Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. —A Anzeiger. 
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Der St. Jugberter Anzeiger und das (2 muĩ woͤchentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblait, (Sonntags mit illustrirter Bei— 
lage) erscheint wöchentlich viermal: Dieunstag, Donnerstag, Samstag und Sonatag. Der Abonnementspreis beträgt vierteljährlich 
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As 169. Samstag, den 26. Oktober 1878. 
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Deutsches Reich. 
München, 21. Oct. Der Gesetzgebungsausschuß der Ab⸗ 
geordnetenkammer dat bereits heute Mittaß eine, jedoch nur kurze 
Sitzung gehalten, um sich über die geschäftliche Behandlung der 
ibm vorgelegten vier Gesttzentwürfe schlüfsig zu machen. Die 
Mimister des Inneren und der Justiz haben der Sitzung beigewohnt, 
zu welcher mit Ausnahme der Abgg. Horn, Dr. Frankenburger 
und Marquatdsen sämoitliche Ausschußm'tglieder erschienen waren. 
Mit Rücksicht auf die Herren, welche an den Verhandlungen der 
eben erst beendeben Session des Reichstages Theil nahmen, hat 
der Ausschuß beschlossen, mit seinen Sitzungen eirst nächsten Montag 
zu beginnen, und es wird dann zuerst der Entwurf der Sub⸗ 
hastationsordnung zur Berathung gelangen. 
Berlin, 22. Okt. In der gestrigen Bundesruthssitzung 
hat Reuß ältere Lin'e gegen das Sozialisten-Gesetz gestimmt. — 
Die Besetzung der Häfen der Insel Upolu (Schifferinseln) durch 
die Besatzung der Korbette „Ariadne“ ist erfolgt, um die dortige 
Regierung zur Erfüllung ihrer vertragsmäßigen Verpflichtung, 
Deutschland das Recht der meistbegünstigten Nationen einzuräumen, 
zu zwingen und gleichzeitig einer Besetzung der Insel Seitens 
Nordamerika's zuvorzukommen. — Dem Vernehmen nach steht der 
Abschluß eines Kontrakts mit einem engleschen Ingenieur wegen 
Hebung des „Grohen Kurfürst“ bevor. (A. Z.) 
Der „Reichsanzeiger“ erklärt die Meldung mehrerer Blätter 
von Vergleichsverhandlungen der preußischen Regierung mit den 
Agnaten der Nebenlinien des früheten hessischen Kurhauses über 
das sogenannte kurfürstliche Hausfideikommiß für unbegründet. Seil 
der Abfindung der kurfürstlichen Familie im Einverständniß mit 
deren gegenwärtigem Haupte, dem Vertreter der älteren Linie, 
durqh den Vertrag von 1873 habe für die Regierung zu weiteren 
Verhandlungen mit den jüngeren Nebenlinien keine Beranlassung 
vorgelegen. Auch hätten solche nach der Einleitung des von lietz⸗ 
jeren angestrengten Prozesses nicht stattgefunden. 
Berlin, 23. Olt. In einem Artikel, überschrieben „Die 
Annahme des Socialistengesetzes“, weist die offic ose „Prov. Corresp.“ 
auf das vertrauensvolle Zusammenwirlen der staatserhaltenden 
Mehrheit des Neichstages mit der Regierung hin, wodurch ein 
neues, feste? Band für alle staatserhaltenden Parteien auch zu 
weiterer fruchtbringender Thätigkeit gewonnen worden sei. Allseitig 
sei klat erkannt und offen ausgesprochen worden, daß das neue Ge⸗ 
setz vor Allem den Boden wieder frei machen solle für eine segen⸗ 
bringende positive Thätigkeit auf dem Gebiete der Volkswirthschaft 
und ernster Fürsorge des Staates für alle berechtgten und be— 
sonnenen socialen Bestrebungen. Möge die Wirkung des Gesetzes 
sich bald so ersolgreich bewähren, daß diese ernsten Bestrebungen 
wieder allseitig günstigen Boden in unserem Volke finden. 
Berlhin, 23. Ock. Das hiesige Polizeipräsidium hat aus 
Grund des Social'ftengesetzes sofort vier hiesige Vereine aufgelöst, 
nämlich: den „Verenn zur Wahrung der Intetessen der werkthätigen 
Bevölkerung Berlins“, den „Verein füt communale Angelegenheiten 
des Nordostdstrietss, den „Deutschen Tabakarbeiterverein“ und den 
.Verband der deuischen Schmieden. — Der „Reichsanzeiger“ 
publicitt ferner eine Bekanntwachung des hiesigen Polizeipräsidiums, 
wonach auf Grund des 8 11 des Socialiftengesetzes 84 namentlich 
aufgefühnte nichtperiodische, seit 1872 erschienene Drudschriften ver⸗ 
deten werden. Davon sind 16 in Berlin, 9 in Zürich, 3 in 
Brüssel, 2 in Chicazo, 1 in Bern, 1 in Paris, 1 in Pest und 1 
ohne Angabe des Erscheinungkortes herausgekommen. 
