St. Ingberler AAnzeiger.
der St. Jugberter Auzeiger und das (2 mal wo chentlich) mit dem Hauptblatte verhundene Unterhaltungsblatt. (Sonntags mit illustrirter Bei⸗
lage) erscheint woͤchentlich viermil: Dienstag, Donnerstaa, Saunstaz und Sonuntag. Der Abonnementspreis betragt vierteljährlich
A 40 2 einschließlich Trägerlohn vdurch die Post bezogen 1 AM 60 A, einschließlich 420 Zustell zebuhr. Auzeigen werden mit 10 B, von Auswarts
mit 15 4 fur die viergespaltene Zeile Blattschrift oder deren Raum, Aeclamen mit 80 4 pro Zeile berechnet.
M 10. — Samstag, den 18. Januar
1sq7g
Deutsches Reich. *
x Fine Betrachtung über die Steuerprojekte des
eichzkanzlers schließt der „Pf. K.“ mit den treffenden
Worlen: Das Streben des Reichskanzlers geht offenbar dahin, durch
deue oder böhere Zölle und indirekse Steuern eine Summe aufzu⸗
hringen, welche nicht blos den bisher gezablten Matricularbeiträgen
leichkommt. sondern sie noch erhehlich übersteigt. Tie Matricular⸗
zeiträge hatte der Reichstag alljährlich zu bewill'gen, er konnte sie
also nach Gutdünken beschneiden; die Zolle und indirekten Steuern
aber, wenn einmal eingeführt, sießen fort und fort, da hat der
Reichstag nichts mehr zu bewilligen. Nun meinen Manche, das
vare ja kein Unglück, denn ohne Zust mmung des Lteichstages dürfe
ja keine Ausgabe gemacht werden. Allerdings; der Untersch'ied ist
nuc der, daß, wenn das Geld erst beschafft werden muß, der Reichs⸗
sag mit den Ausgaben sparsamer zu Werke geht; wenn es aber
da ist, so wird flotter gewirihschaftet und manche Ausgabe gemacht,
zie auch unterbleiben könnte. Und wovon wird sie gemacht? Von
dem Geld, das der Steuerzahler hat zahlen müssen; ob er es in
Form von Zoll oder indirecter oder directer Steuer zahlt, das ist
imn Ende einerlei, es geht immer aus seiner Tasche, vom Himmel
allis nicht herunter. Und wenn nun durch die Bismard'schen
Finanzprojtke die Reichskasse 100, 140 oder 200 Millionen mehr
zekommen soll — etwas Bestimmtes weiß man ja darüber bis auf
zen heutigen Tag nicht — so meinen wir, das wäre eine recht er⸗
sebliche Veehrbelastung der Steuerzahler, um derentwillen es sich
qon verlohnte, gehörig Vorsorge zu treffen, daß nichts Unnöͤthiges
augegeben wird. Daß vollends von dem Ertrag der neuen
Steuern das Reich etwas an die Einzelstaaten abgeben und dann
in diesen der Beirag der direkten Steuern gemindert würde —
Jaube es, wer naiv genug ist; wir glauben's nicht eher, als bis
vir's sehen, und da werden wir lange warten können.
Mänchen. Se. Maj. der Koͤnig hat einer Anzahl Volls⸗
schullehretn mit Rücksicht auf ihre treue Pilichterfüllung und verdienst⸗
zolle Leistungen eine Gratification von je 100 M. zuerkannt.
Berlin, 14. Jan. Der Gesetzentwurf wegen der Straf⸗
gewalt des Reichstaget soll demselben sofort bei Beginn der Saison
oocgelegt werden. J
Unllem Anschein nach wird auch der Bundesrath dem Gesetz⸗
entwurf wegen der Strafçewalt des Reichstags nur unter erheblichen
Abänderungen seine Zustimmung ertheilen.
Berlin, 14. Jan. Im Finanzministerium begannen heute
anter dem Voisitz des Genetalsteuerdirectors Hasselmann die Be
rathungen der Commission, welche die Lage der Spiritusfabrikanten
zrüsen und sich insbesondere über die Steuerfreiheit des zu ge⸗
werblichen Zwecken bestimmten Spiritus gutachtlich äußern soll. In
leterer Beziehung waren alle Mitglieder der Ansicht, daß in der
üngsten Zeit immer dringender hervorgetretenen Wunsche gerecht⸗
jerugt seien.
Berlin, 14. Jan. Nach der Kreuzzeitung“ ist zum Vor⸗
sitzenden des Kriegsgerichts in Sachen des „Großen Kurfürst“ der
Deneralinspeltor des Militär⸗Erziehungs und Bildungswesens, Ge⸗
neral der Kavalerie Baron v. Rheinhaben, zu Beisitzern find zwei
Benerallieutenants der Infanierie, bezw. der Arlillerie ernannt
worden. Das übrige Personal ist aus der Marine berufen. Die
Untersuchung wird der Auditeur der Marinestalion der Osisee, Ju-
tizrath Loos, führen unb Letzterer auch Referent im Kriegs⸗⸗
zericht sein.
Berlin, 14. Jan. Bei den Militärbehörden gehen außer⸗
ordentlich zahlreiche Gesuche um Wiedereinstellung in die Armee ein.
