keinen Augenblick gegeben, der einer
Sammlung des Bürgerthums, einer Wiedereroberung deß Terrains,
das wir an die Socioldemokratie gerade in der Masse der städtischen
Bevoͤlkerung verloren haben, günstiger und verheißungsreicher ge⸗
wesen wäre. Die Haltung der Parteien im Reichstage wird durch
politische Momente bestimmt, Gunst und Ungunst des parlamen⸗
tarischen Wetters wirken darauf ein. Durchaus unabhängig davon
ist die Arbeit, die wir meinen, die Arbeit, die in dis Tiefe geht,
um das deutsche Volk wieder um das Banner des Reichs im
Frieden, zur Sicherung unserer Freiheit und des Vaterlandes
selber, zu versammeln. Parlamente geheu vorüber, Geseße werden
gegeben und geändert, was aber unerschüttertich bleiben muß, wenn
ein Staat wachsen und gedeihen soll, ist die Liebe seines Volkes
zu seiner Verfassung, seiner Freiheit und seinem Gemeinwesen.
—
—A
Sit. Ingbert, 17. August. Heute (Samstag) findel
hier die im Wahlbezirk Zweibrücken⸗Pirmasens nothwendig gewordene
engere Reichstagsabgeordneten-Wahl zwischen den beiden Can—
didaten Hercen Carl Schmidt, k. Oberappellationsgerichtsrath, und
Dr. Eugen Jäger, Redacteur, statt. Nur unter diesen Beiden ist
ju wählen und alle auf andere Candidaten fallende Stimmen sind
ungiltig, und zwedlos. Die Wahl beginnt Morgens um 10 Uhr
und wird Abends um 6 Uhr geschlossen.
Kein biederer deutscher Mann darf versäumen an der Wahlurne
zu erscheinen, um seine Schuldigkeit zu thun.
FKaiserslautern, 18. Aug. Der hiesige Vorschuß
verein hielt gestern Abend im Saale des Gasthauses Zur Post“
seine statutenmäßige halbjährliche Generalversammlung ab. In der⸗
selben erstattete zunächst der Kassierer des Vereins den Geschäftbe—
richt über das J. Semester 1878. Hiernach betrug die Mitglieder⸗
——
Stammantheile der Mitglieder betrugen 166,476 M. 95 Pf.; der
Reservefond 13,569 M. 85 Pf. Das Gewinn⸗ und Verlust⸗Conto
weist einen Bruttogewinn von 18,688 M. auf; nach Abzug der
Geschäftsunkosten betrug der Reingewinn 6,610 M. 70 Pf. (55
M. 80 Pf. mehr, als im Borjahre.) (K. 3.)
Reustadt, 13. Aug. (Neuft. Z.) Wie wir hören, er⸗
wächst der Distriktskasse Neustadt durch die Unterschlagung ihres
Rechners Dell kein Schaden, indem seine Mutter für die veruntreute
Summe aufkommt. Dell selbst, den man dieser Tage todt gesagt,
hefindet sich auf dem Wege der körperlichen Besserung.
F Neustadt, 13. Aug. Der Buchhändler Rudolf Ackermann,
der früher hierselbst ein Colportagegeschäft unter der Firma Rheinische
Verlagshandlung führte, dann aber nach Mainz übersiedelte, wo er
eine schon länger daselbst innegehabte Filiale in Kompagnieschaft mit
einem gewissen Bingenheimer zu einem sehr umfaänglichen Geschaft
unter der Firma Deutsche Exportbuchhandlung erweiterte, ifl in den
letzten Tagen sammt seinem Associé Bingenheimer in Untersuchungs⸗
haft zenommen worden. Den äußern Anlaß soll eine neue schwindel⸗
hafte Verlazsunternehmung gegeben haben, ein Lieferungswerk,
bei welchen den Abonnenten „gegen die geringe Nachzahlung von
nur 8 Mark“ voͤllig werthlose Chlinderuhren als prächtige uud vor⸗
wreffliche Chronometer aufgehängt werden sollten. Der wahre Anlaß
zu jetzigem endlichen Vorgehen liegt in den Maßregeln gegen die
jozialdemokratische Presse, mit welcher die Colportage Literatur in
engster Verwandtschaft stand.
F Neustadt, 14. August. Durch die Zwangsversteigerung
des Heng'schen Anwesens zu Wachenheim am letzten Montag, ging
dasselbe mit Schiff und Geschirr um den Steigerungspreis von M.
63,000 in den Besitz der Frau Wwe. Wolff daselbst über.
f Landau, 14. August. Durch Kommandanturbefehl vom
gestrigen Tage wurde dem Militär der Besuch der ‚Brauerei Trifels“
wieder gessattet.
1TFrankenthal, 12. Aug. Mitglieder des Mannheimet
Ruderdereins unternahmen gestern eine Spazierfahrt hierher, die für
einzelne Theilnehmer leicht einen unglücklichen Ausgang hätie nehmen
önnen. Ein Boot schlug, von den Wellen eines vorbeifahrenden
Dampfers erfaßt, um, und gelang es den Insassen mit knapper
Noth das Leben zu retten.
7 Nach einer Bekanntmachung der Direktion der Pfälzischen
Eisenbahnen wird am 1. Okiober dieses Jahres im Lolalverkehr
der pfälz. Bahmen ein neuer Tarif für lebende Thlere, Fahrzeuge
und Leichen mit theilweife erhöhten Frachtsätzen zur Einführung
gelangen.
