Full text: St. Ingberter Anzeiger

p Mit dem 1. Oltober dieses Jahres wird sich das Knaben— 
institut zu Ingenheim, das lich während seines nunmehr zwölf⸗ 
jahrigen Befiehens eines weit über die Grenzen der Psalz reichenden 
geachteten Ruses zu erfreuen haue, mit sämmilichen Lehrern (Heirn 
farrer Brion ausgenommen) nach Frankenthal übersiedeln, um sich 
mit der dortigen Bertololy'schen Handelsschule zu vertinigen. Zu⸗ 
gleich wird sich die Anftalt zu einer Glursigen Real ˖ und Handels⸗ 
schule erweitern, sich dadurch den bayerischen Realschulen conform 
gestalten und sich in den Stand sitzen, dieselben Lehrziele zu er⸗ 
reichen, wie sie in diesen Schulen gesteckt sind. Vorstehee der neuen 
Ansiali sind die Herren A. Bertololy und J. u. V. Trautmann. 
Die eigentliche Direction jedoch übernimmt Herr J. Trautmann, der 
durch Wissen und Charakier, durch pädagogische Befähigung und 
methodische Erfahrungen eine sichere Garantie flie gediegent Leinungen 
und gesunde erziehliche Einwirkung bietet. Wir wünschen der neu 
organisirenden Schule bestes Gedeihen. (R. 3.) 
FOffenbach, 2. Sept. Seit acht Tagen hat man in 
unserer Feldmark mit der Tabakernte begonuen; — ein großer 
Theil derselben ist bereits unternm Dache — und sind die Pflanzer 
von dem Resultat derselben nuch Quantität und Qualität seht 
befriedigt. — Die Besitzer großerer Tabalschoppen hier und in der 
Umgegend haben ihre Ankäufe an grünen Blattern beinahe vollendet, 
alle Hände sind mit Einlesen beschäftigt — und Kinder und alte 
Leute erhallen hiedurch einen schönen Tagesverdienst, und bringen so 
rine Arbeitakraft zur Verwendung, die ohne diesen Bau nicht zur Ver⸗ 
werihung kommen würde. Fuür den Centner G0 Kilo) grüner 
Blaͤuer wird 2 M. 50 Pf. bis 2 M. 60 Pf. bezahlt, und von 
dem Tagwerk etzielie man (Sandblatt nicht mileingerechnet) 100 
bis 120 Ceniner Grüntabak. Im Hinblick auf die in unserer 
Bemeinde angebaute Fläche kann man jetzt schon die Ernte der ge⸗ 
stroctneten Blaͤtter auf circa 2800 Centner für hiesige Gemarkung 
annehmen, und da die Waace nach Feinheit und Größe der 
Blätter sich zu Dechblatt gut qualificiren dürfte, so darf man auch 
mit einiger Sicherheit auf einen guten Preis derselben rechnen, was 
um so mehr zu wünschen ist, als bei den schwachen Erträgniffen 
der andern Producte gerade der Erls aus Tabat dem Landwirthe 
die Zahlungsmitel verschaffen muß. Im Jahre 1877 wurde hier 
bielfach vom Tagwerk Tabak 500 -3570 Mark erldst und wenn 
man erwägt, daß der Kleinbauer größtentheils die erforderlichen 
Arbeiten mit seiner Familie und zum Theil in verlorenen Stunden 
selbst besorgt, so kann man gewiß annehmen, daß kein andere? 
Produkt im Stande ist, solches Resultat zu liefern. Der Tabals 
dau ist in land und volkswirthfchaftlicher Beziehung von der 
höchsten Bedeutung, und eine Vernichtung dieser Cultur würde den 
Werih unserer Guter um 30— 85 pCt. sinken machen. Die hiedurch 
entstehenden Nachtheile — in Rücksicht für die Fruchtfolge und 
die ausfallende Arbeitsverwerthung — lBanten gar nicht hoch genug 
angeschlagen werden. (Pf. 3.) 
