Full text: St. Ingberter Anzeiger

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der arbeitenden Classen verloren gegangen ist. Die Edhre verpflichtet 
— nohlesse oblige —, und sie verpflichtet das ehrbare Gewerbe, 
für die entsprechende Ausbildung der Lehrlinge und Gesellen zu 
sorgen. Erst wenn der Kaufmannsstand auch für fich die Standes⸗ 
ehre wieder lebendig zu machen bestrebt ist, wird der rückgängigen 
Bildung im Kaufmannsstande mit Erfolg gesteuert werden können. 
Berlin, 20. Nov. Die „Prov. Korresp.“ schreibt bei Be⸗ 
sprechung des gegen König Humbert gerichteten Attentates: Immer 
mehr gelangt im allgemeinen Bewußtsein die Thatsache zur Geltung, 
daß ein Netz geheimer revolutionärer Verbindungen über ganz Euro⸗ 
pa ausgebreitet ist, deren unseliges Wirken die höchsten Güter und 
Heiligthümer aller geordneten Staaten mit den dringendsten Gefah—⸗ 
ren uümgibt. Immer mehr muß unter solchen Eindrücken die Ueber⸗ 
zeugung erstarken, daß nur ein klar bewußtes und festes Zusammen⸗ 
wirken aller Kräfte, die auf dem Boden der jetzigen Gesellschafts⸗ 
ordnung stehen, mit stacken, entschlossenen Regierungen dem weileren 
Umsichgreifen des Uebels vorbeugen kann. 
Berlin, 20. Nov. Das Abgeordnekenhaus wählte in 
der gestrigen Sitzung sein früheres Präsidium wieder. Finanzmi⸗ 
nister Hobrecht legte sodanun den Staatshaushaltse!at für 1878,79 
vor, der mit einem Deficit von 73,750,000 M. abschließt. Der 
Minister hofft, das Deficit werde eine vorübergehende Erscheinung 
sein; zu rechnen sei auf eine Erhöhung der Einnahmen aus Forsten, 
indirekten Steuern, directen Steuern, Eisenbahnverwaltung. D'ese 
Anxahmen hängen von der Steigerung des Gesammtwohlstandes ab; 
eine dauernde Beseitigung des Deficits fordere einen Stillstand, 
eine Beschränkung der Ausgaben. Redner erinnert an die ähnliche 
Finanzlage des Jahres 1868/69, an das damals erschienene Pro— 
memoria der Finanzverwaltung. Seitdem sei eine große Reihe 
bon Steuern und Lasten durch günstige Verhältnisse aufgehoben, und 
damit ein Ausfall von 35 Millionen Mark jährlich an Einnahmen 
entstanden. Man habe versucht, Ausfälle durch Vermehrung der 
Reichseinnahmen zu ersetzen. Dieses Ziel müsse auch ferner festge⸗ 
halten werden, wenn man zu geordneten Finanzverhältnissen kommen 
und, was geboten sei, die Communalsteuerderhältnisse reformiren 
und anderen Finanzbedürfnissen, wie sie das Unteriichtsgesetz er⸗ 
he sche, Rechnung tragen wolle. Für den nächsten Elat sei eine 
besondere Aushülfe zur Ausgleichung durch eine Anleihe möglich ge⸗ 
wesen. 
Ein Arsikel der „Prov.-Kortespondenz“ bespricht die neuesten 
bedeutendsten Kundgebungen betreffs Durchführung des Berliner 
Friedensvertrages, insbesondere die Banket-Rede Begconsfields, die 
Antwort des Kaisers von Oesterreich auf die Ansprache beim Em— 
pfang der österreichischen Delegation, die Erklärungen der russischen 
Regierung und Frankreichs Bemühungen, die Pforte zur ernsten 
Durchsührung des Berliner Vertrages und zur griechischen Grenz— 
regulirung zu bestimmen; der Arnikel schließt mit den Worten: So 
ist denn in diesem Augenblicke die Heffnung neu befestigt, daß die 
Durchsührung des Berliner Friedenswerkes trotz aller Schwieriq— 
keiten sicher vorschreiten werde. 
