Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
Der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal wöchentlich; mi⸗ dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt, (Sonntags mit illustrirter Vei⸗ 
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As 109. 
Samstag den 12. Juli 
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Deutsches Reich. 
Mänchen, 8. Juli. We man hört, soll die Staatsre⸗ 
zierung entschieden darauf dringen, daß der Landtag vor Allem 
zie Etatsvariante für die Gerichte im letzten Quartal d. J. ver⸗ 
zescheide, damit die von den Beamten schwer vermißte Publitation 
der in Folge der Gerichtsorganisation sich ergebenden Personalver⸗ 
inderungen endlich erfolgen kann. 
B—erlhin, 8. Juli. Eine Nachsitzung gestern Abend von 
zalb 8 bis 11 Uhr und heute wieder eine sechsstünd ge Tagessitzung 
de? Reichsstags fördern die Erledigung der Arbeiten, so daß vor⸗ 
russichtlich am Samstag geschl ossen werden kann. Unter den vielen 
agerledigt dleibenden Angelegenheiten wird sich auch das Brausteuer⸗ 
zesetz bifinden. Die dafuͤr bestellte Commission schlägt vor, die 
Steuer nur um die Hälfte, von 2 auf 3 Mark nicht auf 4 Mark 
u erhöhen. Möglich, daß der Reichskanzler von der Session des 
ommenden Winters Besseres erwartet und schon deßhalb nicht auf 
Erledigung drängt. Jetzt wäre es auch zu spät dazu, über den 
—E— 
Die neuen Zöhle. 1. Die neuen Zölle sind bereits in 
raft gesetzt fur Eisen und Eisenwaaren, Petroleum, Bier, Brannt⸗ 
wein, Hese, Essig, Wein, Butter, Fleisch, Wild, Geflügel, Fische, 
Sudfrüchte, Gewüͤrze aller Art, Heringe, Honig, Kaffee, Kakao, 
aviar, Käse, Konfitüren, getrocknetes und eingemachtes Obst, 
Sämertien, Muschel⸗ und Schalth ere, Reis, Salz, Sycup, Thee, 
Zucker, Tabak und Tabaksfabritate. 2. Die Zölle treten sofort, 
h. doch wohl nach der driiten Lesung, sobald die Publ kation 
des Zolltatifg setzes erfolgt ist — also schon innerhalb der nächsten 
aht Tage — in Kraft für Hopfen, Instrumente, Maschinen und 
Faͤhrzeuge, Lichte, Fetie (d. h. Schmalz von Schweinen und Gan⸗ 
en, Sieatin, Palmitin, Paraffin, Wallrath, Wachs, Fischspeck, 
Feschthran und anderes Thierfet!), Eier, Vieh. 3. Die Zölle tre⸗ 
den vom 1. Oltober ds. Is. ab in Kraft für alle Getreidearten, 
hülsenfrüchte, Anis, Koriander, Fenchel und Kümmel, Raps und 
Rübsaat, Holz jeder Art, Gerberlohe, grobe Holzwaaren. 4. Für 
alle micht“ besonders genannten Artikel erlangen die neuen Zölle 
im 1J. Januar 1880, den generellen Einführunastermin des Ta— 
rifs, ihre Gültigkeit. 
In parlamentarischen Kreisen ist seit einigen Tagen das Ge— 
rücht derbreitet, daß auch der Minister des Innern, Graf Eulen⸗ 
zurg II. an die Einreichung seines Entlassungsgesuchs denle. Be⸗ 
hauptet wird, daß der Graf durch den Fürsten Bismarck von der 
—XVO Finanzministerposten 
erst als von einer vollendeten Thatsache erfahren habe und von 
dieser Ueberroschung nichts wenizer als erbaut gewesen sei. Zwi⸗ 
schen dem Graͤfen Eulenburg und Hertn Bitter scheint das persön⸗ 
iche Berhältniß kein besonders gutes gewesen zu sein. Thatsache 
ist ferner, daß Graf Botho Eulendurg erst nach langem Wider 
süreben und gegen das ausdrückliche Abrathen seines jeht verstorbe⸗ 
nea Vaters, das durch den Abgang seines Vetters Fritz erledigte 
Ministerium übernommen hat, und daß er ein Mann von slark 
ntwickeltem Unabhängigkeitsgefühl ist. Es gewinnt übrigens den 
Anschein, als ob auch Minister Hobrecht so gut wie die Herren 
Fait und Friedenthal auf eine anderweitige Anstellung im Staats⸗ 
zienste verzichtet hätte. 
Der Reichsanzeiger“ publizirt die Ernennung des bisherigen 
Ministxs Hobrecht zum Wirklichen Geheimen Rath. 
Mannuheim, 8. Juli. Wegen Verbreitung socialistischer 
Schrften wurde vor einigen Tagen ein hiesiger Einwohner (Otten⸗ 
hal jun.) auf Grund des Social stengesetzes in Haft genommen. 
Ausland. 
London. Lieutenant Carey, der den Prinzen Louis Na⸗ 
yoleon in dem Gefecht mit den Zulus am 1. Juni so vorsichtig 
n Stich ließ, ist bekanntlich vor ein Kriegsgericht gestellt worden. 
