Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberter Anzeiger. 
Der St. Jugberter Anzeiger und das (2 mal wö hentlih) mit den Hruptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, (Sonntags mit illustrirter Bei⸗ 
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M48 991. Dienstaa, den 8. Dezember * 
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Deutsches Reich. 
München, im Nov. Die Schorlemer'sche Interp llation 
im preuß schen Landtage betreffs der Wiedereinführung der Wucher— 
gesetze und der Beschränkung der Wechselfähigteit wird natürlich 
von der klerikalen Presse nicht nur im Poarteiinteresse derwerthet, 
sondern auch als Sündenboöcke hinzustellen. Allerdings werden es 
in den nächsten Tagen schon elf Jahre werden, daß in Bayern das 
Gesetz, die Abänderung der gesetzlichen Bestimmungen über dle 
Zinsen betreffend, in Wirksamkeit getreten ist, und wahrscheinlich 
alaubt jene Presse bei sa langer Zwischenzeit darauf rechnen zu 
dürfen, daß dem Gedächtnisse ihrer Leser entschwunden, wie das 
Gesetz zu Stande gekommen ist. Daß es in Preußen vorzugs 
weise die donservative Partei war, welche sich für de Aufhebung 
der Wuchergesetze interessirte, wurde schon anderwärts hervorgehoben 
aber auch in Bayern finden wir unter den 111 Abgeordneten 
welche gegen 20 für das erwähnte Gesfetz ftimmten, viele konser 
vative Stimmen, ja Dr. Ruland meinte sogar, er werde mit seiner 
Unficht ziemlich allein stehen, da er gegen das Gesetz sei. Auch in 
der Kammer der Reichsräthe erklärten sich 24 Votanten, worunter 
wei königliche Prinzen, sür das Gefetz und garen nur 11 Stimmen 
dagegen. Ueberhaupt wurde bei der damaligen Berathung n'icht 
(on politischen Parieieinrichtungen ausgegangen. 
Berlhin, 29. Nor. Der Belagerungszustand 
in Berlin bildet das allgemeine Tageszefprach. Nicht sowohl die 
Thatsache, daß der sozen. „lleine Belagerungszustand' auf Grund 
des 8 28 des Sozialistengesetzes eingeführt ist — übrigens nicht 
in dem vollen Umfange, den der Paragraph geflattet —, als die 
Frage, weßhalb er eingeführt ist, bietet den Gegenstand angelegent⸗ 
sicher Eröorterungen in allen politischen Kreisen. Ver kleine Bela⸗ 
gerungszustand verbielet erstens das Tragen von Waffen und das 
Handeln mit Waffen allen Denen, welche hiezu nicht eine ausdrück⸗ 
liche polizeiliche Genehmigung b sitzen. Diese Bestimmung dürfte 
daum Viele betreffen und geniren. Der kleine Belagerungszustand 
zibt ferner der Polizei ein Recht, solche Persönlichkeiten, welche die 
zffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, eus Berlin und den 
umliegenden Kreisen auszuweifen. Diese Bestimmung mag zwar 
wesentlich und der Hauptgrund für die Einführung des kleinen 
Belagerungs,‚ustandes sein. Aber auch durch diesen Ausweisungs⸗ 
Zzaragraphen werden an sich nur sehr enge Kreise betroffen. Von 
außerordentlichem Interesse jür Alle ohne Ausnahme aber ist die 
Ftage, auf Grund welcher Vorkommnisse 8 28 des Sozial'st nge⸗ 
setzes zur Geltung gebracht wird. Eine ausdrücliche und in diesem 
z eklar ausgesprochene Bedingung ist es nämlich, daß für die öff'nt ⸗ 
che Sicherheit und Ordnung „Gefahr“ vorhanden sein muß, 
wenn der kleine Belagerungszustand in Kraft treten solle. Wie ist 
nun die Gefahr, welcher Natur und von welchem Umf'ange ist sie? 
E'ne dunlle Befürchtung wäre ja an sich noch keine Gesahr; uund 
auf Grund bloßer Ahnungen hätte der Bundesrafh zur Einführung 
des lleinen Belagerungszussandes seine Einw'illigung schweilich ge⸗ 
geben. Es muß also eine durch thatsächl che Vorkommnisse begrün⸗ 
dete Gefahr nachgewiesen worden sein und mit begreiflchem Inter⸗sse 
iragt man sich, welcher Natur wohl diese Vorkommnisse çewesen 
sein wögen und inwieweil sie ernstliche Befürchtungen rechtfertigen. 
Die Regserung ist zu einer Motid rung ihres Vorgehens vorläufig 
zar nicht verpflichtet und nur dem Reichstag bei seinem Zusammen⸗ 
tceten Rechenschaft schuldig. Dennoch dringt man vielsach darauf, 
die Regierung möchte zur Auftlärung über ihr Verhalten und zum 
Zwecke der Beruhigung g ängstigter Gemüther die Thatsachen zur 
zffentlichen Kenntniß dringen, welche zur Einführung des kleinen 
Belagerungszustandes geführt haben. 
Die Berliner offiz ösen Blätter lassen in sehr dunklen Andeut⸗ 
ungen durchblecken, daß die Regierung ganz bestimmte Anhaltspunkle 
habe, die oͤffentliche Rube und Ordnung in Berlin gefährdet zu 
glauben. Es liege nur im öffentlichen Interesse, die Anzeichen dieser 
Befahr nicht an die Oeffentlichkeit zu bringen. Angespielt wird 
dabei auf eine internationalistische Verschwörung, deren Spuren do⸗ 
Altentat in Neapel aufgedeckt habe. 