Mainz, 20. Novbr. Seit Einführung des Reichsgesetzes 
gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Soci:oldemokrati sind 
bis jetzt im Großherzogthum Hessen 24 Vereine socialdemokratischet 
Tendenz polizeilich verboten worden; 5 in Darmstadt, 6 in Gießen, 
5 in Offenbach und 3 in Worms, die übrigen zumeist im Kreise 
Offenbach. Die socialdemokrauschen Vereine und Gewerkschaften 
hiefiger Stadt haiten sich schon vor Erlaß des Gesetzes aufgeröst; 
vorläufij siad hier nur die Bücher und Cassen verschiedener gewerls— 
genossenschaftlicher Krankenvereine mit Beschlaz belegt, doch ist in 
Betreff der Auflösung dieser Krankenvereine von der Regierung noch 
nichts entschieden worden. 
Ausland. 
Am 17. Nov. rückte das Regiment Mollinary, aus Bosnien 
zurüdkommeud, wieder in Wien ein. Tas „Fremdenblatt“ sagt: 
Weder die Ankunft der Truppen aus Schleswig-Holstein noch das 
Wiedersehen der Nordpolfahret hat einen so gewaltigen Sturtm von 
Enthusiasmus, solche bewegte Scenen, in denen der patriotische 
Geist der Wiener Bevölkerung zum Durchbruche gelangte, erzeugt. 
Man muß Auygen- und Ohrenjeuge dieses betäubenden Jubels, die— 
ser sürm schen Ovationen gewesen sein, um eine Vorstellung des 
großartigen Straßenbildes zu haben, welches Wien von 12 Uhr 
Yit!azs bis 5 Uhr Nachmittazs bot. 
London, 21. Nob. Der Emir von Afganistan ließ das 
englische Ultimatum (dessen Termin mit dem 20. Nov. ablies) un— 
beantwortet. In Folge Dessen beichloß gestern das englische Ka⸗ 
binet, nach Indien den Befehl zum Vorrücken zu telegraphiren. 
„Times“ glaubt, die ersten Operationen würden in Besetßung des 
Kihyber⸗ und Kurumpasses und im Vorrücken von Quetta aus be—⸗ 
stehen. Heute findet wiederum Kabineisrath Statt. 
— 
rKusel, 19. Nop. (Kus. Zig.) Dem um die Mitlags— 
jeit zwischen Landstuhl und Kusel verkehrenden sog. Steinzug wird 
pon jetzt ad ein Personenwagen dritter Klasse angehängt. Dieser 
Zug geht (nur Dienstags, Mittwochs, Donnerstags und Freitage) 
»on Landstuhl ab nach 11 Uhr (nmach Eintreffen des Schnellzugs), 
rifft 1IU. 7 M. in Kufel ein, geht von hier zurück um 2 Uhr 
und gelangt nach Landstuhl um 4 Uhr, was besonders für den 
Anschluß in der Richtung nach Homburg von Wichtigkeit ist. 
— 7Kaiserslautern, 20. Nov. Die Verhandlung 
der von Frhrn. v. Gienanth gegen das freisprechende Urtheil des 
h'iesigen Polizeigerichts in seiner Beleidigungsklage gegen Dr. David 
eingelegten Berufung wird am 17. December Vormittags vor dem 
hiesigen Zuchtpolizeigerichze stattfinden. Frhr. v. Gienanth w'rd 
die rbei ducch Anwall Gebhart aus Zweibrücken, Dr. David durch 
Unwalt Frenckel von hier vertreten wirden. 
Vom Haarditgeberg, 19. Nov. Uasere neuen Weine haben 
sich seit dem Herbst in so günstiger Weise entwickelt, daß man mit 
Recht annehmen kann, sie werden in der Qualität zwischen die 75er 
uind 76er zu stehen kommen. Sie sind durchschnittlich rein von 
veschmack und lassen keine Spur der feindlichen Einflüsse von Trauben⸗ 
rranukheit und Fäulniß erlennen, eine natürliche Folze der Sorgsalt, 
velche man allenthalben auf die Lese verwendete. Leider herrscht 
iber im Abdsatze rein vollkommener Stillstand und infolge desfsen 
eine allzemeine Verstimmung unter den Producenten, welche noch 
gesteigert wird durch die Wahrnehmung, daß die Weinfabrilation 
n großen Städten außerhald des Weingebietes ungescheut und un 
esteuert getrieben wird. Daß Behörden und Regierungen hierge⸗ 
jen nichts vermögen sollen, ist wunderdar und schwer zu begreifen 
Bott besser's! (Sp. 3.) 
fGrünstadt, 21. Nod. Am Eamftag Abend ist in 
Tarlsberg der zehnzährige Sohn des Ludwig Peiri in seinem Bette 
perbrannt. 
