Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberler Anzeiger. 
Der St. Jugberter Anzeiger und das (2 mal wöchentlich/ mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt. Sonntags mit illustrirter Bei⸗ 
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A AI. — 
Donnerstag den 11. März 1880. 
Deutsches Neich. 
Muünchen. S. M. der König genehmigte die Vornahme 
don Sammlungen im ganzen Land behufs Gründung einer ,Wittels- 
acher⸗Stiftung“, und bezeichnete als Zweck der Stiftung die „For— 
derung des bayerischen Handwerks in Stadt und Land.“ 
Dem Verncehmen nach wird Kaiser Wilhelm am 18. April 
u einem vierzehntägigen Aufenthatt in Wiesbaden eintreffen. 
Ausland. 
Aus Brüssel und Wien liegt jetzt die offizielle Bestätigung 
der bereits in v. Nr. von uns gemeldeten Verlobung des Kron— 
prinzen Rudolf von Oesterreich mit der Prinzessin Stephanie von 
Belgien vor. 
Der französische Senat hat am Dienstag, nachdem noch der 
Ministerpräsident Freycinet gesprochen hatte, den Art. 7 des Ge⸗ 
etßenwurfs über den höheren Unterricht mit 148 gegen 129 Stimmen 
»erworfen. (Es ist das jener wichtige Artikel, der den Zweck hat, 
die Jesniten aus dem franzöoͤsischen Unterrichtswesen zu verdrängen.) 
Daß der Beschluß der frauzösischen Regierung, den Nihi⸗ 
iisten Hartmann nicht an Rußland auszuliefern, in rusfischen Re— 
zierungskreisen unangenehm berühren werde, war vorauszusehen. 
Die „Agence russe“ bezeichnet denn auch die Entscheidung der fran⸗ 
dsischen Regierung über den Fall Hartmann als bedauerlich und 
chwerwiegend und behält sich die weitere Würdigung bis zum Vor— 
liegen der näheren Details vor. 
Alle Nachrichten, welche seit dem jüngsten Attentat aus 
Petersburg über die Grenze gelangen, stimmen darin überein, 
daß die dortigen Zustände ein wahrhaft trostloses Bild darbieten. 
Wie als unausbleiblich zu erwarten stand, werden die Ueberwachungs⸗ 
and Sicherheitsmaßregeln auf das äußerste getrieben, weil oder ob⸗ 
Zleich anonhme Tagesdrohungen gegen die höchst gestellten Persön⸗ 
ichkeiten fortwaährend noch in die Oefientlichleit geschleudert und 
den angeblich unwiderruflich dem Untergang geweihten Opfern selbst 
auf den verschiedenartigsten und häufig unbegreiflichen Wegen zu⸗ 
zestellt werden. Der Verkehr und die Bewegung des gewöhnlichen 
debens stocken und sind den lästigsten Beschränkungen unterzogen; 
eine dumpfe Stille lagert über der in die peinlichste Ungewißheit 
ind Zerfahrenheit verfallenen Petersburger Gesellschaft. Jeder zieht 
ich in die engsten Kreise zurück, und wer die Mittel und die Ge— 
egenheit dazu hat, sucht der Czarenresidenz den Rücken zu kehren. 
Als eines der bedenklichsten, aber leicht erklärlichen Symptome 
dieser furchtbaren Krisis wird jetzt angeführt, daß eine gährende 
Erbitterung in den untersten Volksschichten herrscht, in rascher Zu⸗ 
nahme begriffen ist und vornehmlich gegen die studentischen Kreise 
m allgemeinen sich richtet, in deren Schooß man die Rädelsführer 
und die vor nichts zurückscheuenden Werkzeuge der nihilistischen Un— 
haten hauptsächlich verborgen glaubt. Es dürfte deshalb nicht 
uberraschen, wenn schon in naher Zeit die Stunde von gräßlichen 
Ausbrüchen der Volkswuth von der Newa nach Europa dringen sollte. 
Die in den Vereinigten Staaten von Nordamerika während 
des Jahres 1879 vorgekommenen commerciellen Fallimente betrugen 
3658 mit eiwas über 98 Mill. Doll. Die Zahl der Fallimente 
m Jahr 1878 war dagegen 10,478 mit Verbindlichleiten von mehr 
als 234 Millionen! Die Abnahme im vergangenen Jahr ist daher 
ehr bemerkenswerth. Das Jahr 1879 ist in Amerika schon an 
und für sich sehr bemerkenswerth gewesen durch die Ausdehnung 
und Schnelligkeit der in ihm erzielten Gewinne — eine Folge der 
teigenden Conjunctur und Zunahme des Geschäfts im allgemeinen. 
Jedoch die vorstehenden Zahlen ergeben, daß es durch die Abnahme 
der mit zweifelhaften Außenständen derbundenen Verluste nicht 
veniger bemerkenswerth gewesen ist. 
Die Regierung der Vereinigten Staaten sandte in Folge der 
zegen die chinesischen Arbeiter von den einheimischen in Scene ge⸗ 
etzten Hetzerei Truppen nach San Francisco. Die Waffen⸗ 
depots werden bewacht. 