F öin Gang über die Frankfurter Messe dietet, wi 
das „Fr. J.“ mittheilt, einen wahrhaft traurigen Anblick. Viele 
anawärtige Fabrikanten, deren Firmen seit Aufang dieses Jahr⸗ 
hunderts in erster Reihe prangten, sind nicht mehr erschienen, die 
Buden stehen reihenweise leer oder werden von Zehrpfennig⸗ Vazar⸗ 
eingenommen. Die stolze Bezeichnung „Frankfurter Messe“ ver⸗ 
dient das, was auf dem Roͤmerberg und dem Mainufer sich dar 
bietet, nicht mehr; es sieht aus wie ein bei einer Kirmes gehal⸗ 
tener Jahrmarlt. 
fMainz, 4. Sepibr. In unserer Stadt ist wieder fal⸗ 
schezs Geld und namintlich falsche Markstücke sehr stark in Circu⸗ 
saon. Ein in der Schustergasse wohnender Kaufmann hat am 
Sonntag nicht weniger als drei unächte Markfstücke, die der Poli— 
zei übermittelt wurden, vereinnahmt. Auch ein hiesiger Mesger⸗ 
meister hat in den letzten Tagen mit falschem Geld sehr unange⸗ 
nehme Ersfahrungen gemocht. Die unächten Stücke sind gut nach⸗ 
geahmt, fogar der Klang der Münze ist ganz vorzüglich. Des⸗ 
halb sehr große Vorsicht. 
jKarisruhe, 83. Sepibr. Ueber einen seltsamen tra⸗ 
zischen Vorgang, der sich letzten Sonntag früh auf dem hiesigen 
BZahnhof zuirug, habe ich bis jetzt noch nicht berichtet, weil ich erst 
die Klärung der anfänglich ziemlich verworrenen Sache abwarten 
wollte. Am Schalter der hiesigen Vahnhoflasse erschien zum Früh⸗ 
zug in's Ober!and der in einem h'esigen Geschäfte cond tionirendt 
adrige Commie A. Schneider aus Meuselwitz (Anhal) und töste 
eine Katte nach Singen (Seekreie). Ihm auf dem Fuße folgte 
der hiesige Schneidermeister Kühling mit einem Diensimann, um 
den Schneder wegen eines Guthabens zur Rede zu stellen. E8 
erhob sich ein Siteit, in dessen Verlauf Kühling mit dHilfe des 
Dienstmannes dem Schneider 60 Mt. baar entriß und wobei Letz⸗ 
terer von seühling einige Fußtritte erhielt. Die laͤrmende Gruppe 
trennte sich endlich, fast unmiltelbar darauf aber fand man den 
Schneider iodt am Boden liegend. Man nahm nun an, Schnei⸗ 
der sei in Folge der Tritie, die er von Kühling auf den Unterleib 
erhalten hatie, gestorben, die Leichenoöffnung ergab jedoch, daß sich 
Schneider vergistei hatie. Kühling, der sofott verhaftet worden 
war, jetzt aber wieder auf freien Fuß gesetzt ist, will auch gesehen 
haben, daß Schneider nach Beendigung des Streites ein Flaschchen 
herausgezogen und ausgetrunken habe. Es scheint also, das Schnei 
der die Moͤglichkeit des Ueberfalls voraussah und für diesen Fall 
den schreckl'chen Entschluß faßte. Der Unglückliche soll einer ange— 
iehenen Familie angehören und hat von feinem Princ pal ein gules 
Zeugniß. Gestern Abend wurde er begraben. 
'Asln. 2. Septbr. Von befreundeter Seite geht der 
„e. 3.“ eine, in wissenschaftlicher Beziehung interessante Gabe zu 
— ein Küchlein mit vier volllonmen ausgebildeten Be'nen. Der 
Besitzer schälte dasselbe aus einem Ei, das allein von der Bru 
iegen geblieben war. Leider war das Thierchen todt, muß aber 
»utze Zeit vorher noch gelebt haben. Das sonst ganz normal ent 
videlte Küchlein zeigt sehr verrümmerie Flügelflummel, unter denen 
zwei kräftige Vorderbeine (dieser Ausdruck ist wohl gestattet) her. 
borgewachsen sind, die an Stärle den Hinterbeinen nichts nach 
zeben. Bei den Säugeihieren kommen solche Monstrositäten, wenn 
zuch selten, fo doch rilativ häufig vor, bei den Vögeln findet man 
uweiien Doppelbildungen, die einem zweidotterigen Ei wahrschein⸗ 
iich ihre Enistehung verdanken. Eine Umwandlung der Exiremi⸗ 
aien aber, wie sie dier vorliegt, gehört unseres Wissens zu der 
aroͤßten Seltenheiten. 
7 Bei der am 1. Seipibr. in QCürenz abgehaltenen Kirmeß 
ürgte, wie die „S.⸗ und M.⸗Ztg.“ berichtet, in einem Tanzzelie 
vährend des Tanzes ein Schlosserletrling plötzlich zusammen und 
gab seinen Geist auf; der Schlag hatte ihn gerührt. Bald nach 
Jem wiederholte sich ein ähnlicher Fall mit einem tanzenden Hu 
'aren, doch nicht mit tödtlichem Ausgange, denn bald nachher er 
holte sich derselbe, um — weiter zu tanzen. r 
4 Bei der im August in Leipzig stattgefundenen Bäcker⸗ 
und Conditorwaaren-Ausstellung für Deutschland wurde auch ein 
Psfälzer, Hr. Holzgrefe von Zweibrücken, mit einem zweiten 
Preis, einer Medaille, ausgezeichnet. 
