Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

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M 30. Samstag den 21. Februar — 
1880. 
Deutsches Reich. 
München, 18. Februar. 44. öffentliche Sitzung der Kam— 
mer der Reichsräthe. Es erstattete Reichsrath v. Neuffer Be— 
cicht über den Voranschlag des Zinszuschusses für die Pfälzischen 
Fisenbahnen und wird derselbe, gleich wie von der Abgeordneten— 
ammer, in der Höhe von 2,700,000 Mt. einstimmig festgesetzt. 
Dem „Fr. K.“ wird aus München berichtet: Das De— 
missionsgesuch des Kriegsministers soll weniger durch die Szenen 
im Finanzausschuß veranlaßt sein als durch verschiedene erfolgte 
ind beabsichtigte prinzliche Apancements. S. K. H. Prinz Ar— 
aulph namentlich soll sich für einen bereits so weit ausgebildeten 
Strategen halten, daß er die Führung des Leibregiments auf sich 
aden will. 
Der Conflikt des Kriegsministers von Maillinger mit der 
Mehrheit des Finanzausschusses der Abgeordnetenkammer 
gibt dem „Pf. K.“ Veranlassung zu folgender beherzigenswerthen 
Betrachtung: Jedes Wort, welches heutzutage gegen das Zuneh— 
men der Militärlast gesprochen wird, ist sicher, bei der Masse des 
Volkes mit Befriedigung Aufnahme zu finden; und dabei wird 
zjar nicht überlegt, ob dies Wort im gegebenen Fall am rechten 
Platz, ob es überhaupt nur berechtigt sei. Die Zeiten haben sich 
geändert. Vor sechs Jahren wollte die Neichstagsmehrheit nicht 
daran, den Friedenspräsenzstand gleich auf sieben Jahre hinaus zu 
rhöhen; da ging es wie ein Sturm durch das deutsche Volk, und 
der Reichstag mußte nachgeben. Heute ist der Reichstag so zu— 
ammengesetzt, daß die Forderung, den Präsenzstand wieder zu 
rhöhen, wahrscheinlich durchgeht; ein Sturm dawider wird zwar 
anicht durch das Volk gehen; mit stummer Resignation wird die 
neue Last hingenommen werden. Aber möge man doch diese Re— 
ignation darum, weil sie stumm ist, nicht für Zustimmung neh⸗ 
nen! Es wäre das ein gewaltiger Irrthum. 
Einverstanden ist das Volk mit dieser fortgesetzten Steigerung 
er Militärlast durchaus nicht. Es macht im Stillen seine Glossen 
diese Glossen sind es, welche den Sozialdemokraten die richtigen 
Anknüpfungspunkte für ihre Predigten abgeben. Auf der einen 
Zeite bekämpft man sie, auf der anderen Seite leistet man ihnen 
in dieser Weise einen Vorschub, wie sie sich ihn besser gar nicht 
vünschen konnen. 
Freilich sehen wir, daß nicht bei uns allein das Militär mit 
all seinen großartigen Bedürfnissen so ungeheuer angewachsen ist; 
eaimgs um uns herum in allen europäischen Staaten ist es ähnlich 
»estellt. Aber das ist doch wahrlich ein schlechter Trost, der uns 
die Frage aufdrängt: Ja, besteht denn die Summe der heutigen 
aatsmannischen Weisheit nur darin, daß man schließlich jedes 
rand zu einem Feldlager macht? Dann freilich wird der Spruch 
vahr sein: „in deinem Lager ist Oesterreich“ — so wahr, daß 
mißer dem Lager nichts mehr sein wird, was des Bewachens und 
Bewahrens werth ware. 
Wir machen da keinen Vorwurf nach dieser oder jener spe⸗ 
ellen Richtung hin. Jeder Staatsmann wird, wenn man ihm 
jeutzutage mit dem Ansinnen der Abrüstung kommt, entgegnen: 
da, ich thäte es schon gern, wenn ich nur sicher wäre, daß es die 
Anderen auch thäten und zwar ehrlich thäten. Und so will keiner 
mfangen — aus purer Vorsicht. Und doch wird einmal ange⸗ 
angen werden müssen aus dem einfachen Grund, weil es so, wie 
eßt, auf die Länge absolut nicht mehr geht. Unsere Staats— 
männer hätten allen Grund, recht ernstlich darauf Bedacht zu neh—⸗ 
men, wie da Wandel zu schaffen sei und zwar bald; oder es be—⸗ 
e sich in neuer Auflage des Kanzlers Oxenstierna berühmtes 
Vort: 
„Du glaubst nicht, mein Sohn, mit wie wenig Weisheit die 
Welt regiert wird.“ 
Aus München kommen Berichte, wornach anzunehmen ist 
vaß Kriegsminister v. Maillinger auf seinem Posten bleibt. Die 
infangs so widerhaarigen Mitglieder der Rechten im Finanzaus- 
chuß der Abgeordnetenkammer haben sich entschlossen, nachzugeben, 
ind so ist eine Einigung zu Stande gekommen — zur biteren 
Freude Sigl's, der es in seinem „Vaterland“ neulich schon voraus 
— M 
zesagt hatte, die „Patrioten“ würden zuletzt doch wieder umfallen. 
