Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberter Anzeiger. 
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A 69. 
A 
1579. 
— 
Deutsches Reich. 
München, 30. April. Se. Maj. der König wird heute 
Abend den neu ernannten Bischof von Würzburg, Dr. Stein, em⸗ 
pfangen und dessen Eidesleistung entgegennehmen. Minister Dr. 
b. Lutz wird hierdei die Eidesformel verlesen. 
München. Von bairrischen Reichstagsabgeordneten haben 
in den letzten Tagen die Herren Frhr. v. Leichenfeld und Herr 
Banquier Feustel in Kronach, resp. Baireuth vor ihren Waählern 
gesprochen und sich über ihre Stellung zu der Zoell⸗ und Wirth—⸗ 
schaftsfrage geäuß rt. Einem Bericht darüber entnehmen wir, daß 
Herr Feustel in einem zweistündigen Vortrag, welchen die Ver— 
sammlung mit der größlen Aufmerksamkeit verfolgte, in llarer und 
lichtvoller Weise die Ursachen unserer jetzigen allgemein trostlosen 
Geschaftelage entwickelte. Er lieferte den Rachweis, daß unsere 
Noihlage zu dieser Zollresorm geführt habe, und habe 
führen müssen; sodann erörterte er, in welch äußerfl 
gewissenhafter Weise die Reichsregierung alle Verhältnisse unlerfucht 
und geprüft habe, und gelangte endlich zu der Schlußfolgerung, 
daß der Reichetag die Vorlsage annehmen werde und müsse, wenn 
Deutschland gesunden und wirthschaftlich besseren Zeiten entgegen⸗ 
gehen wolle. Reicher Beifall wurde Herrn Feustel am Schluß zu 
Theil. Frhr. v. Lerchenfeld hat sich in Kronach ungefähr in dem— 
jelben Sinne ausgesprochen; er erklärte, er sei der Ueberzeuçung, 
daß der vorgeschlagene Tarif der de utschen Industrie förderlich sein 
werde; er sei bereit, ihm im Ganzen zuzustimmen, vorbehaltlich der 
Abänderung des einen oder anderen Punlies. 
Berlin, 30. April. Der „Reichsanzeiger“ veröffentlicht 
heute die Ernennung Simsons zum Präsidenten des Reichsgerichis 
und Drecqchslers, Henricis, Hocheders, Uketis, Drenkmanns, v. 
Beherles und Dr. Bingners zu Senatspräsidenten des Reichsge— 
cichts, ferner die Ernennuug von 60 Reichszerichtsräthen (darunler 
19 bisherige Reichsoberhaudelsgerichtsrälhe). 
Berlin. Der Bundesrath wurde zu schleuniger Beschluß⸗ 
fassung über einen Antrag des Reichskanzlers wegen Einführung 
der Tabalsperre berufen. Bei der Vorlegung des Antrags wird 
die Reichsregierung erklaͤren, daß sie den Gesetzentwurf wegen der 
Nachsteuer auf Tabak nicht zurück iehe. (A. 3.) 
* Heute (Freitag) tritt der Reichstag in die ersite Berathung 
der Zoll⸗ und Steuervotlagen ein. Er nimmt hiermit die Loͤsung 
einer Ftage in die Hand, die für unser gesammtes vollswirthschaft⸗ 
liches Leben von der größten Wichtigkeit ist, die aber auch bei den 
sich einander entgegensisehenden mannigfachen Interessen sehr große 
Schwierigkeilen bielet. 
Bezüglsch der geschäfllichen Behandlung der Zoll: und Steuer⸗ 
vorlagen im Reichstage wird jetzt in den einzelnen Fraklionen des 
Reichstages beralhen. Wahrscheinlich werden drei Kommissionen 
beliebt werden: eine für die eigentlichen Wirthschaftszölle, eine für 
die Finanzzölle einschließlich der Tabalsteuer und eine für die 
Brausteuer. D'e Frage der konstitutionellen Garantieen wird jetzt 
auch in den Gruppen der rechten Seite ventilirt. 
eAuf eine an den Reichskanzler Fursten Bismard gerichtete 
und dessen Steuer und Zollreformplänen zustimmende Adresse vom 
27. März dieses Jahres, welche aus den Bezirksämtern Zweibrü— 
den, Homburg und Pirmasens mit 53694 Unlerschriften versehen 
war, erging unterm 88. April an den Gutsbesitzer Herrn Otto 
Freudenberg in Zweibrücken solgende Antwort: Die Adresse, welche 
Fuer Hod wohlgeboren die Freundlichkeit gehabt haben wmir zu 
übersenden, hat mir ebenfo wie die früheren zur besondern Genug⸗ 
huung gereicht. — Aus der großen Anzahl von Unterschriften 
glaube ich schließen zu dürfen, daß alle diejenigen Ihrer Landsleute, 
welche mit uns von der Ueberbürdung der Landwirthschaft überzeugt 
sind, sich entschlossen haben, die Abhiise einmüthig zu erstreben und 
die wirthschaftichen Interefsen unabhäncig von allen sie durchkreu⸗ 
enden politischen Fragen zu behandeln. — Ich konstatire diese Ihre 
Absicht mit lebhafter Befriedigung und doffe, daß sie alsenige 
Nachahmung findet. Gez. v. Bismard. 
Geruchtweise verlauiet, daß an maßgebender Stelle in Berr— 
lün die Frage in Erwägung genommen sei, die Medizinal⸗Ange⸗ 
legenheiten vom Kultusministerium abzuzweigen und einem anderen 
Ressort zu übertragen. 
