Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Slt. Ingberler Anzeiger. 
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A⸗ 585. 
Donnerstag den 8. Aprẽ1 
1880. 
Deutsches Reich. 
„Die Pflicht der Sparsamkeit im Militär-Etat“ lautet eine 
läüngere Abhandlung, welche dieser Tage die „Allgem. Zeitung“ 
beendet hat und worin ziffermäßig nachgewiesen wird, daß jährlich 
Millionen am Reichs-Militär⸗Etat gespart werden könnten, wenn 
man nur einigermaßen wollte. Da das geflügelte Wort von heiden⸗ 
mäßig vielem Geld leider auf die Gegenwart keine Anwendung mehr 
findet und die goldenen Tage des Millionensegens längst dahin sind, 
so wäre es dringend zu wünschen, daß die höchst zeitgemäßen Be— 
frachtungen der „Allgem. Ztg.“ an maßgebender Stelle nicht spur—⸗ 
los voruͤber gingen, die mit folgendem beherzigenswerthem Satze 
schließen: „Wir halten es für eine dringende Pflicht eines Jeden, 
der das große, schoͤne, stolze Kaiserreichh Deutschland aufrichtig 
liebt und solches in ungeschwächtem Glanz zu erhalten wünscht, 
nach seinen Kräften mit dahin zu wirken, daß dessen Steuerkraft 
aicht schon im tiefsten Frieden auf das Aeußerste angespannt werde, 
und dadurch die fort und fort steigenden Abgaben und Steuern nur 
Mißmuth und Unzufriedenheit unter einem alljährlich sich mehrenden 
Theil seiner Bevölkerung erzeugen helfen.“ 
Der deutsche Reichstag hat am 6. April seine erste 
Sitzung nach den Osterferien gehalten. Es wurden verschiedene 
Wahlen geprüft. In der nächsten Sitzung sollte Stephani's Or⸗ 
hographie⸗Antrag und das Viehseuchengesetz berathen werden. Das 
Befinden des Kaisers ist ganz befriedigend, die Heiserkeit ver⸗ 
chwunden. 
Die „Nordd. Allgem. Ztg.“ meldet: In der Bundesraths⸗ 
itzung am Samstag fand bei Feststellung des Gesetzentwurfes betr. 
die Erhebung von Reichsstempelabgaben über die Frage, ob Quit- 
ungen über Postanweisungen und Postvorschuß-Sendungen der 
Stempelabgabe zu unterwerfen seien, eine Abstimmung Statt, wo⸗ 
zei die Majorität von 30 Stimmen eine Bevölkerung von 71 
Millionen die Minorität von 28 Stimmen (bestehend aus Preußen, 
Bayern und Sachsen) eine Bevölkerung von über 30 Millionen 
repräsentirte. 16 Stimmen kleinerer Staaten befanden sich im 
Wege der Substitution in Händen von zwei Mitgliedern des Bun⸗ 
desrathes. In Folge dieser Vorgänge hat der Reichskanzler 
sein Entlassungsgesuch bei dem Kaiser amtlich mit der Motivirung 
eingereicht, daß er den gegen Preußen, Bahern und Sachsen ge— 
jaßten Majoritätsbeschluß weder vertreten, noch in seiner Stellung 
als Reichskanzler von dem Benefizium Gebrauch machen könne, 
welches Artikel 9 der Reichsverfassung der Minorität gewährt. — 
Die „Köln. Ztg.“ bemerkt zu der vorstehenden Nachricht: „Wir 
können uns nicht mit dem Gedanken befreunden, daß dieses Ent⸗ 
iassungsgesuch auch wirklich den Rücktritt des Reichskanzlers zur 
Folge haben wird; vielmehr möchten wir glauben, daß der Fürst 
nicht sowohl zurüctreten, als vielmehr eine Aktion vorbereiten will, 
welche durch eine Aenderung der Reichsverfassung der Möglichkeit 
»orbeugen will, daß die großen Staaten, und namentlich Preußen, 
durch die Kleinstaaten majorisirt werden können. Zu dieser An⸗ 
iahme glauben wir auch durch den Wortlaut der Erklärung in 
der „Nordd. Allg. Ztg.“ berechtigt zu sein, welche gerade die 
Majorisirung durch die Kleinstaaten so scharf hervorhebt. Und es 
ist nicht zu leugnen, daß ein schreiendes Mißverhältniß besteht zwischen 
der Bevölkerungsziffer der die Abstimmungsmehrheit bildenden 
Staaten und der Zahl der von ihnen abgebenen Stimmen. Wenn, 
wie zu erwarten, der Kaiser das Abschiedsgesuch Bismarch's ablehnt, 
so dürfte die Einbringung einer das Stimmen⸗Verhältniß ändernden 
Gesetzesvorlage möglicher Weise die Folge sein.“ — Der „National⸗ 
zeitung“ zufolge hätte der Kaiser das Entlassungsgesuch des Reichs⸗ 
anzlers mit: „Es bleibt bei meinem Niemals!“ beantworiet. 
Darauf hat Fürst Bismarck sein Gesuch unter Hinweis auf seine 
erschütterte Gesundheit erneuert; hierauf wäre der Kanzler zu wei⸗ 
jerer Unterredung zum Kaiser beschieden worden. 
Fürst Bismarck hat vom Papsft ein Glückwunschschreiben 
zu seinem Geburistag erhalten und dasselbe bereits erwidert. 