Das deutsche Sozialistengesetz wirft bereits seine Schalten bis 
nach Rußland. In Petersburg ist dem bedeutendsten Blatte, dem 
„Golos“, der Straßenverkauf entzogen worden, und zwar erfolgte 
das Verbot anläßlich eines von demselben gebrachten Artikels über 
das deutsche Sozialistengesetz. Soweit uns die Haltung des genannten 
russischen Organs bekannt ist, gehört dasselbe keineswegs zu den⸗ 
jenigen, welche auf eine Untergrabung oder den Umsturz der bisherigen 
Gesellschaft hinardeiten, sondern pflegt in der gemäßigsten Weise für 
die liberalen Ideen Propaganda zu machen. 
Nach 8 119 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes werden 
die Oberlandesgerichte mit einem Praͤsidenten und der erforderlichen 
Anzabl von Senatépräsidenten (für die zu bildenden Civile und 
——A dreizehn für Preußen be⸗ 
stimmten Oberkandesgerichtsbezirke einen sehr verschiedenen Umfang 
baben und dem Berliner Obergerichte außerdem noch bestimmte 
Obtiegenheiten vorbehalten sind, so laun es nicht Wunder nehmen, 
daß die Zahl der zum Kollegium berufenen Richter sehr stark variiren 
vird. Nach dem Plane des Justiz inisters soll das Oberlandes. 
rericht zu Berlin mit 50 Räthen besetzt werden (außer den nöthigen 
Senatspräsidenten), Breslau mit 28. Hamm und Koöln mit je 25 
und dann so weiler herunter bis zu den kleinsten Gerichten Kiel 
und Kassel, die nur aus je einem Präsidenten, einem Vizepräfidenten 
und 8 Räthen bestehen werden. Das Berliner Odertribunal, das 
am 1. Oktober J. J. eingehen wird, zählt einen Chef⸗Prüsidenten, 
dessen Stelle allerdings augenblicklich nicht beseßt ist, 6 Vizepräsidenten 
und 62 Räthe. 
Ausland. 
Paris, 28. Okt. Trotz des ungünstigen Wetters war das 
gestrige Fe in Versailles sehr großartig. Die hier weilenden Fürsten 
ind Botschafter, unter ihnen Fürfi Hohenlohe. waren sämmilich an—⸗ 
wesend. — Das „Journal des Debats“ despricht in einem Artikel 
die russischen Finanzen sehr günstig. — Die parlamentarische Unter— 
juchungskommision über d'e Wahlen vom 14. Ott. bereuet eben 
hren Bericht über die Wahl des Duc Decqzes vor. Nach rehu⸗ 
blikanischen Bläitern wird es bei dieser Gelegenheit an hochikanda⸗ 
losen Enthüllungen nicht fehlen. 
Dit Russen setzen allem Anschein nach ihren Vormarsch 
auf Konstantinopel in aller Stille fort. Dem Vernehmen nach hat 
der russische Botschafter, Fürst Lobanoff, dem Großvezier wiederholt 
zu erkennen gegeben, daß die russischen Truppen ihre gegeuwärligen 
Positionen nicht verlassen würden, bebor nicht für die christlichen 
Flüchtlinge, welche dem russischen Heere folgen, genügende Vorsotge 
getroffen sei. Ebenso soll der Botschafter dem Großdenier gegenüber 
viederholt haben, die russichen Truppen würden dor Unterzeichnung 
eines definitiven Abkommens mit der Pforte ihren Rückzug über 
Adrianepel hinaus nicht fortsetzen. Eingegangene Meldungen fig⸗ 
aalisicen vielmehr eine algemeine Bewegung der rufsischen Truppen 
in füdlicher Richtung ..... das heißt auf Konstant:nopel zu. 
Wie man in England bisher die Angelegenheit betrachtete, dolu— 
mentirt wohl am besten die allerneuefie Rede, welche der britiiche, 
„Sprechminister“ und Schazkanzler Northcote in Wolverhampton 
gehalten hat. Baronet Notthcote meinte, Fer könne ni cht sagen, 
»aß man ficher sei, keine Erneuerung der Kriegsausichten zu haben, 
die als beseitigt angesehen worden seien. Die Frage sei, ob die 
in dem Berliner Vertrag getroffenen Abmochungen auch würden ausgeführt 
Dderden und man könne nicht verkennen, daß gegendie Ausführung gewisser 
Theile des Vertrages Schwierigkeiten erhoben würden. Er wünsche, 
es möze din Unterzeichnern des Vertrages und vor Allem dem 
Sultan die Wichtigkeit in dem Maße einleuchten, daß dieselben keine 
Bernichtung des großen Werkes des Berliner Vertrages gestatteten.“ 
Die Vorlommnisse in Afghanistan lassen eß dem britischen Schatz⸗ 
'anzler ersichtlich gerathener erscheinen, nur auf den Sultan zu 
schlagen, wührend er den Russen meint. 
Gesetb 
gegen 
die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie. 
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig von 
Preußen ꝛc. 
verordnen im Namen des Reiches nach erfolgier Zustimmung des 
Bundesraths und des Reichstages, was folgt: 
8.1. Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder kom⸗ 
munistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Slaais oder Gesell⸗ 
chaftsordnung bezwedken, sind zu verbieten. 
Daffelbe gilt von Vereinen, in welchen sozialdemokratische, sozialistische 
»der kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesell 
chaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, 
nsbefondere die Eintracht der Bevolkerungsklaffen gefahrdenden Weise u 
Tage treten. 
Den Vereinen siehen gleich Berbindungen ieder Art