Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
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AM 96. Donnerstag den 19. Juni 
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Deutsches Reich. 
München, 16. Juni. In der ersten Woche der nächsten 
Monats hat in jedem der künftigen Amtsgerichtsbezirke die Wabl 
der sieben Vertrauensmänner stattzufinden, welche den Ausschuß zu 
zilden haben, dem die Herstellung der Urlisten für die Schöffen und 
—XV — 
München, 186. Juni. Prinz Arnulph, welcher dem deutschen 
aiserpaare das Glückwunschschreiben Sr. Maj. unseres Königs zu 
iberreichen hatte, hat, wie man vernimmt, ein sehr herzliches Ant⸗ 
wortschreiben des Kaisers an unseren König mil hierher gebracht. 
Prinz Arnulph hatte sich von Seiten der kuaiserl. Majestäten wie 
des gesammten Hofes in Berlin einer überaus freundlichen Auf⸗ 
nahme zu erfreuen. 
Ueber die Finanzlage des bayerischen Staates sprach sich, wie 
baherische Blätter berichten, bei der Debalte des Gesetz ebungsaus 
schusses über das Eibschaftssteuergeletz der Finanzminifier v. Recdel 
ahin aus: Selbst wenn im Richstage alle neuen Zölle ꝛc. die 
Henehmigung fänden, sei nach der dermaligen Finanzlage ein kleines 
Defizit kuum zu vermeiden; wenn aber d'ie Zollvorlagen ganz oder 
jum großen Theile abgewiesen werden sollten, so muͤßte eine ganz 
unverhältaißmäßige Erhöhung der direklen Steuern eintreten. 
Berlimn, 16. Juni. Die Meldung von der Erhebung des 
Ministers Frhen. v. Schleinitz in den Grafenstand ist unbegründel. 
Berlin, 17. Juni. Die Abgeordneten Delbrück, Bam⸗ 
berger und Harnier haben im Reichstag. die Interpillation einge⸗ 
bracht, ob die Regierung eine Abäuderung der Münzgesezgebung 
herbeizuführen heabsichtige. 
Berlin, 17. Juni. Der Bundesrath hat das Eisenbahn⸗ 
zütertarifgesetz mit Stimmenmehrheir ahgenommen. Der Verfassungs⸗ 
nusschuß wurde mit der Prüinng der Frage beauftragt, ob in ge⸗ 
wissen Best mmungen des Geseßes eine Äenderung der Reichsver⸗ 
jassung enthalten sei, od alsjo für diese d'e einfache Mehrheit nicht 
genüge. 
Serlin, 17. Juni. Der Reichs iag hat heute die Ge⸗ 
»ührenordnung für Rechtsanwälte in dritter Lesung ohne Debatte 
n Bausch und Bogen mit großer Mehrheit angenommen. Dann 
vurde die zweite Lesung des Zolltarifs fortzesetzt; die Positionen 
feine Holzwaaren“ und „gepolsterte Möbel“ wurden belassen, wie 
n der Regierungsvorlage; dasselbe geschah mit der Position Hopfen“ 
20 Marh, sowie mit der Position „Instrumente, Maschinen und 
Fahrzeuge“, bei welcher Akg. v. Wedell-Malchow vergeblich bean⸗ 
ragte, im Juterefse der Landwirthschaft den Zoll auf Locomodilen 
u streichen. 
Bei Besprechung der Eisenbahntariffrage läßt sich 
zie Berliner „Post“ dazu herbei, den Hinterzgedanken der reichs⸗ 
anzlerischen Politik anzudeaten. Die Einführung eines einheit⸗ 
ichen Gütertarifs hat danach keinen anderen Zweck als den, die 
Besitzer der Privateisenbahnen zum Verdauf der Bahn an den 
Staat zu zwingen. Gibt das offindse Blait doch auch zu, daß 
»er einheitlihe Gütertarif mit der Reatabslilät des in den Eisen⸗ 
ahnen angelegten Kapitals unverträglich ist. In der That, ein 
inheitlicher, die Verschiedenheit der Salbfkosten miht berücksichtigen⸗ 
)er Tarif satzt auch die einbeitliche Firanziirung und also die Ein⸗ 
jeit des Besißers voraus. Wer diese nicht will, kann auch den 
inheitlichen Tarif nicht wollen. Im Interesse des Private sen⸗ 
ahnwesens wäre es übtigens besser, wenn die Frage noch im Lause 
ieset Session zur Entscheidung gebracht und der Ungewißheit über 
ie Zukunst ein Ende gemacht wuͤrde. 
