Sl. Ingberler Anzeiger.
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AMA 577.. amstas den 10. apri
18sq
Fürst Bismarck und der Bundesrath.
Fürst Bismarck, der nimmer Ruhende, hat uns mit einer
Reichsverfassungskrisis überrascht, welche vermuth—
lich schon seit Längerem hinter den Coulissen gespielt hatte und
weiche jetzt mit Einem Male in der akuten Form eines Ent⸗
lassungsgesuches des Reichskanzlers vor die Oeffentlichkeit getreten
ist. Belkanntlich leidet unsere Reichsverfassung neben anderen Un—
boslkommenheiten auch an derjenigen, daß die Vertretung der Ein⸗
zelstaaten nicht wie in andern Föderationen, z. B. in der Schweiz,
in Nordamerika, in einem wirklichen Staatenhause, sondern in der
in ihrem Werthe höchst fragwürdigen Institution des Bundes⸗
rathes besteht, dessen Gewand aus der Garderobe des seligen
Bundestags entlehnt ist. Das Recht der Kleinen auf einen Schutz
gegen regelmäßiges Ueberstimmtwerden durch die Großen ist durch
ein Stimmensystem gewahrt, das soeben zu der höchst eigenthüm⸗
lichen Entscheidung geführt hat, daß ein Antrag, für den nicht
nur Preußen, sondern auch die Regierungen der zwei nächstgrößten
Staaten Bayern und Sachsen und außerdem ein mit Einer
Stimme behafteter Kleinstaat eintraten, bei voller Vertretung des
Bundesraths mit 2 Stimmen Majorität abgelehnt wurde, so daß
also die Kleinstaaten unter Führung Württembergs mit insge⸗
sammt etwa sieben Millionen Einwohnern, aber 30 Bundesraths⸗
stimmen, die Gruppe der drei größten Staaten sammt einem Klein⸗
staate (28 St.) mit zusammen 34 Millionen Seelen majorisirten.
dAuf die Sache, um die es sich hier handelte, Stempel von Post⸗
anweisungen und Postvorschußquittungen, welchen die Großen der
Ration auferlegen wollten. wahrend die Kleinen die Steuerfreiheit
jener Papiere vertraten, kommt es hier gar nicht an, auch darauj
aicht, ob im konkreteu Falle eiwa durch nachträgliche Zurückziehung
des Gesetzentwurfs auf Beschluß des Bundesraths und Feststellung
eines neuen, im preußischen Sinne gehaltenen, Remedur geschaffen
wird; die Thatsache jener Majorisirung ist eine solche Anomalie,
daß uns der Entschluß des Fürsten Bismarck, durch sein Ent⸗
lassungsgesuch Trumpf auszuspielen und der Wiederkehr derartiger
Erscheinungen vorzubeugen, ganz begreiflich erscheint.
Denn auf Maßregeln in der letzteren Richtung scheint es uns
ausschließlich abgesehen zu sein. Eine Annahme des Bismarc'schen
Demissionsgesuches durch den Kaiser ist ja geradezu undenlbar,
ebenso wie dasselbe auch ganz gewiß hnicht mit der Absicht einge⸗
reicht ist, es bewilligt zu sehen; Fürst Bismarck scheint vielmehr
die Gelegenheit zu einem centralistischeren Ausbau der Reichsver⸗
fassung im Sinne der Verstärkung des Gewichtes der Vormacht
denützen und Verfassungsänderungen herbeiführen zu wollen, die
entweder das Stimmenverhältniß verschieben oder vielleicht den
großen Staaten ein lollektives Sonderrecht verleihen oder aber auch
das Recht der Substitution abschaffen würden, welches namentlich
don den kleinsten Staaten in ausgiebigster Weise dadurch ausge⸗
nützt wird, daß oͤfters zehn Staaten durch einen einzigen in Berlin
anwesenden Repräsentanten abstimmen lassen, ein Modus, der einer
derartigen Kleinstaatenbolleltion die Bedeutung von beispielsweise
Bayern und Sachsen zusammen zu geben vermag. Eine Ver—⸗
jassungsanderung in letzterer Richtung könnte dem Bundesrathe
den höchst wünschenswerthen mehr parlamentarischen Charabter ver⸗
leihen, der zur Zeit bei der Einflußlosigkeit der meisten Debatten
auf die von vornherein durch Regierungsinstruktionen feststehenden
Abstimmungen nahezu völlig fehlt.
Welchen Weg der Reichskanzler zu gehen gedenlt, darüber
wird er uns jedenfalls nicht lange im Dunkeln lassen; eine Wen⸗
zung in der Mittheilung der N. A. Z. scheint die letztbezeichnete
Richtung anzudeuten. Keinenfalls, und Dieß wiederholen wir, ist
oon der gegenwärtigen neuen Kanzler⸗Krisis ein Wechsel in der
Leitung der Reichsangelegenheiten zu erwarten, sondern vielmehr
lediglich eine Kräftigung des Einflusses der großeren, regelmäßig
durch geeignete Krafte im Bundesrathe versretenen Staaten auf
sosten der Duodezminister, eine Reform, gegen welche sich sachlich
wenig einwenden läßt. Daß Fürst Bismard von dem Rechie, als
Majorisirter im Reichstage für die Minorität zu reden (was ihm
nach Art. 9 der Reichsberfassung zusteht), Gebrauch zu machen
keine Lust hat, wird ihm bei der Ärt der Majorisirung kein Ver⸗
nünftiger verdenken; eine solche Rolle würde weder der Würde des
preußischen Staates, der an der Spitze des Reiches steht, ent⸗
prechen, noch derjenigen des Reichskanzlers, welcher für die Be⸗
ichlüsse des Bundesraths schließlich allein verantwortlich ist.