NAusland. 
Paris. Die „Agence Havas“ sagt, eine Madrider De⸗ 
pesche vom 29. d. erwähnt des beglaubigten Gerichts von einer 
deitath zwischen dem König Alphons und der Erherzogin Marie 
Thristine von Oesterreich. Die Hochzeit würde im September 
tattfinden. 
Petersburg, 30. April. Depesche des „Golos“ aus 
Ddessa vom 28. d.: Heute passirte durch Odessa der Generaladjutant 
Obrutscheff, welcher sich nach Kostantinopel begiebtzund einen Brief 
des Kaisers Alexander an den Sultan überbringt. Obruischeff ist 
auch Träger einer Proclamation des Kaisers an die Bulgaren, 
worin letztere aufgefordert werden, sich von Unruhen fernzuhallen 
und sich den Bestimmungen des Berliner Vertrags zu fügen. 
Am 24. d. hat der Czar Peter 8Sburd verlassen und sich 
nach Livadia begeben. Auf den Bahnhof fuhr er in einer Kutsche, 
velche von 400 Mann Militär begleitet wurde. Der Bahnhof 
var mit Militär und Polizei von allen Seilen umstellt und der 
Eingang zu demselben Jedermann verboten. Aehnlich waren auch 
auf allen E senbahnstationen, wo der den Czar führende Zug Halt 
nachen sollte, die sorgfältigsten Sicherheitsmaßregeln gelroffen. 
Außerdem wurden längs der ganzen Eisenbahnlinie in ziemlich ge⸗ 
ringen Entfernungen Soldatenwachen aufgestellt. Der Zug, welcher 
dem Hauptzug, in welchem der Cjzar selbst fuhr, voraneilte, war 
von Leibgardisten und Polizei überfüllt. Die Sicherheitsmaßregeln 
waren von solhhem Umfang, daß die Durchführung derselben meh— 
nere Tage in Anspruch genommen hat. In Äbständen von je 50 
dlaftern waren Holzscheiterhaufen aufgeführt, welche während der 
Fahrt des Cjars beim Anbruch der Nacht angezündet wurden, um 
o die volllommenste Ueberwachung der Schienen dem Militär zu 
ꝛimöglichen. Auf 24 Stunden vor der Abfahrt des Cjars waren 
alle Züge auf der Eisenbahnl'nie sistirt und die Annaͤherung zu 
den Schienen auf das strengste verboten. 
* Es unterliegt wohl keinem Zweisel, daß Prinz Alexander 
von Battenberg die durch Rußlands Gnade auf ihn gefallene Wahl 
jum Fürsten von Bulgarien annehmen wird. Es ist eine schwere 
Aufgabe, die an ihn als den kuünftigen Beherrscher Bulgeriens 
jerantrit. Das Land ist nicht in der Lage, sich sulbstständig zu 
egieren, und der Regent wird auf fremde Elemente zurückgreifen 
nüssen. Zunächst wird er nicht umhin können, in fast allen höheren 
Berwaltungs⸗ und Militärämtern Russen anzustelien, wenn auch 
ielleicht später hierin ein Wandel eintieten kann. Rur mit dleser 
remden Hülfe wird er das Volk regieren koöͤnnen, und auch dann 
vird es ihm noch schwer fallen. Die Bulgaren waren schon vor 
»em Kriege ein wildes, bökartiges Volk; durch den Krieg mit seinen 
Plut⸗ und Gräuelscenen kann et nur noch schlimmer geworden sein. 
Pas man über ihren Blutdurst urd ihre Grausamkeit erzählt hat, 
st leider nur zu wahr, und es wird eine gewallige Arbeit erfordern, 
ie zut Ordnung und Ruhe zurückzuführen und gecegelte Rechtszu⸗ 
tande zu schaffen. Auf dieses Ziei, die Consol dirung der inneren 
Ungelegenheiten, hinzuwirken, wird die erste Aufgabe des neuen 
Fürsten sein müssen; wenn er sie richtig erfaßt und kräftig durch⸗ 
ührt, wird er sich ein ungeheures Verdienst nidt nur um Bul⸗ 
zarien, sondern auch um die Sache der Menschheit erwerben können, 
zin größeres, als wenn es ihm gelänge, die Grenzen seines Staotes 
noch weiter nach Süden hinauszusch'eben. Bulgarien ist ein von 
Natur so UÜberaus reich angelegtes Land, wie wenig andere. Es 
zesitzt alle Mittel zu flaatlichen Wohlsein, nur steht die Bevösse⸗ 
ung auch nicht im Entfernlesten auf der Stufe, sich selbst dieses 
Hut erwetben zu können. Fremde Kräfte wird der Fürst zur 
Kegierung und Organisation des Landes heranziehen und, durch⸗ 
)rungen vom Gefühl der Gerecht gkeit und Billigkeit, dem Volle 
allmölich die Wohlthaten der Civilisation erwirken müssen. So 
allein kann Bulgatien wahrhaft selbstständig gemacht werden. 
Moskauer Berichten zufolge wurden dort seit den ein⸗ 
jeführten Ausnahmemaßregeln 1800 Verdächtige derhasiet, darunler 
ele Studenten, Officiere und Setzer der dorligen Druckereien. 
Biele der Verhaftelen wurden bereits nach Sibirien devortirt. Jeder