St. Ingberler Anzeiger.
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M. 61
Samstag, den 19. April
1879.
Deutsches Reich.
Mäünchen. Die Nachricht, daß die Einberufung der Ge⸗
etzgebungsausschüsse für Anfaug Mai beabsichtigt sei, wird officiell
als unrichtig erllart.
gong Ludwig von Baiern beglüchwünsch“e den Kaiser von
Rußland sofort nach dem Eingehen der Attentatsnachricht telegra⸗
ohisch zu seiner Errettung.
wWie dem Baier. K. versichert wird, äußert sich der Staats-
minister der Finanzen, Herr v. Riedel, über seinen jüngsten
Aufenthalt in Berlin, wo derselbe bekanntlich an den Berathungen des
Bundesrathes über die Zoll und Tarifftagen theilnahm, nichts
peniger als befriedigend. Es sollen mehrere Anträge der baierischen
Kegierung im Bundesrathe nicht zur Annahme gelangt sein.
Meünchen. Das Generalcomite des landwirthschaftlichen
Bereins in Bayern hat die Aufrage des Ministers des Innern, ob
sich in landwirihschaftlichen Kreisen Neigung zeige, die Ausstellungen
zu Sidneh und Melbourne (in Australten) zu beschicken, verneinend
heantwortet. Auch in den Kreisen unserer Industriellen zeigt sich
eine Vorliebe für diese Ausstellungen: es haben sich aus Ober⸗
„ayern bis jetzt nur 1 Aussteller fur Sidney und 7 für Melbouene
angemeldet.
Berlin, 16. April. Die offizielle Betheiligung des deutschen
Reiches an den beiden Weltausstellungen, welche in diesem und im
nächsten Jahre in Uustralien statfinden — 15. September 1879
n Sidney; September 1880 — in Melbourne iß nunmehe eine
heschlossene Sache. Das Reichskanzleramt hat Herzn Geheimtath
Franz Reuleaux für beide Ausstellungen als Kommissarius ernannt
und heute Vormittag hat bereits die Organisation des Bureaus im
Bebäude des Reicht lanzleramtes staugesunden. Herr Prof. Reu⸗
ieaux dürfte sich eiwa Mitte Juni nach Australien begeben, und nach
Schluß der Ausstelluug von Sidney nur zurückkehren, um die Or—
zarnifation füc die nächstjährige durchzuführen.
Berlin, 16. Aprii. Die sehr umfangreichen Motive der
Zolltarifvorlage sind dem Bureau des Reichssstages gestern Nach⸗
mittag vollständig zugegangen.
Beriin.“ Nachicäglich wird beklannt, daß außer Oldenburg
auch die Hansestädte im Bundesrath vor Eintritt in die Debatte
uber den Zolltaraf erllaͤren ließen, sie würden, dem Beschlusse der
Heidelberger Corserenz ensprechend, für eine Erhöhung der Zölle
Juf Wein, getrocknete Sudfrüchte, Kaffet, Thee, Tabak und Mine⸗
raldle (Finanzzölle), aber gegen Vieh⸗ und Getreidezölle stimmen.
Der Abg. Dr. Bamderger hat an seine rheinischen Wähler
in offtnes Schreiben über die Frage gerichtet: „Was uns der
Schutzholl bringi.“ Dasselbe schließt wie folgt: „Niemals ist an ein
Boik an eine so furchtbare Veränderung im ganzen Erwerbsleben
mit so geringer Vordereitung herangetreten, niemals war der Ge⸗
rechtigk in dabei so wenig Zeit gelassen, zu Worte zu kommen,
aiemals ist ein verhängnißvoller Schritt mit leichterem Herzen
uinlernommen worden. Moͤchten die Deutschen in der letzten Slunde
⸗wachen aus dem verderblichen Taumel, in welches ein einziges
Stichwort sie versenkt hat; möchten sie nochmals bedenken, ob es
richtig sein kann, daß die Steuer, welche ein Bürger dem andern
aus seiner Tasche zu zahlea gezwungen wird, den Wohlstand Aller
zu heben im Stande sei! Mögen die Deutschen eiwachen, ehe der
berhaängnißvolle Spruch der Geschichte ihr Schichal besiegelt mit
den Worten: Zu spät!“
Bremen, 18. April. Der heusige Kaufmanns-Convent,
jon mehr als 700 Personen besucht, fsprach sich fast einstimmig
gegen die vom Reichtkanzler projectirte Zuschlagsabgaabe von Colo⸗
nialwaaren, die üder nicht deutsche Häfen eingeführt werden, aus.
Ausland.
Auch in Oesterreich⸗Ungarn dversucht der Nihilis⸗
nus anscheinerd seine Kreise hinuber zu ziehen. Der „Gazetta
Ratodowa“ zufolge haben in Wien zahlreiche Arretirungen statige⸗
umnden. Auch vier Polen aus dem Konigreich seien festgenommen
vworden, und habe man bei ihnen sozialistishhe Schriften in rus⸗
ischer Sprache vorgefunden.
Frankreiqh kann nicht ohne irgend eine Aufregung leben.