Deutsches Reich. J
Nach den spezielleren Bestimmungen über die diesjährigen
größeren bayerischen Truppen⸗Uebungen sind sämmtliche In⸗
fanterie⸗Regimenter auf 6 und sämmiliche Kavalerie-Regimenter
alle 14 Tage, dann die Infanterie-Brigaden auf 5 Tage zum
Ererzieren und zu solchen einfachen Uebungen, durch die Formen
des Reglements zum Ausdrucke gebracht werden, zusammenzuziehen.
Die Diwisions-Uebungen sollen heuer um 2 Tage länger als bis-
her, nämlich 13 Tage dauern, und zwar können nach dem Er⸗
messen der Generalkommandos 5 Tage zu Feld⸗ und Vorposten⸗
dienst⸗ Uebungen in gemischten Detachements gegen einander vere
wendet oder hiervon auch 2 Tage zum Brigade⸗CExerzieren im Ter⸗
rain benützt werden; 3 oder 4 Tage sind zu Felbmandvern der
Division in 2 Abtheilungen gegen einander und 3 oder nur 2
Tage zu Manövern der ganzen Division mit supponirtem oder
markirtem Gegner bestimmt.
Aus Berlin 6. April, meldet man der „A. Z.“. Das
kntlassungsgesuch des Reichskanzlers überrascht in Bundesrathskreifen
aim so mehr, als der Beschluß des Bundesrathes, die Postanwei—
sungen von der Quittungssteuer frei zu lassen, in vollster Ueber⸗
einstimmung steht mit den Auslassungen des Vertreters der Reichs⸗
postverwaltung. der den von den Ausschüssen abgelehnten, von
Preußen im Plenum wieder aufgenommenen Antrag im Interesse
der Postverwaltung entschieden bekämpfte.
Aus Berlin wird unterm 7. April amilich berichtet: Die
Nachricht hiesiger Zeitungen, daß der Neichskanzler schon vor drei
Tagen seine Entlassung gegeben, der Kaiser bereits darauf unter
Verweigerung der Entlassung geantwortet und der Reichskanzler
sodann das Entlassungsgesuch aus Gesundheitsrücksichte n erneuert
jabe, ist vollständig unbegründet. Der Reichskanzler hat gestern
ein Demissionsgesuch eingereicht mit der Motivirung, welche in der
Jestrigen „Nordd. Allg. Ztg.“ angegeben war. Eine kaiserliche
entschließung hierauf liegt bis jetzt nicht vor. (Von Berlin aus
vird durch den Telegraphen folgende, wie es scheint officiöse, Notiz
derbreitet: „In parlamentarischen Kreisen wird als sicher angenom⸗
nen, daß der Bundesrath durch Wiederaufnahme der Verhand⸗
ungen über die Stempelabgaben den Anschauungen des Reichs—
anzlers entgegenkommen werde, um so mehr , als die Reichsver⸗
assung einen Reichskanzler erfordert, der für die Gesetzvorlage die
VBerantwortlichkeit übernimmt und solche gegenzeichnet.)“
Wie verlautet, geht der Reichskanzler mit dem Plane um,
aatürlich nur, falls er im Amte bleibt, zur bestehenden Stempel⸗
zesetzgebung eine Novelle behufs Herabsetzung des Immobiliar⸗
aufs⸗ und Auflassungsstempels zu erlassen. Dazu erfährt man,
daß die preußische Regierung an ihrem früheren Plane festhält,
ämmtliche jetzt zur Erhebung kommenden Landesstempelsteuern
und die Erbschaftssteuer auf das Reich zu übertragen, ein Plan,
der von der Kommission des Bundesraths im Jahre 1877 ver⸗
worfen wurde.
Die Wochenlorrespondenz der Reichspartei“', welche man
gewöhnlich für gut unterrichtet in Betreff der Absichten der
Reichs regierung hält, schreibt: „Soviel darf schon jetzt als sicher
angenommen werden, daß, sollte es wider Erwarten nicht gelingen,
das im vorigen Jahre unvollendet gelassene Werk der Steuerre⸗
form auf dem jetzt betretenen Wege zum Abschlusse zu bringen
und auf diese Weise die Beschaffung der Mittel für die nothwendi⸗
gen Mehrausgaben des Reichs und die definitive Regelung der
Steuerverhaältnisse in den Einzelstaaten zu ermöglichen, die ver⸗
bündeten Regierungen nothwendigerweise dazu gedrängt werden
würden, auf die früheren Pläne, namentlich Betreffs der Besteu⸗
erung des Tabaks zurückzuführen“
Deer russischen Gesandtschaft in Dresden ist, der „Dresd.
Zig.“ zufolge, seit einigen Tagen ein politischer Agent beigegeben
worden, dessen Aufgabe es sein soll, den nihilistischen Faden nach