Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Sl. Ingberler Anzeiger. 
Der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal wöͤchentlich mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblait, (Sonntags mit illustrirter Bei⸗ 
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M 39. 
Sonntag den 7. März 
1885 
Deutsches Reich. 
München, 8. März. Nach den Bestimmungen über die 
diesjährigen größeren Landwehrübungen sollen diese zwölf Tage 
dauern und in den Monaten Äpril, Mai oder Juni vorgenommen 
werden; bei der Auswahl des Zeitpunktes innerhalb des genannten 
Zeitabschnittes sollen die Interessen der dabei am meisten betheiligten 
hürgerlichen Berufskreise berücksichtigt werden. In Preußen wie in 
den unter dessen Militärverwaltung stehenden Staaten werden 
10,165 Mann, in Bahern gegen 13,000 Mann, meistens der 
Infanterie und Jäger, eingezogen. 
Kronprinz Rudolph'von Oeste rreich ist nach zweitägigem 
Aufenthalt in München Donnerstag Abend von dort abgereist 
(nach Irland, wo seine Mutter, die Kaiserin, zu Jagdzwecken weilt). 
Der König von Bayern begleitet ihn auf seiner Reise bis Retzbach 
(unweit Würzburg). 
Aus München meldet die „Allgem. Ztg.“: Ministerpräsi⸗ 
dent v. Pfretzschner, seit Monaten leidend, suchte um seine Ent⸗ 
iassung nach. Se. Majestät der König nahm dieselbe an unter 
huldvollster Anerkennung der treuen, langbewährten, hervorragenden, 
ausgezeichneten Dienste und unter Erhebung Pfretzschner's in den 
Freiherrnstand und Einreihung unter die Staatsräthe im außer— 
Adentlichen Dienst unter Belassung seines Titels und Ranges als 
Staatsminister. (Adolf v. Pfretzschner ist geb. am 15. Auguft 
1810 in Würzburg, seit 1863 Minister und seit 1872 Minister⸗ 
präsident, Minister des Aeußern und des igl. Hauses.) Den 
Vorsitz im Ministerium übhertrug S. M. der König dem Kul— 
usminister v. Lutz; der Legationsrath v. Crailsheim wurde zum 
Minister des königlichen Hauses und des Aeußern ernannt. 
Im Reichstag wird ein Antrag vorbereitet, der den Zwedk 
hat, eine Vereinbarung sämmtlicher deutschen Bundesstaaten behufs 
Einführung einer einheitlichen deutschen Schreibweise herbeizuführen. 
Die Militärvorlage kann im RNeichstage der Haupisache 
nach schon jetzt für angenommen gelten. Voraussichtlich wird sie 
bis zum 19. Marz, dem Tage der Vertagung des Reichstages, in 
zweiter und dritter Berathung erledigt werden Nach Ostern wird 
dann auf Grund derselben ein Nachtrag zum Militär⸗Etat er— 
wartet, welcher die Mittel für die Ausbildung der Ersatzreferve für 
das laufende Jahr in Anspruch nimmt. — Nachdem also diese 
Frage abgethan, wendet sich der Blick naturgemäß den Gesetzent⸗ 
würfen zu, die demnächst zur Berathung gelangen werden. Das 
ist denn zunächst derjenige, der uns zweijährige Budget⸗- und vier— 
jährige Legislatur-Perioden szu bescheeren gedenkt und ferner der 
über die Verlängerung der Geltungsdauer des Sozialistengesetzes. 
In Betreff des ersten Entwurfs verlautet mit wachsender Bestimmt⸗ 
heit, es bereite sich zwischen den Conservativen nud dem Centrum 
eine Einigung dahin vor, daß sie die Vorschläge der Regierung 
war annehnien, dagegen unbedingt die Bestimmung einer alljähr⸗ 
lichen Berufung des Reichstags in das Gesetz aufgenommen sehen 
wollen. Die liberalen Parteien sind indeß mit diesem Vermitt⸗ 
ungsvorschlage nicht zufrieden. Was das Sozialistengesetz betrifft, 
jo kann eigentlich nur die Haltung des Centrums dabei von Inte⸗ 
resse sein; denn daß die Conservativen und Nationalliberalen für 
und die Fortschrittsmänner gegen die Verlängerung sind, stebl von 
vornherein fest. 
entweder in die Luft zu sprengen oder zu bestehlen beabsichtigte. 
Das letztere ist das wahrscheinlichere. 
Das erste Verhör des Verobrechers, der auf Loris⸗Melikoff 
schoß, wurde vom Stadthauptmann vorgenommen. Der Attentäter 
agt aus, er sei ein getaufter Ifraelit aus dem Gouvernement 
Minsk, wo er das Gymnasium absolvirte, und heiße Hippolyt 
Mladetzky. Ferner äußerte er u. A., Loris⸗Melikoff werde durch 
eine Genossen getödtet; wenn nicht durch ihn, dann durch den 
weiten, wenn nicht durch den zweien, dann durch den dritten. 
Die aus einer Entfernung von nur 3 Schritten abgefeuerte 
sugel ging dem Grafen Loris⸗ Melikoff am Hüftbein vorbei und 
durch den Paletot. Befragt, warum er geschossen, erwiderte der 
Attentäter: Aus Prinzip“. 