Ausland. 
Petersburg. Für die durch die Exrplosion im Winter⸗ 
palast Geschädigten sind beim Haupikomite schon über 60,000 
Rubel eingegangen. — Mit der Kaiserin (bekanntlich eine geb. 
Prinzessin von Hessen-Darmstadt) steht es hoffnungslos. Sie siecht 
angsam dahin, die Kräfte werden nur noch künstlich erhalten. 
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Vermischtes. 
* Die Gemeinde Kirkel⸗Neuhäusel hat dieser Tage 
n Zweibrücken einen nicht unwichtigen Prozeß gewonnen. 800 
große hiebreiche Pappelp, welche die Gemeinde vor 40 Jahren an 
ʒer Kaiserstraße zu pflanzen angehalten wurde, und auf welche 
päter der Staat Eigenthumsansprüche erhoben hatte, wurden der⸗ 
elben zugesprochen. Der mit Schulden und Umlagen überbürdeten 
Bemeinde ist dieser Ausgang des Prozesses sehr zu gönnen. 
F Es wird jetzt mehrseitig konstatirt, daß die bekannten 
Naßnahmen der Regierung bezüglich der Fassion der Kapital⸗ 
renten- und Einkommensteuer ein gegen früher viel güustigeres 
inanzielles Ergebniß herbeigeführt haben. Dagegen erfährt man 
nuch, daß die Einnahmen der Staatskasse aus den Gerichtsgebühren 
rotz der Höhe derselben kaum das frühere Ergebniß erreichen dürf⸗ 
sen. Dies trägt vielleicht am ehesten dazu bei, daß das Gerichts⸗ 
sostengesetz eiue baldige Aenderung erfährt. 
F Wie die „Gegenw.“ mittheilt, beabsichtigt die kgl. Regierung 
dem Vernehmen nach alle Staatsstraßen da mit Bäumen 
zu bepflanzen, wo die angrenzenden Gutsbesitzer es auf ihren 
Brundstücken nicht thun. 
FDie pfälzischen Pferde scheinen vor den Augen der Re— 
monteankaufskommission auch in diesem Jahre keine Gnade gefunden 
zu haben, denn in Offenbach und in Pirmasens wurden nach dem 
„P. A.“ nur je ein, in Bergzabern und Kandel gar kein Pferd 
ingekauft. In Zweibrücken wurden von 59 vorgefuͤhrten Pferden 
nur 3 angekauft. 
Dem Neustadter Verschönerungsverein hat ein Freund 
desselben 300 M. zum Geschenk gemacht. Diesem Verein sind be— 
reits wiederholt von Förderern der Vereinszwecke namhafte Bei⸗ 
träge zugeflossen. 
f Ein junger Pfälzer, Wilhelm Frey aus Siebeldingen, 
vurde in Cincinnati (Ohio) wegen Todtschlages von Jakob 
Jauch zu 8 Jahren Zuchthaus verurtheilt. Der junge Mensch war 
erst im Jahre 1878 nach Amerika ausgewandert; der Todischlag 
exrfolgte bei Gelegenheit eines Streites mit einem Mitarbeiter in 
der Backstube seines Meisters. 
F In Edenkoben erhängte sich am 5. April ein 19jäh— 
iger Bursche, der Sohn einer Wittwe, aus Furcht vor Strafe, 
velche ihm bevorstand, da er einige Tage vorher im Walde in 
hesellschaft anderer Burschen ein Feuer angezündet hatte. 
x Vor Kurzem war der Dampfer „Silesia“ der Hamburg- 
Amerikanischen Packet⸗Schifffahrt⸗Gesellschaft durch Bruch der Welle 
in der Schraube seeuntüchtig geworden. Er wurde von einem 
Dampfer in's Schlepptau genommen und in den Hafen von Queens⸗ 
own gebracht. Auf dem Schiffe befand sich auch ein junger 
Speierer als Schiffsarzt, der in einem Briefe an einen Speyerer 
Freund die traurige Zeit, während der das Schiff hilflos den Wellen 
reisgegeben war, näher beschreibt und nebenbei der interessanten 
Thatsache erwähnt, daß ein belgischer Dampfer auf die Nothsignale 
sin auf die „Silesia“ zusegelte und nur um die Summe von 
300,000 M. an die Gesellschaft und 30,000 M. für den Capitän 
ie in's Schlepptau nahm. 
f In Contwig wurde am Samstag ein zweijähriges Kind 
iberfahren; dasselbe starb nach wenigen Minuten. Derselbe Kutscher 
oll im vorigen Jahre ebenfalls ein Kind überfahren haben. 
In der „Koöln. Ztg.“ und in der „Frkf. Ztg.“ war vo⸗ 
rige Woche unter den Anzeigen angekündigt worden, daß am ver⸗ 
lossenen Donnerstag vom Melibocus bei Darmstadt aus die 
Rheinebene bis zum Donnersberg herüber durch den Ameri⸗ 
aner Edison elektrisch werde beleuchtet werden. In Kirchheim⸗ 
‚olanden soll nun an dem betr. Abend eine Anzahl Personen sich 
nuf den Weg zum Schillerhain emporgemacht haben, um dieses 
zroßartige Schauspiel zu bewundern, und hier ging denselben denn 
nuch richtig aus der finsteren Ebene ein gewaltig Licht auf, das 
die Neugierigen erkennen ließ, daß am Donnerstag der — erste 
Abril war!