Slt. Ingberler Anzeiger.
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M 93 Samstag den un. Juni 1879.
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Deutsches Reich.
München, 9. Juni. Justizminiiter Dr. von Fäustle kraf
vergangenen Samstag Abend von Bamberg wieder hier ein und
vird in den nächsten Tagen sich noch in Sachen der Gerichts⸗
»rganisation nach Zweibrücken begeben. Alsdann
erst werden die Personal ⸗Anträge dem König unterbreitet werden.
München, 11. Juni. Anläßlich der goldenen Hochzeit
es deutschen staiserpaares fand heute Festgoltesdienst in der Me⸗
ropolitan · Kirche Statt, welchen der Erzbischof zelebrirte und dem
lle Prinzen und die Minister beiwohnten. Ebenso fand Gottes⸗
ienst in der protestantischen Kirche Statt, woselbst Mitglieder des
»iplomatischen Korps und der städtischen Behörden erschienen.
Die meisten klerikalen Blätter in Bayern trelen der neuesten
haltung der Centrumsfraktion des Reichstags immer entschiedener
utgegen. Dem „Frank. Volksblatt,“ das zu diesen Blattern ge⸗
zöri, wird nun „von gut unterrichteter Seite“ geschrieben: „Das
Tentrum hat noch nicht dor Bismark kapitulirt und wird es nicht
hun; möge man die dritte Lesung des Zolltarifs abwarten und
vann d'e Haltung des Centrums beurtheilen, das hiebei entschieden
den förderaliftischen und konstitutionellen Standpunkt wahren, und
zafür eintrelen wird, daß die Zolleinnahmen nicht Biswarck's Mili⸗
arplänen, sondern den Einzelstaaten zu gut lommen.“
Ein bekannter bayerischer nationallikeraler Reichstagtabgeord⸗
reter, regelmäßiger Korrespondent der Köln. Ztg. und außerdem
Universitssprofessor, stellt über die Stellung Bayerns zu den Ge⸗
reidezöllen einige Betrachtungen an, denen wir Folgendes entnehmen:
Gerade Bahyern kann ohne Einfuhr landwirthschastlicher Produlie
ind namenilich von Getreide seine Bevölkerung vicht ernähren. Ein
inderer wichtiger Gesichtspuntt, den auch die bayerische Landwirth⸗
chat nicht aus den Augen lassen sollte, weil sie dabei als bayerische
Steuerzahlerin lebhaft interessirt ist, betrifft die bayerische Turchfuhr
iad den Handel mit Gerreide nach auswärts, welche durch die neueste
Hetreidezollpolitik des Reiches schwer bedroht sind. Ein blühendes
Durchfuhrgeschäft von Ost nach West bedeutet füct die bayerischen
Bahnen eine gute Rente, ein Erlahmen diesselben das gerade
Hegentheil, und wenn wir jetzt den südrufssischen und galizisch unga⸗
ischen Getreide⸗ Export durh unsere Zölle ausschließlich in d'e
häfen des Adriatischen und Schwarzen Meeres treiben, mag sich der
zayerische Landwirth ausrechnen, ob der Entgang der bayerischen
Bahnfrachten hinzugerechnet zu den durch die erhöhlen Industriezölle
ermehrten Kosten aller von ihm zu kaufenden Beduürfnisse nicht viel
chwerer in's Gewicht fällt, als der etwaige Mehrerlös aus dem in
Bahern gebauten und zum Verkauf kommenden Getieide. Augen⸗
alidlich sind allerdings alle Warnungen vergebens, urd die wirth⸗
chafiliche Erbjünde der Menschen, nur durch eigenen Schaden klug
u werden, nimmt wieder einmal ihren Lauf.“
In einem die Beschlüsse des Münchener Delegirtentages
deutscher Handels⸗ und Gewerbeklammern würdigenden Artikel der
Frantf. Zig. lesen wir u. A. folgende seht richtige Betrachtungen:
„Die Blatter, welche seiner Zeit das Maybach'sche Rundschreiben
ils eine bedeutungsvolle That gepriesen haben, sind voller Lob
über die in München geübte Mäßigung. Sie machen sich dabei
ffenbar nicht klar, was es heißt, den Innungen die in München
erlangten Befugnisse zu gewähren. Schon das- bloße Recht, die
dehrlings⸗ und Gesellenderhaltnisse zu überwachen und zu oidnen,
hließt die Moͤglichkeit des Wiederauflebens der schlimmsten Zunft⸗
nißbräuche ein. Ist einmal an dieser Stelle mit dem Zwang
degonnen, so lommt leicht der ganze alle Zunftplunder hinten nach.
Denn die Zunft war eine durchgebildete Organisation und in der
päteren Zeit ihres —AX
Wiederbelebung holt, ein sestgefügles System von Zwangsmaßregeln,
on denen eine immer die andere bedingt. Oder meint man wirk⸗
ich, daß eine Lehrlingsprüfung möglich sei ohne Meisterprüfung,
eine korporative Gliederung des Kleingewerbes ohne die Beschränk⸗
ing der Zug⸗ und Niederlassungsfreiheit, ohne feste Abgrenzung
)er einzelnen Gewerbe, ohne Einengung des Bekriebsrechts, kurz
hne alle die Fesseln, welche uns früher so lästig gefallen find?