Das „Fr. Journ.“ theilt nun das Urlheil der Untersuchungskom⸗ 
nission mit: Die Kommission findet, Lieutenant Carey begriff sein 
Verhältniß zu dem Prinjen nicht und besand sich folglich nicht in 
ꝛer Lage, seine Verantwortlichteit richtig abzuschätzen. General 
sverison sagt aus, Carey kommandirte die Eslortz, während Carey 
selbst behauptet, er hätte nach seinen Instruknionen keine Autorität 
iber die Eskorte besessen. Die Kommission findet, solche Mei⸗ 
zungsverschiedenheit hätte nicht zwischen Offigieren desselben De⸗ 
arsemenis existiren dürfen. Die Kommission tadelt ferner den 
zieutenant Carey energisch, weil derselbe Kraals als Halteplatz, 
janz umgeben von einer Deckunz für den Feind, gewählt habe. 
Dies beweise einen beklagenswerthen Mangel an militärischer Klug— 
seit. Schließlich bedauert die Kommission tief, daß kein Versuch 
jemacht wurde, die Eskorte zu ralliiten und dem Feinde die Stirne 
u bieten, wodurch vielleicht Denjenigen, welchen der Rückzug nicht 
lückte, häiste Hült⸗e geleistet werden können“ 
Was kostet das neue Schutzzollsystem der deutschen 
Nation? 
Ein ausgezeichneter Fachmann aus Suddeutschland veröffenllicht 
anter dem Titel „Die Jutegrale des Schußzolles“ in der N. Fr. 
ßr. einen Artikel, in welchem der interessante Versuch gemacht ist, 
Je große Belastung, welche dem deutschen Volke aus den neuen 
-chutz zöllen erwachsen wird, ziffermäßig nachzuweisen, An einer 
olchen Berechnung fehlt es zur Zeit noch gänzlich. Und doch 
ann sich Niemand einen klaren Begriff von der Bedeutung einer 
Zteuer machen, wenn ihm nicht wenigstens eine annähernde Taxa⸗ 
ion ber Gesammt Einflüsse gegeben ist, welche sie auf das wirth⸗ 
haftliche Leben der Nation ausüben muß. 
Die vorliegende Berechnung stützt sich auf die Grundanschau⸗ 
ing der Schutzsöllner, daß diejenigen Industrien eines Schutzes 
eduürfen, welchen die Hersiellung ihrer Fabrikate theurer zu stehen 
ommt, als das Ausland sie zu liefern vermag. Die Ausgleich⸗ 
ing dieser Differenz zwischen inländischer und ausländischer Waaren 
indet ihren Ausdruck in den einzelnen Positionen des Schutzzoll⸗ 
arifs. Will man Das zur Ausgleichung dieser Differenz von der 
dation zu bringende Gesammtopfer rechnungsmäßig feststellen, so 
nuß man also die Gesammtproduktion jeder zu schützenden Industrie 
nit ihren bezüglichen Tarifsätzen multipliziren und die auf diese 
Veise für die einzelnen Industrien erhaltenen Beträge addiren. 
Die erforderlichen statistischen Angaben über die Produklion 
ind nur für die Tertil⸗ und Eisenindustrie mit einigermaßen aus⸗ 
eichender Zuverlässigkeit zu beschaffen, und die Berechnung beschränkt 
ich deßhalb zunächst auf diese beiden Industrien auf Grund der 
Jieduttions Quontitäten in den Jahren 1873 bis 1877. Das 
ẽcgebniß ist, daß in diesen fünf Jahren durch die bestehenden 
—chutzzosle der Textil ⸗Industrie ein Nehraufwand von 981314 698 
N. zugewendet wurde. Ein Jahresopfer betruq alio in diesen Bran⸗ 
hben 196 262 939 M. 
Veranschlagt man die anderen bestehenden Schutzzölle auf 
deder, Glas, Thonwaaren, Papier ꝛc. zusammen in dem Mebrauf⸗ 
vand bei ihrer Produktion nur eben so hoch, wie bei der Terxtil⸗ 
Industrie allein, so leistete die deutsche Nation ihrer Industrie in 
ser angeblichen Freihandels ⸗Periode binnen den fünf Jahren 1878 
is 1877 einen Beitrag von beinahe 2 Milliarden M. oder pro 
Jahr von rund 400 Millionen M. 
Die künft'gen Opfer würden, die gleiche Höhe der Produktion 
zorausgesetzt, fuͤr die Textil-Industtie 2722/3 Millionen M., für 
zie Eisen-Industrie 9223 Millionen M. pro Jahr detragen. 
zchätzt man die GesammmOpfer, die durch die übrigen Industrien 
owie durch die Land⸗ und Forstwirthschaft erfordeit werden, nur 
uuf das Zweifache der genau berechneten Textil- und Eisen Opfer, 
o erhätt man ein jährliches Gesammt-Opfer von rund 1100 Mil- 
ronen Mack; in fünf Jahren würde dieies Opfer schon 514 Mil- 
iarden Mark betragen! 
Das sind die Konsequenzen einer solch großart'gen systematischen 
Pflege der nach eigenen Bekenntnissen destrultiven Indusltie auf 
zosten der produktiven, der minderwerthigen Arbeit mit faltischer 
Unterbilanz auf Kosten der naturwüchsigen Arbeitsthätigkeit, die ja 
itlein einen Ueberschuß hat, aus welchem sie Unterstütungen ver⸗ 
ibreichen kann! 
ermisqtes. 
fAusder Pfalz. „(Pf. Kur.)“ Kann ein Bürgermeisler 
der Adiuntt als Vertrauensmann in den Ausschuß, welcher die