Jetzt ist es die Kandidatur des greisen Verschwörers Blanqu', der
Jur Zeit noch im Gesängniß sitzt, in Bordeaur, welche die Gemü⸗
her erhitzt. Die Blätter behandeln dieselbe mit wachsender Lei⸗
enschaft. Namentlich erwärmen sich für dieselbe die Organe der
Reallion, die im Stillen wohl gar der Hoffnung leben, die Wahl
Zlanqui's könnte eventuell für das gegenwärtige Regime ebenso
verhängnißvolle Folgen haben, wie die Wahl Barodet's gegen Re⸗
musat in Paris ihrer Zeit für die Regierung des Herrn Thiers
jtchabt hat. I
NR'om. Der Papst hat an den Kaiser von Rußland ein
Beglückwünschungs-Telegramm gerichtet.
Gadribaldi hat am Ostersonntag dem König Humbert im Qui⸗
cinal seinen Besuch abgestottet. Da Koönig Humbert wußte, daß
hm das Treppensieigen schwer falle, so kam er in den Garten
sinab und st'eg in des Generals Wagen, wo er eine halbe Stunde
nit ihm verplauderte.
Petersburg, 16. April. Bei Beantwortung der An⸗
prache des Marschalls des Petersburger Adels äußerte sich der
daiser dahin, daß die Kühnheit und Vermessenheit der jüngsten
Attentate ihm die Pflicht auferlege, sehr gegen seine Wünsche außer⸗
ordentliche Maßregeln zu ergreifen, und zwar nicht etwa seinet⸗
vegen, sondern im Interesse Aller, im Juteresse der Geseuschaft,
m Interesse Rußlands. we
Petersburg, 16. April. „Golos? hört bezüglich des
Attentäters, daßß mit der Voruntersuchung Senator Leontiew be⸗
raut sei. Es deftätigt sich, daß der Verbrecher Alexander Solowiew
seißt; derselbe soll Schullehrer in Totopez, Gouvernement Pleskau,
Polnisch Esthland) gewesen sein. Die Nachrichten über den Ver⸗
ziffungsbersuch des Atientäters bestätigen sich nicht, sein Bluter⸗
zrechen soll die Folge von Mißhandlungen gewesen sein, welche
zerselbe bei der Verhaftung durch das Publikum erlitt; nur die
Intervention der Polizei rettete ihn vom Tode. Die Ansprache
es Kasfers an die in den Winterpalast zusammengeströmte Menge
esugte, er verdanke die neue Errettung der Vorsehung und er
rblicke darin die Weisung, daß sein Leben dem geliebten Vater⸗
inde noch nothwendig sei, welchem er mit derselben Liebe auch
eine letzten Jahre widmen werde, mil der er das ganze Leben
dem Valerlande gedient habe.
Der „Kolln. Zig.“ wird aus Petersburg telegraphirt:
Der Verbrecher heißßt nach neueren Ermitlelungen nicht Sokolow,
ondern Solowiew.. Er ist etwa 80 Jahre alt und war früher
Student in Petersburg, zuletzt Hauslehrer in Toropez, Gouverne⸗
ment Pleskau (Plslow). Mutter, Sqwester und Bruder des Ver⸗
hrechers befinden sich hier, und die Mutter hat ihren Sohn bereits
ꝛekognosciri. Er soll gestanden haben. Mitschuldige zu besitzen,
ohne deren Namen jedoch zu nennen. Er sagt, daß ihn das Loos
getroffen habe, bewahrt aber im Uebrigen vollständiges Schweigen.“
Zu derselben Zeit, da in Peserssburg die verhangniß⸗
ollen Schüsse fielen, hat ein schweizerischer Gerichtshof das Ver⸗
zilt abgegeben, daß auch ein republikanisches Gewissen den Fürsten⸗
nord als ein gemeines Verbrechen verabscheuen müsse. In dem
Prozesse gegen den Redacteur des Journals „Avantgarde“, den
ranzoösischen Staatsangehörigen Brousse, bat die Jury des ersten
idgenössischen Geschworenenbezirls ihr Verdikt auf „Schuldig des
Bergehens gegen das Volkerrecht wegen Vertheidigung des Königs⸗
mords“ abgegeben.
In Warschau hat eine Anzahl hochgestellter Beamter
— man spricht von 12 — darunter mehrete Generale, von dem
zeheimen pihilistischen Centralcomite in Petersburg Drohbriefe zu⸗
jeschict erhalten, worin ihnen angeklindigt wird, daß, wenn sie ihr
Verhalten gegen die in Untersuchungshaft befindlichen Nihilisten nicht
indern, die Todesstrafe unverzüglich an ihnen werde vollstreckt
verden. Die Polizei ist Tag und Nacht auf den Beinen, um die
Urheber und Verbreiter dieser Drohbriefe, die mit gutem Grunde
zort in der Stadt vermuthet werden, zu ermitteln; doch haben ihre
Nachforschungen bis jetzt nicht den geringsten Erfolg gehabt.
Die „Südd. Presse“ schreibt: „Dem Zaren wird man nach
den verschiedenen Schicksalsschlägen seines Lebens anläßlich des