Scherrer von Marnheim war des Meineides angeklagt. Die Ge⸗ 
chworenen konnten jedoch aus den Verhandlungen nicht die Ueber⸗ 
eugung von der Schuld des Angeklagten gewinnen und sprachen 
ie demnach frei. — Am Dienstag wurde gegen Ernst Otto, 
Heschäftsführer der „Pfälzischen Post“ und Jakob Niedhammer, 
Privatmann, beide in Kaiserslautern wohnhaft, wegen Berufs—⸗ 
zeleidigung durch die Presse verhandelt. Vor der letz⸗ 
en Stadtrathswahl in Kaiserslautern, Ende No— 
ember 1879, erschien der Angeklagte Niedhammer in dem 
Beschäftsbureau der „Pfaälzischen Post“, überreichte dem Ange—⸗ 
lagten Otto ein Manuscript und verlangte, es möchten davon 200 
ẽxemplare gedruckt werden. Herr Otto sagte, nachdem er das 
Schriftstück durchgelesen hatte, die Ausführung des Auftrags zu 
ind lieferte dann auch zwei Tage darauf die verlangten zwei⸗ 
Rundert Exemplare ab, die dann von Herrn Niedhammer durch 
zie Post theils direct an Wähler, theils in öffentliche Wirthslocale 
ersendet wurden. Die Flugschrift trug weder den Namen des 
herfassers, noch auch, wie dies bei sonstigen Druckerzeugnissen ge⸗ 
räuchlich ist, den Namen der Druckerei. Das Geheimnißvolle der 
anzen Manipulation war noch verdollständigt durch ein an der 
Spitze angebrachtes „Vertraulich“. Hinter dem Schleier dieser 
hertraulichkeit wurde nun dem betreffenden Herrn Wähler mlige- 
heilt, wie die bisherige Stadtverwaltung gewirthschaftet habe. 
Reben persönlichen Verdächtigungen des bisherigen Stadtraths und 
Bürgermeisters, die theils durch Anspielungen theils durch direkte 
hehauptungen erzeugt werden sollten, hat man in der Flugichrift 
insbesondere die angebliche Finanzwirthschaft scharf hervorgehoben, 
undem man ausführte, daß im Garzen an erhobenen Umlagen, 
Herbrauch des Grundstockvermögens, an Holzwerth des vorausge⸗ 
jauenem Stadtwaldes und gemachten und verbrauchten Schulden 
1,300,000 Mtk. in den letzten 5 Jahren verwirthschaftet wor⸗ 
den seien. 
In dem ganzen Inhalte des „Pampheis“ sieht nun die k. 
Staatsbehörde eine Beleidigung sowohl des ganzen früheren Stadt⸗ 
raths als besonders des Herrn Bürgermeisters in Kaiserslautern. 
Dieser Ansicht schlossen sich die Geschworenen an und das Urtheil 
autete gegen Niedhammer auf 300 M., gegen Otto auf 100 M. 
Beldstrafe und Publikation des Urtheils in der „Pfälzischen Post“ 
und „Kaiserslauterer Zeitung“ auf Kosten der Angeklagten. 
Vermischtes. 
*St. Ingbert. Wie wir hören, hat Hr. Lehrer Hagen⸗ 
bucher von hier auf die Schulstelle in Kaiserslautern, auf 
welche er vor einigen Tagen ernannt worden war, verzichtet und 
ist bei kgl. Regierung um Enthehung vom Antritte derselben ein⸗ 
gekommen. 
* An dem Telegraphenuntierrichtskurs in Mümnchen nahmen 
nach der „Pf. Volksztg.“ 10 Pfälzer Theil, darunter Janser 
von hier. 
F Der Reichskanzler hat dem Bundesrath jeht eine Nach⸗ 
weisung über die den einzelnen Bundesstaaten bis Ende Dezember 
o. Is. überwiesenen Beträge an Reichssilber⸗, Nickel- und 
Tupfermünzen zur Kenntnißnahme vorgelegt. Danach beläuft 
sich die Gesammtsumme dieser Beträge auf 453,909,757 Mart 
b2 Pf. An 5⸗Mark⸗Stücken sind überwiesen 71,653,095 Mark, 
an 2⸗Mark⸗Stücken 98,510,048 Mk., an .1⸗-Mark⸗Stücken 
149,743, 275 Mk., an 50-Pfennig⸗Stücken 71,486,552 Mk., an 
20.Pfennig⸗Stüchen 28,264, 412 Mti. 80 Pf., an 10-Pfennig⸗ 
Ztücken 18,127,800 Mti. 70 Pf., an 5⸗Pfennig⸗Stücken 
3,630,633 Mi. 75 Pf., an 2⸗Pfennig⸗Stücken 3,951,107 Mtk. 
14 Pf., an 1-Pfennig⸗Stüden 2,542,822 Mi. 83 Pf. 
F Zum Besten der kath. Kirche in Kirrberg darf am 
aächsten Ostersonntag in sämmtlichen kath. Kirchen der Pfalz 
eine Kollekte erhoben werden. 
F Die Gesammtsumme des von den Bierbrauern Kaisers⸗ 
auterns im ersten Jahre der pfaälzischen Malzaufschlagsära 
(1J. Juli 1878 bis 1. Juli 1879) bezahlten Aufschlags beträgt 
163,300 M., wovon 17,7859 M. als Rücdvergütungsbetrag für 
u 
erlãletces Saowrcericht im I. Quartal. 
Die erste Verbandlung der gegenwärtigen Session endete mit 
Freisprechung. Die 42 Jahre alte Eheftau des Ackerers Karl