In Kiew haben die Nihilisten aus Rache dafür, daß die 
Mönche ihnen auf ihre Drohbriefe kein Geld „für die heilige Sache 
der Befreiung des russischen Volkes von der Knechtschaft“ geben 
vollten, einen Theil des berühmten Katakombenklosters Lawra in 
der Nacht auf den 19. v. Mis. mit Dynamit in die Luft gesprengt, 
vobei die große Buchdruckerei, Bibliothek und Lithographie in 
Flammen aufging. Die Nacht war so kalt, daß das Wasser in 
den Schläuchen und Spritzen zufror, weshalb die Feuerwehr wenig 
ausrichten konnte. 
Vermischtes. 
. Die vorschriftsmäßige Bereisumg der Pfalz zum Zwede 
der Inspizirung des Straßen⸗ Brüden- und Wasserbauwesens im 
Jahre 1880 ist dem k. Oberbaurath Haruser übertragen worden. 
, Die Pirmasenser Scqhuhindustrie will di Pfalzgau⸗ 
Ausstellung in Mannheim mit einer Kollectiv⸗Ausstellung beschicken, 
welche den dermaligen Stand dieser wichtigen, auch draußen in 
der Welt hochgeachteten Industrie veranschaulichen soll. Seitens 
nehrerer Mechanikler und Schmiede werden Hilfsmaschinen der 
Zchuhfabrikation ausgestellt werden, und wahrscheinlich wird auch 
die Lederindustrie sich in gemeinschaftlicher Weise betheiligen. 
F In Hütschenhausen brannte am Freitag eine Scheune 
nit Stall ab, wobei 4 Kühe, 1 Pferd unde1 Schwein ihren 
Tod fanden. 
, Das „Aktienbade in Kaiserslautern hat von 
einer Gründung (1876) schlechte Geschäfte gemacht; das Defizit 
tieg von Jahr zu Jahr; 1876 beixug es 413, 1879 1473 M.; 
mortisirt wurde bis jetzt Nichts. Es soll nun noch ein letzter 
Versuch mittelst Cirkulauon einer Liste gemacht werden. Nachdem 
am 8. d. die Generalversammlung eine zweite Badeklasse zu er⸗ 
näßigtem Preis eingeführt hat, hofft man auf Erfolg. Bleibt 
derselbe aus, so wird in 4 Wochen eine außerordentiliche General⸗ 
versammlung über die Liquidirung zu beschließen haben. 
x Von dem Landgerichte Kaiserslautern wurde 
ein Steinbrecher wegen vorsatzlicher Beförderung der Desertion ei⸗ 
nes preußischen Soldaten zu einer Gefängnißstralse von 3 Monaten 
und zu den Kosten verurtheilt. 
Lambrecht. Gewählt: zum Bürgermeister Kasimir 
Wagner, Tuchfabrikant, zum 1. Adj. Jalob Schlosser jr. Tuch⸗ 
'abrikant und zum 2. Adi. Heinrich Dietz, Wirth. (Danach schei⸗ 
nen die Sozialisten glücklicher Weise unterlegen ju sein) 
F In St. Martin ist kützlich ein vierjahriger Knabe ge⸗ 
storben, dessen Tod, wie man dem „Landauer Anzeiger“ schreibt, 
der falschen Behandlung durch einen ECurpfuscher zugeschrieben wird. 
Untersuchung ist eingeleitet. 
t. Die Vollsbank in Edenkoben hat im letzten Jahre 
einen Reingewinn von 17,345 Mark 77 Pfg. erzielt und zahlt 
davon eine Dividende von 8 Prozent. 
f Wie der „Pf. K.“ schreibt, wird von Herrn Ed. Jost in 
Landau, welcher als liebenswürdiger, unterhaltender Erzähler 
urch eine Reihe von Schriften sich bereits einen Namen gemacht 
at, demnächst eine größere historische Erzählung in zwei Bänden 
m Verlag von Richtet und Kappler in Stuttgart erscheinen. Wir 
lauben, unsere Leser um so mehr darauf aufmerksam machen zu 
ollen. als der Schauplatz derselben abwechselnd unsere pfälzischen 
Ausland. 
Die Pariser Zeitungen „Lanterne“ und „Mot d'Ordre“ ver— 
oͤffentlichen eine Prollamation des russischen revolutionären Exekutiv⸗ 
domite's an das frauzösische Volt welche fordert, daß der 
oerhaftete Hartmann nicht an Rußland ausgeliefert werde. 
In der belgischen Kammet erklärte der Justizminister, die 
Dienstag Abend stattgehabte Detonation trage nicht den Charakter 
eines Altentates. 
Petersburg, 4. März. Nach einem noch der Bestätigung 
zedürfenden Gerüchle hätte das heute zusammengetretene Kriegsge⸗ 
icht den gestrigen Attentätet zum Tode mittelst Strang verurtheilt. 
Die Vollziehung des Urtheils soll morgen früh stattfinden. 
Unter der Kaiserlichen Banf in Petersburg hat man, wie 
ehauptet wird, einen Gang entdedt, von dem aus man die Vank