Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
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M 166.— Sauruustag, den 109. Oktober 1878. 
Deutsches Reichßh. 
„Munchen, 16. Okt. EEinführungsgesetz.) Mit Rücksicht 
zuf den Reichstag ist die Einberusung des Gesetzgebungsansschusses 
inserer Kammern einige Wochen später erfolgt, als dies beabsichtigt 
var; demungeachtet aber wird in Folge der nicht erwarteten langen 
Dauer der dermaligen Reichstaasseffion der Veginn der Berathungen 
des Ausschusses der Kammer der Abgeordneten, der in den ersten 
Tagen der fommenden Woche erfolgen soll, noch weiter verzögert 
verden, da fünf Mitglieder desselben, die Herren Hauck, Krätzer, 
Dtarqiiardsen, Theod. Mayer und Volt Mitglieder bes Reichstages 
ind und deshalb nicht vor den leßten Tagen dieses Monats werden 
zier eintreffen können. Zu den dem Ausschusse zur Berathung vor⸗ 
iegenden Gesetzentwürfen sind von den Abgtordneten Haua, Theod. 
Mayer und Horn eine sehr große Anzahl von Mod filationsanträgen 
nereits eingereit und dieselben autographirt an die Ausschußmet⸗ 
zlieder und die Regierungsvertreter bereits bertheilt worden. 
Berlin, 14. Okt. In diplomatischen Kreisen glaubt man 
aicht, daß die austro türkische Affaire weilere Berwicklungen bringen 
derde; dagegen wird der türkisch-griech'sche Krieg für undermeidlich 
zehalfen und glaubt man, die gricchische Kriegserklärung werde 
angstens nach Verlauf von acht Tagen erfolgen. (N. Fr. Pr.) 
Berlun, 15. Okt. Die Tabak: Snquete⸗Commissson ist auf 
den 4. November einberusfen. 
Berlin, 16. Olt. In der heutigen Reichstagssizung 
tam zunächst 8 20 des Sozialistengesetzes (Bestimmungen über den 
ogenannten kleinen Belagerungszustand) zur Beralhung. Bei der 
Adstimmung wurde ein Amendement Ackermann's wonach hbei jeder 
Befahr (nicht vur bei unmittelbarer) die betreffenden Ausnahme— 
naßregeln eintreten sollen, angenommen, ebenso ein Amendement 
Uckermann's, wonach anch aus dem Wohnorie die Ausweisung zu⸗ 
ässig ist, und ferner auch das lehke Amendement Aceermann's, betr. 
rie Bekanutmachung durch den „Reichsauzeiger.“ Schließlich wurde 
z20 mit den Anträgen Ackermaun's niit großer Majorizät ange⸗ 
rommen (dagegen ftimmten die Fortschrittspartei, das Zentrum, 
ne Sozialdemokraten und von den Nadionalliberalen: Lasker, 
Schlieper, Braun, Thilenius und Schröder [Friedberg)). 
Z 21 wurde nach unerhedlicher Debatte angenommen. 
Zu 8 22 (Zeildauer des Gesttzeß) befürwortete Lucius den 
Aatrag v. Schmid auf Ausdehnung der Geltungsdauer dis zum 
31. März 1883. Windthorst kündigte an, er werde für den KLom⸗ 
niffionsantrag stimmen, damit die möglichst kürzeste Dauer eintrete, 
edoch würden er und seine Freunde gigen das Ganze stimmen. 
Bracke (Soz.⸗Dem.) sprach gegen den Paragraphen; Redner, der 
diederholt von dem Gegenstande der Diskussion abschweifte, so daß 
x mehrmals zur Ordnung gerufen wurde, führte aus, das Gesetz 
wverde wirkungslos bleiben. Kiefer trat für den Kommissionsantrag 
(Ah Jahre) ein, um dem gegenwärtigen Reichstage die Moöglichteit 
der Revision zu geben. Bei der Abstimmung wurde das Amen⸗ 
dement Lucsus⸗Schmid mit großer. Majorität abgelehnt, ebenso 
jasjenige Ackermann's (jede Dauerbestimmung wegzulassen) und schließ— 
iich der Prragraph in der Kommissionsfassaug (Geltung bis 31. 
MNärz 1881) angenommen. — 
Am Freitag soll die dritle Lesung des Gesetzes folgen. 
Soeben hat jn Dresden der zweite Deutsche Arbeitercon⸗ 
zreß getagt. Der Cougreß bezweckt die Zusammenfassung aller 
antisozialistischen Elemente zur praltischen Arbeit an der Lösung der 
ecialen Ftage. Man kann nicht leugnen, daß dies Unternehmen 
Anfangs nicht eine seht günstige Aufnahme gefunden hat, da der 
sName Dessen, von weichem die erste Anregung ausging, Dr. Max 
dirsch, ihm eine einsettig fortschrittliche Tendenz zu geben schien. 