„Berhin. Am Tage der goldenen Hochzeit des Kaisers 
Wilhelm trafen 1278 Telegrawme mit zusammen 47,088 Wor!en 
cus allen Gauen des Valerlandes, so wie aus dem Auslande, selbst 
von fernen Welttheilen für das Kaiserpoar bei dem Berliner Haupt. 
Lelegrabhenamte und der Palaisstatson cin. Die Zahl der von 
er Cabinets⸗Erpedition des Hofpostamtes abgelieferten Briese be⸗ 
zuft sich auf viele Tausende. 
pi Ems, 17. Juni. Die Ankunft Sr. Maj. des Kaisers 
Vilhelm in Ems ist auf nächssen Sonnag festgesetzi. 
Dreaden, 17. Juni. Die Dreedner Nachr.“ melden 
angeblich ans guler Hand, daß demnächst die Entlassung Falk's er⸗ 
olgen werde und bezeichnen als Nachfolger den Oberpräsidenten von 
Schlesten, Herrn v. Pultlamer, im Reichslaze Mitglied der deuisch⸗ 
onfervaliven Fraktion. 
NAusland. 
Paris, 17. Juni. Fürst Hohenlohe ist gestern Abend nach 
Paris zurückgekehrt. — Bischof Frappel in Angers protestirt in 
mer Antwort auf den Bericht des Abgeordneten Spuller über das 
neue französische Unterrichtsgesetz gegen di⸗ Bestimmung, daß der 
Staat als der erste öffeniliche Lehter der Nalion u gelten habe. 
Wie der Londoner M-Korrespondent des Berl. Tobl. tesegrophisch 
neldet, beschreibt in der Times vom 17 d8. der Pariser Korrespon⸗ 
sent die Szenen in der französischen Kammer vom 16 8. und be⸗ 
auplet, ‚daß mehrere Deputirte der extremen Linken sich thatsächlich 
nit Bonapartisten geprügelt hätten und durch die Amtédiener aus⸗ 
inander gerissen werden mußlen.“ 
Petersburg, 77. Juni. Ein Telegramm des „Golos“ 
uus Odessa meldet, daß aus der Rentei in Checson 12 Milllonen 
kubel entwendet worden sind. Die Diebe hatten, um in das 
dassenlocal zu gelangen, einen 15 Faden langen Gang unter dem 
Boden gegraben. 
Aus Meriko vom 11. d. M. wird gemeldet, daß der 
Urmee-Kommandant Negrete eine Aufstands - Erklärung gegen den 
Kräsidenten Porfirio Diaz gerichtet und mit 8000 seiner Anhaͤnger 
Meriko verlassen hat. Der Präsident Diaz hatte fich zur Verfolg⸗ 
ing Negretes aufgemacht, die Regierung wurde provisorisch von dem 
Itäsidensen des obersten Gerichtsͤhofes Vallacta geführt. Angenehme 
zustände! Uebrigens müssen wir den Mexikanern der Wahrheilt ge⸗ 
näß das ehrende Zeugniß ausstellen, daß sie während der gangen 
etzten awei Monate kerne einzige Revolution gemaut haben 
Schwurgericht der Pfalz. 