FKandel, 12. August. Am Samstag Abend zog ein
schweres Cewitter über Kandel und Umgegend und wurde in Ober—
landel ein Mann, Familienvater, vom Bliß erschlagen. Der gleich⸗
jeitig im Zimmer anwesende Barbier wurde ebenfalls vom Blitze
zetroffen und soll dessen Zustand ein hoffnungslofer sein. In der
Amgebung soll der Bliß noch mehrmals eingeschlagen haben, ohne
—XRE
r In Munchen hat ein Bierbtauer aus Freude über den
Wahlfieg Ruppert's 1500 Liter zum Beften gegeben.
— Die miludliche Pruüfung sür den Arzilichen Staatsa⸗
dienst (Physikats⸗GSxramen) begann dahier; derselben haben sich
20 Aerzte aus den verschiedenen Provinzen des Königsreiches unter⸗
zozen. Das Resultat iß ein sehr befriedigendes. — Dr. don
Luß hat einen mehrwöchenilichen Urlaub angetreten und sich auf
eine Beflzungen naͤchst Starnderg degeben; Minister v. Fäustlt
vurde mit der Leilung deb ultasministeriume betraut. — General«
irektor v. Ho hedee hat fich heale mit Familie in Urlaub nach
Dberaudorf degeben. Beiriebs direltor v. Badhauser fungirt an
dessen Stelle.
f Bad Kissungen jahlt jeßzt 8288 Kurgäste.
f Ein in Frankfuri im Eisenbahncoupé todt aufgefunde⸗
ner Fremder, der bedeutende Geldmerthe mit sich führte, ist recog
noscitt worden. Es ist der Bürger J. Betz aus Oggersheim—
welcher vor 9 Jahren nach Amerika auswanderte und nunmehr in
die Heimath zurücdkehren wollte.
Frankfurt, 13. August. Der Palmengarten wurdt
gestern Nachmittag dem Publikum wieder geöffnet. Bei günstiger
Witterung sollen nächsten Donnerstag die Concerte der Stasuy'schen
Tapelle im Freien wieder aufgenommen werden.
F Kösln, O9. August. Im Natholischen Volksverein zu Köln
jat Herr Domvbicar Theisen haarscharf nachgewiesen, daß der Libe⸗
ralismus der Vater der Socaldemokcatie ist. Du bel den heurigen
Wahlen der Untramontanismus sich mit der Social-
demokratie verbrüdert hat, so bilden die drei sich sonst schrof
zegenüberstehenden Parteien jetzt eine Familie.
Es giebt keine Kinder mehr — diese Worte drängten sich mir un⸗
villkürlich auf, als ich Zeuge einer Episode wurde, welche ein eigen⸗
thümliches Licht auf die moderne Kindererziehung wirft. Am
Sonntag Vormittag saß ich bei einem kühlen Frühschoppen vor
einer mit künstlichem Epheu umgebenen Restauration der Char—
ottenstraße in Berlin und beobachtele, da der Epheu meinen Blicken
nach außen nicht im Wege war, folgende Szene. Ein halbwüchfiget
Znabe, gegen 10 Jahr alt nach äußerer Erscheinung, mit Stroh⸗
zut, hellen Glacees und — Kniehosen, lüftete schon von Weitem
n höchst devoter kavaliermäßiger Weise den Hut, um ein im aller⸗
zrünsten Backfischalter stehendes Mägdelein zu begrüßen. „Ah, er⸗
challte es von den Lippen der Liliput⸗Dame, wir haben Sie gestern
m Zoologischen Garten erwartet, konnten Sie indeß trotz allen
Zuchens nicht fiaden.“ — „Habe das sehr bedauert, doch verließ
ch den Platz am Tische meiner Eltern nur, um mit diesen die
Ninder“ anzuschauen, welche sich als Reiter auf dem Kameels⸗
ücken auszubilden suchen,“ war die mit Sicherheit im schoͤnsten
Zalonton gegebene Antwort des Sextaners. Dann legten sich die
»ändchen ineinander, die Kleine flötete: „Grüßen Sie herzjlichst
Ihte Frau Mama und sagen Sie ihr, daß es mich unendlich
reuen würde, sie in dein nächsten Tagen wiceder zu sehen, bitte,
mpfehlen Sie mich.“ Der junge Kavalier hatie während der
janzen Zeit den Hut in der Hand gehalten, verabschiedete sich jetzt
unter Dankesworten für den aufgetragenen Gruß höchst charmani,
ah sich noch einige Male ganz entzückt um und ich, als genauer
Beobachter dieses großen Fortschrittes unserer Zeit, dachte eigentlich,
vas soll aus diesen Püppchen wohl werden.
f Von der hessischen Grenze, 13. August. Gessern
ereignete sich hier ein hoͤchst betrübender Vorfall. Zwei Landwirthe
zeriethen nämlich dadurch in Sireit, daß der eine dem anderen an
dessen Acker zu viel abgeackert hatte. Der Beschädigte hatte den
Feldschüßen beigerufen, um die Grenzverletzung m Augenschein zu
nehmen und zu verfahren, wie Rechtens. In demselben Augenblid
fum der Thäter auch zur Stelle, und es enistand zwischen ihm und
)em Beschadigten ein heftiger Wortwechsel, welcher so weit führte,
daß der Schädiger einen Revolbver, den er in der Tasche verborgen
hatte, zog, auf den Beschädigten seuerte und denselben schwer in