In dieser Beziehung hat indeß die jüngste Zeit eine erfreuliche 
dlärung gebracht. Die neueste Nummer der „sozialen Frage“, des 
Longresseß, schließt einen Artikel, in welchem die Stellung des 
Fongtesses zu den politischen Strömungen beleuchtet wird, mit den 
Worten: „Wir weisen entschieden den Vorwurf zurück, als ob wir 
anseitig einer politischen liberalen Parteirichliung huldigten. Wir 
sind weder fortschrittlich noch nationalliberal, aber wir sind liberal; 
vir sind auch nicht prononcirt politisch, aber wir stehen zu der Minung, 
yaßz das politische Leben von dem wirthschaftlichen und socialen 
ucht zu trennen ist. Die Gegenwart gibt uns zum Theil Recht, 
ie Zukunft wird dies ganz thun.“ Daß jener Vorwurf der Ein— 
eitigkeit ucht berechtigt ist, zeigte denn auch die Physiognomie des 
iesmaligen Congrefses. An demselbhen nahmen z. B. neben dem 
ortschrittlichen Reichstagsabg. Müller⸗Gotha der nalionalliberale 
teichstagsabe. Rickert und der nationalliberale sächsische Landtags⸗ 
ibg. Roth theil. Dem Arbeitercongreß sind bis jetzt beigetreten 
IJs Vereine (mit 65 000 Miigliedern) und 825 persönliche Mit— 
slieder. Unter den 94 Vereinen befinden sich 10 fortschrittliche, 11 
iationalliberale Reichs und Wahlvereine, eine Anzahl von Gewerks 
ereinen, Gewerbevereinen u. s. w. Nach diesen glüdlichen Anfängen 
st gewiß die Hoffnung berechtigt, daß der Arbeitercongreß, wenn 
x sich von speciell politischen Vestrebungen fernhält und lediglich 
ie praltische Lösung seiner socialpolitischen Aufgaben ins Auge 
aßt, ein werthvoller Facior im Kampfe gegen die Socialdemokratie 
ind zur Wiederherstellung gesunder Zustände werden wird. 
Mälhausen i. E., 15. Ott. Zur Charabteristik des 
derrn Sonnemann schreibt man von hier Folgendes: „Die ein⸗ 
ige deutsche Zeitung, welche hier von den der extremsten französisch- 
epublikanischen Rchtung angehörigen Vertretern der hohen Industrie 
jehalten wird, ist das Sonnemann'sche Blatt. Vor drei Jahren 
jatten die Ober-Elsässer Industriellen hierselbst eine großartige 
lusftellung ihrer Erzeugnefse in den Räumen der Société- In- 
ustrielle vecanstaltet. Eine ganze Reihe von Festlichkeiten war 
ei dieser Melegenheit ins Werk gesetzt, zu welchem die bedeutend⸗ 
en Industriellen, Literaten und fachwissenschaftlichen Berühmt— 
eiten Frankreichs, Elsaß⸗Loihringens und der Schweiz Einladungen 
rhalten hatten. Es war jedoch weder der Herr Ober Prasident 
. Moeller, noch irgend ein anderer Beamter des Reichslandes, 
ioch überhaupt irgend ein Deutscher eingeladen, mit einziger Aus— 
ahme des Herrn Sonnemann, welchet unter den Ehrengästen bei 
iesem im höchsten Grade demonstraliv fran ösischen Feste einen 
servorragenden Platz einnahm.“ 
Ausland. J 
Paris, 14. Olt. In Sachen des Pariser Arbeiterkon⸗ 
sresses werden 39 Personen auf den 22. d. M. vor das Zucht⸗ 
yolizeigericht befchieden; die Anklage lautet dahin, daß diese 894 
Personen seit dtei Jahren in Paris einer nicht gestattesen Gesellschaft 
yon mehr als 20 Personen angehören. (K. 3. 
In einem in Paris statigehabten Duelledes Redakteurs 
»es „Pays“, Rogat. mit einem Redakteur des Eodenement“ wurde 
detzterer am Arme schwer verwundet. 
Die franzdsischen Ergänzungswahlen zum Senat stehen be— 
anntlich unmittelbar nach Neujahr bebor. Bei der jetzigen Sird— 
nung und bei den am Ruder befindlichen Personen können die— 
zlben kaum auders als zu Ungunsten der Monarchisten ausfollen. 
Ddieselben haben allerdings zur Zeit noch im Senat die Mehrheit 
ind fuchen daher die durch Todesfall erledigten Sitze nach ihrem 
veschmacke zu besetzen. Durch den Tod Dupanloup's ist ein lebens⸗ 
aͤnglicher Senatssitz frei geworden und die Bonapartisten, Legiti⸗ 
nisten und Orleanisten wollen an seiner Stelle den Erzbischof von 
Zaris, Kardinal Guibert, zum lebenslänglichen Senotor wählen. 
der Senat hat außerdem noch einen lebenslänglichen Plaß zu der⸗ 
eben, den des Generals Charreton, welcher der Linken angehörte. 
Im diesen bewirbt sich Graf Daru, welcher zwischen Bonapartis- 
nus und Orleanismus schillert. Auch er dürste sich noch im Se⸗ 
at einen lebenslaäͤnglichen Sitz erwerben, so lange die gegenwärtige 
Nojorität noch vorhanden ist. Was die Republikaner betrifft, so 
at die letzte Rede Gambetta's in Grenobie selbst bei den Be— 
vunderern desselben entfernt nicht haßs Glück gemacht wie die von 
5t. Romans. Man findet, daß diese Phrasen bon der „demolra⸗ 
ischen“? Republik, Zivilisation und Forischritt doch allmählig etwas 
intönig werden und auf die Dauer eine schaale und underdauliche 
dahrung bieten. 
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