Das Handwerk hat allen Grund, sich vor den Wohlihaten seiner
zuten Freunde in Acht zu nehmen; es könnte leicht kommen, daß
nan mit den vorgeschlazenen Mitteln es vollends zu Tode kurirte.
leberhaupt scheint sich zur Zeit Alles verschworen zu haben, um
er Kleinindustrie das Leben sauer zu machen. Die großen Fa⸗
ztiken haben ihr Schritt vor Schritt an Boden entzogen, das
Magazinzewerbe und ähnliche Unternehmungen treten ihr überall
nit flärleten Kopitalmitteln und überlegenem Geschäftsgeiste ent⸗
Jjegen, der Handel hebt in Folge der Eutwickelung unserer Ver⸗
ehism'ttel vielfach fast die lokalen Vortheile gegenüber der von
ußerhalb des Wohnotts wirlenden Konkurrenz auf. Dazu lom⸗
nen nunmehr alle die neuen Schutzzölle, welche mindestens dem
uuf lolale Kundschaft arbeilenden Handwerk nur Schaden bringen,
udem sie ihm das Rohmaterial vertheuern und auf der anderen
Zeite die sociale Macht der Großindustrie nur noch vergrößern.
x566 kommen weiter hinzu die Finanzzölle und indirecten Steuern,
velche auf die Bedürfnifse des fäglichen Lebens fallen, und von
illen Ecken und Enden das bescheidene Einlommen des kleinen
Mannes zehnten: an Nahrungs⸗ und Genußmitteln, an Kleidung
ind Wohnung, an Beleuchtung und Heizung, an vielen Dingen,
velche in seiner Werkstätte Verwendung finden.“
Berlin, 11. Juni. Die Tariftommission des Reichsstags
jat nach langen Debatten anstatt der von der Regierung vorge⸗
schlagenen zwei Gattungen Wollenwaaren zu 100 M. und 150 M.,
ür Strumpfwaaren und Teppiche 100 und für alle anderen Wollen⸗
paaren 120 M. Zoll angenommen. (ẽxrff. 3.)
Berlhin, 10. Juni. Eine Deputation des Ulanen-Regi⸗
nents „Kaiser Alexauder von Rußland“ ist gestern Abend nach
Betersburg abgereist, um den Kaiser von Rußland zu seinem
0jährigen Jubiläum als Chef des Regiments zu beglückwünschen.
daiser Wilhelm übersandte durch die Deputation dem russischen
Zaiser anläßlich dieses Jubiläuns einen Ehrendegen.
Berlhin, 11. Juni. Die Stadt ist bis in die entlegen⸗
den Vorstädte mit Flaggen, Guirlanden, Kränzen von Gold⸗
litter, Laub und Tannengrün, Büsten, Bildnissen des Kaiser⸗
aares, Transparenten und Sinnsprüchen festlich geschmückt. Alle
„traßen sind vom früden Morgen an von einer festlich gekleideten
Menge durchwozt. Massenhafter Zu ug aus den Provinzen. Die
Ztraße Unter den Linden, namentuch beim Kaiserpalais, ist schon
rüh Morgens von einer Kopf an Kopf gedrängten Menge ange⸗
uüllt. Bis jetzt schönes Wetter. Eben fand auf dem prächtig ge⸗
chmückten Dönhofsplatze eine von über zweitausend Sängern und
Musikern ausgeführte Festmorgenmusit statt. Die Siudenten zlehen
nit Fahnen nach ihren Sammelplätzen, um bei der Festiahrt des
daiserpaares nach der Schloßkapelle die Spalierbisdung zu über-
nehmen.
Berlin, 11. Juni. Soktben 11 Uhr 40 Minuten ver⸗
sündet Kanonendonner die vollzogene Einsegnung des Kaiserpaares.
Die Auffahrt der Fürstlichkeiten und des Kaisers nach dem Schloß
zollzog sich unter unermeßlichem Jubel und begeisterten Zurufen
iner Kopf an Kopf gedrängten Menscheumasse. Beim Eintritt
'n die Kapelle wurde das Kaiserpaar von der Geistlichkeit empfangen.
Der Kaiser, die Kaiserin an der linken Hand führend, bestieg den
haut · Pas, wobei hinter dem Kaiser der Minister des lon'glichen
Zauses und die dienstihuenden Adjutanten, hinter der Kaiserin die
Ofbethofmeisterin, die Palast⸗ und Hofsdamen Stellung nahmen.
Alsdann volljoz Hosprediger Kögel die Einseguung. In der gan⸗
en Umgebung des Schlosses bildeten die Studirenden der Uni⸗
jersität und der Gewerbeokadenie mit zahlreichen Bannern und
Musikkorps Chaine.
Wie der Frkf. Zig. aus Berlin geschrieben wird, sollen am
13. Juni der Ausschuß der deutsch-konservativen Partei und der
nusschuß der deutschen Reichspartei zu einer gemeinschoftlichen Be⸗
athung zusammentreten. Es seien Dieß nicht etwa die Fraktions⸗
vorstände, sondern die von den Parteien gewählten Ausschüsse für
zas Reich. Diesem Zusammentagen der Aueschüsse der verwandten
onservativen Fraktionen wird von dem Gewährsmann der Frkf. Zig.
ine besondere Bedeutung beigelegt. Daß bei diesen Berathungen
ser dereits bei Beginn dieser Legislaturperiode gestelle Antrag auf