Der Mann kennt seine Leute. (Statt der geforderten 4,102, 665 
M. wurden vom Ausschuß 3,335,365 M. bewilligt. Der von der 
Regierung vorgelegte neue Entwurf wurde mit allen Stimmen vom 
Ausschuß angenommen.) 
In Bayern sind 380 Notare; davon treffen auf Ober⸗ 
»ayern 70 (in München sind 15), die Pfalz 64, Unterfranken 47, 
SZchwaben 44, Niederbayern 42, Mittetfranken 40, Oberpfalz 37 
und Oberfranken 36. 
Der neue Gesetzentwurf über die Regelung der badischen 
Examensfrage liegt bereits vor. In demselben verzichtet die badische 
Regierung auf eine theologische Fachprüfung, resp. die Anwesenheit 
eines Regierungskommissärs bei derselben. Dagegen müssen die 
Geistlichen in Zukunft eine Gymnasialbildung nebst Examen, dann 
dreijährigen Besuch einer deutschen Hochschule und das Horen phi⸗ 
losophischer Vorlesungen nachweisen. Motivirt ist die Vorlage durch 
die Zurücknahme des Dispensverbotes und die bisherige Mitwir⸗ 
kung der Kurie bei der Fachprüfung. 
Im Reichstag begann am Mittwoch die Berathung des 
Etats pro 1880581. 
Die Erhöhung der Matricularbeiträge, welche nach Aufstellung 
der Reichsregierung nothwendig sein soll, um den Reichshaushali 
sür 1880,81 im Gleichgewicht zu erhalten, beträgt über.7, 000, 000 M. 
Beide conservative Parteien des Reichsstages und das Centrum 
einigten sich definitiv über die Wahl Ackermann's (deutschconser⸗ 
pativ) zum zweiten Vicepräsidenten. 
Der deutsche Kaiser hat vor einigen Tagen bei dem öster⸗ 
reichisch ungarischen Botschafter Grafen Szechöͤnyi das Diner ein⸗ 
zgenommen. Man deutet diese ungewöhnliche Auszeichnung auf eine 
Art von nachträglicher Ergänzung zu dem in der Reichsiagsthron⸗ 
rede vermißten Hinweis auf das Wiener Septemberbündniß. 
Der Reichskanzler soll privatim geäußert haben, daß er 
von der Mehrheit des Reichstages die bedingungslose Annahme 
des Militärgesetzes ohne weitere Kompensationen erwarte und ver⸗ 
sange. Zwischen dem Statthalter von Elsaß⸗Lothringen, General⸗ 
jeldmarschall v. Manteuffel, und dem Staatssecretär Herzog be⸗ 
tehen erhebliche Meinungsdifferenzen, die leicht zur Demission des 
Letzteren führen können. 
Officiss wird aus Berlin geschrieben: „Aus den Industrie⸗ 
Bezirklen laufen überaus günstige Nachrichten über den Stand der 
Geschafte ein, welche erwarten lassen, daß Handel, Gewerbe und 
Industrie Deutschlands den langen Druck, welcher auf ihnen lastete, 
endlich uberwunden haben. Aus Essen z. B. meldet man, daß 
nicht blos die Eisenwerle, sondern auch die Kohlenzechen für reich⸗ 
lich ein Jahr Beschäftigung haben, und daß Rohmaterial wie Fa⸗ 
brilate gekauft und Bestellungen nur zu wirklich lohnenden Preisen 
effectuirt werden. 
Der den Bundesrathsausschüssen für Handel und Justizwesen 
vorgelegte Entwurf eines erweiterten Reichsviehseuchen- 
zesetz es ist von denselben mit nur geringen Abanderungen ge⸗ 
nehmigt worden. — In Bezug auf das neue Reich smilitär— 
Ergänzungsgesetz erfährt man, daß der Bundesrath demselben die 
derfassungsmäßig garantirte Militärconvention mit Württem-— 
berg eingefügt hat, so daß in Württemberg ebenso wie in Baiern 
das nene Gesetz nur unter den durch die mit ihnen in Versailles 
zeschlossenen Militärconventionen getroffenen Modisicationen zur 
Ausführung gelangen kann. 
Ausland. 
Die spanische Regierung publizirt das Gesetz über Auf⸗ 
hebung der Sklaverei auf der Insel Cuba. 
Petersburg. Unmittelbar nach der Erplosion im Winter—⸗ 
valast begab sich der deutsche Botschafter v. Schweinitz zum Kaiser, 
im denselben anlaßlich seiner Erettung zu beglückwünschen, und er— 
chien später nochmals im Palast, um offiziell im Namen des diplo— 
matischen Korps dessen Glüdwünsche zu überbringen. 
Die Untersuchung über die Explosion ist in vollem Gange. 
In dem Raume unter dem Boden des Hauptwache⸗-Saales, worin 
die Explosion Stan fand, waren drei Arbeiter beschäaftigt, von