Zweibrücken, 17. Juni. Verhandlung gegen 1. Anna Maria 
zpfer, 47 Jehre alt, Ehesrau von 2. Johannes Kohl meyer, 51 
zahre alt, beide zu Donsieders wohnhaft. Erstere angeklagi der vorsä ßzlichen 
nbrandsetzung eines Waarenvorraths, le zterer der Anstiftung hiezu und des 
etrugsversuches. Staatsanwalt: Petri. Vertheidiger Anwait Kieffer und 
Inwalt Schmidt. — Den Angellaglen gehört ein zu Donsieders be findliches 
ãuschen, das aus einer Stube, Küche, Hausgang und darüber lie gendem 
Ppeicher besteht. Die Familie derselben zaͤhlt d Kinder. Außerdem befand 
ich noch im Hause der Schwager des Angeklagten, Georg Deininger, Schuh⸗ 
nacher. Mit letzterem und seiner Tochter Elisabeth verließ der Angellagte 
in Abend des 14. Sept. 1878 sein Haus, angeblich um in staiserslautern 
Messingdraht zu kaufen und seine zwei in der Nähe von Kaiserslautern woh⸗ 
ienden erwachsenen Söhne zu besüchen. In der folgenden Nacht brach in 
dem Hause des Angeklagten Feuer aus und ein Zeuge sah durch ein Fenster 
zindurch die Angeklagte vollständig angelieider vor einer Kiste stehen. Ein 
anderer inzwischen hinzugekommenet Zeuge, der Schuster Baas, bemerkte, daß 
an einem unweit des Speicheraufganges befindlichen Stutzpfoften des Dach⸗ 
gebälkes dort aufgehängte Baumwolle brannte, sowie daß Baumwollwaaren, 
ie auf einem aus dem Speicher befindlichen umgelegten Wägelchen lagen, in 
zlammen standen. Auf einer andern daͤvon getrennten Stelle brannle auch 
in kleiner Holzvorrath. Da das Hauschen ganz isolirt steht, und das Ka 
nin in gutem Zustande war und nach der eigenen Versicherung der Ange⸗ 
lagten Niemand an dem fraglichen Tage mit Licht auf den Speicher kam, 
o fiel der Verdacht der Brandstiftung auf die Angekiagten, die, sich ver⸗ 
ächtig fühlend, einem unbekannten Feind die Schuld zuschoben, ja sogar zur 
Anterstützung dafür folgendes Stuchchen improvisirlen: Am Tage nach dem 
Brande war die Angeklagte mit mehreren Zeugen auf dem Speicher, als sie 
zuf einmal ausrief: „Herr Jesus, guckt einmai da, da sieht man's, das ist 
ins angestedt worden, das war ein geheimer Feind, der wußte, daß mein 
Mann sort war.“ Hiebei zeigte sie auf einen Vohnensteden, der anscheinend 
urch das Dach gesteckt zu dem Platze hereinragte, an welchem die Waaren 
Jbꝛannt hatten. An diesem Steden war mu frischem Bohnenkraut ein 
Ztück Holz befestigt, das an einem Ende leicht gespalten war. In der Spalte 
tachen 4 Zündhoölzchen, von denen zwei halb verbrannt, von weiteren zwei 
nur der Schwefel abgebrannt war. Nach Lage der Oertlichkeiten ist es nun 
iußerst unwahrscheinlich, daß ein dritler diesen Bohnenstecken in der ange⸗ 
ebenen Weise hingebracht hatte, da dies unmittelbar vot dem Fenster der 
Wohnstube hätte geschehen müssen, von wo aus die Angeklagte alles wahr⸗ 
zenommen hätte. Angeftellte Versuche haben ergeben, daß es selbst bei wind⸗ 
tillem Wetter unmöglich ist, in der angegebenen Weise einen Brand hervor⸗ 
urufen. In fraglicher Nacht ging aber sogar ein hefliger Wind. Mert— 
virdiger Weise will die Angellagie gar nichts von einem Brandgeruche 
vahrgenommen haben, obwohl die über ihrem Haupte in offenein Speicher 
rennende Wolle einen so penetranten Geruch verbreitete, daß man ihn schon 
ruf eine Entsernung von 70 Schritten verspürte. Der Angeklagte befand