Unter den Bitistellern befinden sich viele Kaufleute und Handwerker,
selbst Familienväter, die insgesammt in ihren Gesuchen die Bitte
um Wiedereinstellung durch mangelnde Arbeit und gänzliche Sub⸗
sistenzlosigkeit begründen. Vor etlichen Jahren hatte man Mangel
an Unteroffizieren, weil in der Schwindelzeit anderswo besserer
Verdienst war. Jestzt ist's umgelehrt.
Die Nordd. Allg. Zig. eiklärt die Nachricht des D. M.Bl.
hon Schritten des deutschen Botschafters in Wien anlaßlich der
Zritik deß Reichtageftraftese hes in den Wiener Blättern fur unbez
gründet. W 4.3 *
Ausland.—
Wien, 14. Jan. Die „Prefse“ meldet: Der Versuch Schir
Alis, die afghanisch-englischen Streitigkeiten vor ein europäischeß
Schiedsgericht zu bringen, ist gescheitert. Der Cjar lehnte jede
Bermittelung zwischen England und dem Emir ab.
Wien; 15. Jan. Die „Polit. Corresp.“ meldet: Furst
dobanoff erhielt aus Petersburg in Betreff der Friedensverhand⸗
ungen günstig lautende Instructionen, wonach allgemein die Ansicht
jerrscht, daß die heulige Conferenz zwischen den türkischen und rus⸗
ischen Bevollmächtigten die letzte sein dürfte. Die Pforte betrachtet
ie Unterzeihnung des Friedensverteags so nahe bevorstehend, daß
zereits Selami Pascha zum Commandanten der kürkischen Truppen
rnannt wurde, welche 14 Tage nach der Unterzeichnung des Ver⸗
rages Adrianopel besetzen sollen.
Das provisorische Organisat'ons⸗Statut für Bosnien,
velches die Verwallung daselbst regelt, entbäll folgende Bestim⸗
aungen: Der amu der Spitze der Verwaltung stehende Chef der
randesregierung ist dem gemeinsamen Ministerium untergeordnet;
venn er zugleich Commandant allcer in Bosnien und der Herjze⸗
owina dislocirten Truppen ist, so untersteht er doch nur in seiner
kFigenschaft als Landeschef dem gemeinsamen Ministerium. Es ist
ils oberstes Princip anzusehen, daß Bosssnien und die Herzegowina
die Kosten der Verwaltung aus den eigenen Landeseinnahmen zu
destreiten haben. Demgemäß ist der Administrativ-Apparat des
dandes einzurichten und ein besonderes Augenmerk darauf ju richten,
daß nach und nach die Forderungen der österreichisch- ungarnischen
Donarchie, vor Allem die Kosten der Besetzung, sowie die Erhaltung
zer Flüchlinge hereingehracht werden.
Paris, 15, Jan. Die Kammern sind heute wieder zusam⸗
nengetreten. Im Senat hielt Alterspräsident Gaulthier de Ru⸗—
nillh eine Ansprache, in welcher er lanstatirie, daß die Wahlen am
5. Januar den republikanischen Inftitutionen des Landes die Weihe
zegeben haben. Die Wahl des Präsidial⸗Buregu's wurde auf
norgen festgesezt. Bei seinem Eintteten in den Sitzungssaal war
Dufaure der Gegenstand sympatischer Kundgebungen von Seiten
»er neuen Senatoren. — Die Gruppen der Linken des Senats
haben Martel zum Candidaten für das Präsidium an Stelle des
derzogs von Aud ffret⸗Pasquier gewählt. — Die Kammer wädhlte
viederum Vrevy zum Präfidenten. Nerselbe erhielt von 299 Ab⸗
timmenden 290 Stimmen. Die Rechte enthielt sich der Abst'm⸗
nung. Zu Viceptäsidenten wurden gewählt: Bethmont, Brisson
uind Jules Ferry von der Linken, Civdac von der Rechten. — Es
vird versichert, die Rechte wolle fsich in allen wichtigen Fragen, wie
B. in der Amnestieftage, der Abstimmung enthalten und diesel⸗
den von den Republilanern uner sich ausmachen lassen. Sie werde
eine ihre Haltung darlegende Erklärung veröffentlichen, worin sie
ausspreche, daß in Folge ihrer Ohnmacht eine zuwartende Haltung
die einzig passende sei. — Das Amtsblatt wird alsbald die an
2000 Veruitheilte der Commune gewährten Begnadigungen dber⸗
offentlichen.
Der Versuch des Emieß von Afghanistan, die afghanische An⸗
zelegenheit vor ein europäisches Forum zu bringen, ist, wie eine
durchaus glaubliche Meldung der Wienet ‚Presser aus Petersburg
zesagt, gescheitert. Die russische Regierung hat aber auch die Ueber—
nahme einer Friedensvermittlung zwischen dem Emir und England
abgelehnt.
Konstantinopel, 13. Jan. Die internationale Kom⸗
nission in Philippopel genehmigte den Organisationsentwurf be⸗
jreffs der rumelischen Bendarmerie, wonach der Befehlahaber und
die Justruktoren der Gendarmerie Franzosen sein werden. Der
inglische Botschafter Lahard rielh der Pforte an, die gesammte
Zollverwaltung Europäern anzuvertrauen. Es heißt: die Pforte
jabe diesen Vorschlag ernstlich in Berathung gezogen.
———22————————