Speier, 20. Nod. Von den 28 Candidaten, die sich 
am 11. Nov. der Aufnahmeprüfung für Pestamtsgehülfen unterzo⸗ 
jen, haben 25 diese Prüfung bestanden, 3 find durchgefallen. 
F Würzburg, 19. Novbr. Gestern wurde dahier ein hoch— 
geachteter Officier, der Hauptmann a. D. Carl Schmidt, zur Erde 
hestallet, welcher seit den Jahre 1870 an einer Gehirnerschütter⸗ 
uing litt, die er sich vor Paris bei Recognoszirung des Feindes 
zurch einen Sturz von einer Mauer zugezogen hatte. Eine Com⸗ 
»agnie des 9. Infanterieregimenis eröffnete unter Vorautreiung der 
Regimentsmasik den Zug, an welchem sich dre Benecalität und das 
Officierkorps fast vollzählig betheiligte. 
FS. Johann, 20. Rev. Von dem Polizeigericht wurde 
heute ein hiesiger Metzger wegen „Bindemittelzusat“ zu der von 
hym fabrizirten und verkauften Wurst zu 60 Vik. Geldbuße verur⸗ 
heile?. Erschwerender Umstand für den Mätzzer, welchen sein 
eigener Geselle der Behörde denuncitt halte, war, daß er wegen 
zleicher Uedertretung bereits früher don demselben Gericht bestraft 
vurde. — In derselben Sitzung wurde ferner ein Kaufmann 
vegen Verkaufs trichinösen ameritanischen Schweinefleisches in 20 
M. Geldhuße genommen. 
Metz, 19. Nob. Die Wölfe machen sich in unserer Um— 
gegend immer mehr bemierklich. Am Sonntag gegen Abend als 
der in der Champétraße hiecselbst wohnhafte Muchhändler Colin 
mit seinem Geschire den Wald von Colombey bei Borny, höchstens 
eine Stunde von der Stadt entfernt, passicte, sah er plötzlich, wie 
ein Hund, ein hübscher Spitz, sich auf der Spur eines Wolfes in 
den Wald stürzte. Ein lautes Bellen noch, dann war es still, 
der Wolf hatie den Hund erwürgt. Der Herr des letzteren war 
war dem muthigen Thiere zu Hülfe geeilt, konnte jedoch nur be— 
virken, daß der Wolf ohne seine Opfer dos Weite sachte. Erst 
am nächsten Morgen fand Hr. Colin den Cadaver seines Hundes 
im Walde auf. So berichtet man der „Gaz. de Lorraine.“ 
Maxau, 19. Nodbr. Man ist gegenwärtig mit Hebung 
des ain 4. ds. unterhalb unseres Hafens untergegangenen Ruhr⸗ 
orter Kohlenschiffes beschäftigt. 
p. Falsches Gerücht über Borfigs Etablissement. Das 
„Fremdenblatt“ in Berlin brachte gestern Abend die alarriirende 
Nachricht, daß einem in angesehenen Kreisen verdreiteten Gerüchte 
zufolge die Erben der Borsigschen Werke in einem kürzlich stattge⸗ 
bayten Famil earath auf Autrag des Kurators beschlossen haben, 
die Werke bis auf Weiteres zu schließen. Wir haben es für unfere 
pflcht gehalten, ehe wir zur Weiterverbreitung einer für Tausende 
io hochwichtigen Mittheilung felbst mit allem Vorbehalte uns ent⸗ 
schließen mohten, erst an zuständiger Stelle Erkundigungen einzu⸗ 
iehen und wir sind demnach von lompetentefter Seite —XW 
;rfucht und autorisirt worden zu erklären: Ein Familienrath der 
Borsigschen Etben existirt überhaupt nicht. Die Verwaltung des 
Jesammten Vermögens liegt vielmehr in der Haud von drei Testa⸗ 
ments⸗-Etxekutoren, dem Justizrath Riem als Vorsitzenden und den 
Direktoren Brätsch und Boy, die allein unter Zuziehung der dere