FBerlin. Schulze⸗Delitzsch war an seinem fiebzigsten 
Behburistage munterer und wohler, als man dies erwarietet hatte. 
Fr war, der „Voss. Z.“ zufoige, sogar im Stande das Zimmer 
zu verlassen und konnie mit einigen seiner intimsten Freunde, dit 
hn an diesem Tage besuchten, im Garten spazieren gehen. Zabl- 
eiche Beglücwünschungen und Geschenke sind bdei dem greisen 
Volkäsmann und dem Anwalt der deutschen Genossenschaften an 
diesem Taqe eingegangen; zu erwähnen ist u. A. eine reich ausge⸗ 
qaitete Adresse von dem Aufsichtsrath der „Deutschen Genoffen⸗ 
chafisbank Sörgel, Paitrisius u. Co.“ in Lerlin und ein Geschen! 
von zweihundert Fiaschen des ekelsten Rheinweins, den Aufsichts— 
rathsmitglieder dieser Bank prwatim Herrn Schulze dedizirten. Aud 
ein Genossenschaftsverband aus dem Rheingau hatte ein Stüd 
delsten Rheinweins nach Potsdam gesendet. Sehr zahlreiche 
Beglückwünschungen und andere Geschenke waren aus allen Gegendin 
Deutschlandz zu der Geburtstagsfeier in Potsdam eingetroffen. 
'Zur Arbeitslosigkeit. Am Mittwoch in der Nit— 
agssiunde gegen 13 Uhr schritt ploͤßlich ein junger Mann auf daß 
Iroße Schaufenster des Hoflleferanten für Lederwaaren, Ackermann 
in der Königsstraße in Berlin, zu, und stieß kraftigst mit dem Ab⸗ 
iatz seines Stiefels in dasseibe, so daß jenes in viele Stücke zen 
puͤttert wurde. Der junge Mann ließ sich ruhig festnehmen und 
eitlärte, daß er der oddachlose Handlungsgehilfe J. B. sei, sei 
Monaten vergeblich Arbeint suche und er dieses Leben, da er niqt 
wisse, wovon er sich ernähren solle, nicht laͤnger ertragen kbönne, 
deshals habe er, um Obdach im Gefängniß zu finden, die Scheibt 
zertrümmert. 
fHannover, 28. Aug. Der Vereinstag der deulfchen 
Vegetarianer oder des „Vereins für naturgemäße Lebensweise“ hal 
mnden Tagen des 23., 24. und 285. August hieroris Siall ge— 
unden. Einer Vorversammlung am 23., welche zur Anknüpfung 
»der Erneuerung der persönlichen Bekannischaften diente, folgte am 
24. die geschäfmiche Sihung, welche die Anwesenheit von etwa 40 
ardentlichen Mitgliedern und mehreren Theilnehmern ergab. Ver 
reten waren außer den näheren Orten Berlin, ODresden, Frankfurt, 
stordhausen, Halle, Spandau ꝛc., aus Süddeutschland war Nie 
nand erjchienen, weil der füddeutsche Verein erst kürzlich zu Stun⸗ 
gart eine Haupiversammlung gehalten hat. Berichtet wurde uüber 
Fie dishetigen Erfolge und berathen über die besten Mittel de 
Agitation. — Daran schloß sich ein vegetarianisches Diner, ann wil⸗ 
hem eiwa 100 Personen Theil nahmen. Dasselbe mundete auch 
jen sonst an Flerschspeisen gewöhnten Gästen so gut, doß die we 
igsten nur nach Wein verlangten, der für sie zur Verfügung fland, 
ndern bei dem milderen Himbeerwasser blieben. Ecnfie und 
ange Reden von beiden Seiten, das Bescheidthun mit Himbeet 
vasser und der Scherz, statt des Bratens einen großen Pumben 
ackel aufzutragen, ließen die Tafelrunde ebenso animirt erscheinen, 
as sonstige Festiafeln mit Braten und Wein. Das Wenu, vor 
Zünftlerhand entworfen, war unter das fünfte Gebot gestellt, „d 
ollst nicht tödten“, und von Genien, die Fruchtldibe tragen, zun 
Petanschaulichung des Prinzips flankirt.