Berlin, 29. Nov. Die Esen-Enquete⸗Kommission been⸗ 
digte heute d'e Vernehmung der Sachverständigen. Der Vericht an 
den Bundesrath, welch⸗x voraussichtlich Vorschläge bezüglich der 
Fisenzölle nicht enthält, soll in etwa 14 Tagen erstaltet werden. 
Das Resultat der Enquete wird als ein der Einführung 
mäßiger Eisenzölle günstiges bezeichntt. (A. 3.) 
Berhin, 30. Nov. Die Eisenbahnverwaltungen richten 
Extrazüge ein, um die Bewohner der Prov'nz am 5. Tezembe 
sum Einzuge nach Berlin zu besördern. Es wird der Rath ertheilt, 
ür Legitimationen zu sorgen, da die Personenlkontrole in Berlin 
ttreng sein dürjte. Die Zahl der Ausweisungen beträgt jetzt 37. — 
Die „Kreu zinung“ schreibt: Wie verlauiet, sind in Hamburg seitens 
der dortigen Behörde zwei Kisten mit gefüllten Orsini-Bomben an⸗ 
gehalten worden. 
Nach der „Post“ gilt in diplomatischen Kreisen die Wahl des 
Prinzen von Battenberg zum Fürsten von Bulgarien 
sür gewiß, da seine Cond datur von Deutschlaud und Nußland 
zleichzeitig unterstützt werde. 
Ausland. 
Madrid, 80. Nov. Die Regietung beschloß die Auswei⸗ 
ung der internationalistischen Ausländer, deren Aufenthalt in 
Spnien für das Publikum gefährlich wäre. 
Vermischtes. 
FSaarbräden, 2. Dez. Ein bedaueil'cher Unglücks- 
all trug fich gestera auf einem der zwischen unseren veiden Brücken 
por Anker liegenden Canaischeffen zu. Zwei junge Schiffer im Alter 
jon 18 Jahren befauden sich dort in dem Cajütenverschlag. Der 
ine las in einem stalender, der andere machte sich an einem bon 
zer Wand genommenen Revolver zu schaffen. Prötzlich eutlud sich 
herselbe und die Kugel einer Meiellpatrone ging den gegenüber 
itzenden anderen Burschen eiwas oberhaly der Nasenwurzel in die 
Stirne. Der Unglückliche brach sofort zusammen, während der 
iufreiwillige Thäter schnell zu einem Arzt lief, denselben auf daß 
Zcheff brachte, dann aber entfloh. Der verwundete junge Mann 
ourde in's hesige Hospital gebraht; er ist noch am Leben, aber 
s dürfte wenig Hoffnung vorbanden fein, daß er wieder bergefiellt 
verde. (S. 3.) 
Nüunqchen, 830. Novbr. Das Bejirkstericht München 
d. J. hat gestern den Kunsthändler Kayser von Frankfurt a. 
M., welcher an den hiesigen Senffabrikanien Develey die Copie 
rines Bildes von Vantier ais Original verkauft hatte, wegen Ver⸗ 
zehents des Vetruzes zu 1500 M. Geldstrafe, eventuell 53 Monaten 
Beiängniß verurtheilt. 
F TDas Hotel Leinfelder in Muünchen wurde an zwei 
Frankfurter Unternehrer um den ausehnlichen Preis von Mart 
300. 000 vertauft. 
F Mannheiw. Wie das „Tagbl.“ miitheilt, will der 
—IX gewesene A. Drees⸗ 
dach nunmehr ein Spezerei Detail⸗ Geschäft hier erdffnen. 
JDer Polytechnker in Dar mstadi, welcher sich mit!elst 
wwei Pistolenschüsse getoͤdtet hat, soll ein Opfer bon Wucherern 
lein, welche die von ihm und Freunden gezogenen „Acc pte“ gegen 
horrende Verzinsung versilberten. 
f. Jena, 24. Nov. Am vergangenen Freitag hat im Rauh⸗ 
hale ein Pistolenduell zwischen zwei hiesgen Sludenten, einem Ham⸗ 
»urger und einem Russen, stattgefunden. Die beiden Gegner müssen 
ehr erbittert gewesen sein, denn die vor und während des Ducsss 
jetroffenen Bestimmungen lassen auf den ernstlichen W.llen, den 
Begner zu södten, m't Bestimmtheit schlehßen. Ta auf fünf Schritt 
Entfernung geschossen wurde, ist es als zu betrachten, daß dem 
einen Duelianten nut der Arm, dem arderen der Scheutel nicht 
unerheblich verletzt wurden. 
f Zur Lebensmittelfä'schung. Im LVippstadter Kreisblatt 
lesen wir: Kommt da heute Morgen eine dteise⸗Onkel in ein 
hiesiges Geschaft und fänet sein Sprüchlein an: „Habe ich die 
kͤhre, Herrn ꝛc.“ und fährt fort: „Ich reise für die chemische 
Fabrik in Sachsen. Wir machen braunen Javalaffee, und ich 
vollte mir erlauben ꝛc.“ Der hiesige Geschäftsmann lehnt di